Es hat noch nicht einmal eine Minute gebraucht – und schon hatte der Bundestag im vergangenen Juni das Auskunftsrecht für Bürger und Journalisten komplett ausgehebelt. Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) von 2006 war ad acta gelegt. Der Hintergrund: es sollte ein kritischer Bericht über das Finanzgebaren der Fraktionen öffentlich gemacht werden. Die Aktion war derart gut getarnt, dass sie bis jetzt niemandem auffiel. „Klammheimlich“ sei diese Änderung geschehen, sagt der Rechtsanwalt und IFG-Experte Dr. Christoph Partsch. Der Vize-Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Informationsfreiheit hat selbst als Anwalt in den vergangenen Jahren mehr als hundert Klagen gegen Behörden geführt. „Die wehren sich und verzögern mit allen Mitteln und auf Kosten des Steuerzahlers, selbst wenn sie wissen, dass sie schließlich doch die Informationen herausgeben müssen“.
Die eigentliche Motivation der Beamtenschaft gegen eine transparente Informationspolitik sieht der Berliner Rechtsanwalt allerdings ganz woanders:„Unser Steuerrecht stammt aus den 1920er Jahren, es sieht keine Gegenleistung des Staats für die Steuerpflicht vor und wurde in der Nazizeit noch einmal verschärft. Die Selbsteinschätzung der deutschen Beamtenschaft stammt noch aus vordemokratischen Zeiten und hält weiter an. Niemand aus der Beamtenschaft sieht sich veranlasst, sich zu verantworten“.
FreieWelt.net: Handelt sich Ihrer Meinung nach beim Kippen des IFG um das Verschleiern der 80 Mio. Euro der Parteienunterstützung durch den Bundestag?
Dr. Christoph Partsch: Darum geht es auch, aber wir haben prinzipiell eine dramatische Verschleierungstaktik im Deutschen Bundestag, sowohl bei den Abgeordneten, wie bei der Bundestagsverwaltung. Das sieht man unter anderem daran, dass sämtliche Auskunftsanfragen zu dem Finanzgebaren der Abgeordneten abgeblockt wurden. Das bedeutet, dass sich ausgerechnet der Bundestag zu einer „Black Box“ macht.
FreieWelt.net: Ihr Zitat: „Der Grundgedanke, dass sich mittels Transparenz das Vertrauen der Bürger gewinnen lässt, scheint bis heute in vielen Bundesbehörden nicht angekommen zu sein“. Können Sie das näher ausführen. Ein Beispiel?
Dr. Christoph Partsch: Die Präsidentin des Berliner Verwaltungsgerichtes, Frau Erna Xalter sagt, mehr als 50 Prozent der Klagen nach IFG werden gewonnen. Das bedeutet, dass in mehr als 50 Prozent der Fälle die Verwaltungen Unrecht haben. Trotzdem gestaltet sich der Verlauf sehr schwierig. So gab es z.B. eine Klage gegen das Land Berlin und die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben auf Vorlage des Vertrages zum Flughafen Tempelhof. Wir haben diesen Vertrag dann auch erhalten. Allerdings war dieser komplett geschwärzt. Dagegen sind wir vorgegangen. Als Ergebnis hat man so „super wichtige“ Passagen wie die Mitteilung über den Gerichtsstand vorgelegt. Das ging immer so weiter – sechs Jahre lang. Am Ende sollte dann die wirklich relevante Frage beantwortet werden: „Wie hoch ist der tatsächliche Mietzins?“. Das Oberverwaltungsgericht NRW hat unserer Berufung im Dezember 2013 stattgegeben. Dann wird von der Gegenseite bis zum letzten Tag abgewartet, um in Revision zu gehen. Alles mit dem klaren Ziel, das ganze Verfahren möglichst in die Länge zu ziehen.
FreieWelt.net: Was steckt Ihrer Meinung nach hinter dieser Taktik?
Dr. Christoph Partsch: Hier handelt es sich ganz klar um ein Überbleibsel der Selbsteinschätzung der Beamten aus vordemokratischen Zeiten. Die Beamtenschaft sieht sich nicht veranlasst, ihr Handeln zu rechtfertigen und verschleiert deshalb ihre Entscheidungen. Das wird dann besonders deutlich, wenn man jegliche Informationen über das Verhalten von Beamten und Politikern aus der Nazi-Zeit vollständig abblockt. Der Datenschutz schützt zurzeit die Nazivergangenheit vieler Beamter in obszöner Weise. Hier wird mit Fürsorge und Datenschutz gearbeitet, um deren Verhalten zur Nazi-Zeit zu verdecken. Das Zweite ist natürlich das Verdecken von Ungereimtheiten. Bei dem Mietvertrag zum ehemaligen Flughafen Tempelhofbesteht der Verdacht, dass der Mietzins viel zu gering war. Und das soll jetzt verdeckt werden. Eventuell werden nur ein oder zehn Euro verlangt. Wenn das publik wird, gibt es natürlich Fragen, ob das in der Höhe so korrekt ist. Und genau diese Diskussion will man nicht haben und sich dafür dann auch nicht gegenüber dem Bürger oder der Presse verantworten müssen. Dabei geht es erst in zwei Linie um Verantwortlichkeiten – der Bürger soll einfach nicht wissen, was mit seinen Steuergeldern geschieht.
FreieWelt.net: Sie sprechen davon, dass der Grundgedanke, sich mittels Transparenz das Vertrauen der Bürger zu gewinnen, bis heute in vielen Bundesbehörden nicht angekommen ist. Warum ist das so?
Dr. Christoph Partsch: Wenn man über einen riesigen Etat verfügt und möglicherweise das Geld so ausgibt, das es zumindest fragwürdig ist, dann baue ich gerne eine „Black Box“ herum. Im speziellen ging es um die Verwendung der Abgeordnetenpauschale. Diese Verfahren habe ich für einen Journalisten der BILD-Zeitung persönlich betrieben. Es ging um die Frage, welcher Bundestagsabgeordnete besitzt wie viele Smart-Phons, I-Phons oder Laptops, die von den jeweiligen Pauschalen gekauft wurden. Das war die berühmte „Montblanc-Klage“. Von den Luxus-Schreibgeräten wurden von Januar bis Oktober 2009 fast 400 geordert. Knapp 70.000 Euro überwies die Bundestagsverwaltung allein dafür ihrem Lieferanten. Dazu kam noch ein pikantes Detail: die Edel-Füllfederhalter wurden später weiter veräußert. Da hat jemand einen schwunghaften Handel getrieben.
FreieWelt.net: In Schweden gilt bereits seit 1766 der Grundsatz: Wer die Arbeit an den Akten mit seinen Steuermittel bezahlt – dem gehören sie auch. Warum funktioniert das in Deutschland nicht?
Dr. Christoph Partsch: Dieses frühe Gesetz zur Informationspflicht gibt es sowohl in Schweden, Dänemark und Norwegen. Damals war das Gesetz ein probates Kampfmittel des niederen Adels und des Bürgertums gegen das Königshaus. Und das funktioniert bis heute problemlos. Auch deshalb sind die Einsprüche und Argumentationen gegen das IFG in Deutschland nur als pathologisch zu bezeichnen. Ein Beispiel: In Brandenburg war ich bei der entsprechenden Diskussion um die Gesetzgebung persönlich dabei. Dort hieß es tatsächlich, dass das Land Brandenburg wirtschaftlich untergehen wird, wenn die Informationsfreiheit durchgesetzt wird. Europaweit gibt es mit Weißrussland und Deutschland die einzigen weißen Flecken auf dem Gebiet der Informationspflicht. Da waren wir in Deutschland bereits 1848 weiter – schon damals forderten von Rotteck und Welcker eine völlige Transparenz beim Verwaltungshandeln. In den 1920er Jahre hat die deutsche, kaiserlich gesonnene Beamtenschaft es dann grundsätzlich geschafft, das Steuerrecht absolut gegenleistungsfrei zu gestalten. Die Bürger müssen zwar Steuern zahlen, aber ohne einen erkennbaren und nachvollziehbaren Hintergrund.
FreieWelt.net: Vielen Dank für das Gespräch.
Kommentare zum Artikel
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Na ist denn das...
Unsere Beamte haben eben die Spanische Mentalität übernommen.
Hat man in Spanien einen Wasserschaden und ruft einen Fachmann,sagt der na ja komme vielleicht nächste Woche mal vorbei.
Eine treffende Analyse. Inzwischen haben 100 Staaten mit 5,5 Millarden Menschen Informationsfreiheitsgesetze in 5 deutschen Bundesländern fehlt ein IFG.
Legt man internationale Normen maximaler Offenheit, rascher Antwort und geringer Kosten zugrunde haben 88 Staaten mit ca. 5,5 Milliarden, d. h. 78 % der Bürger auf der Welt haben ein besseres Informationsfreiheitsgesetz als deutsche Bürger im Bund (http://rti-rating.org/results.html).
So geht das heute in Skandinavien, das den Informationszugang zu amtlichen Dokumenten vor mehr als 245 Jahren entwickelte:
- Unter Berücksichtigung des Datenschutzes sind Beschreibungen aller (2,5 Millionen) Dokumente der norwegischen Staatsverwaltung der letzten 2,5 Jahre suchbar (siehe: oep.no http://www.oep.no/nettsted/fad/OM-OEP.html?lang=en ) im Internet veröffentlicht. Journalisten hatten diese Möglichkeit schon seit etwa 20 Jahren.
- Der Antragsteller sucht, findet und bestellt elektronisch die Dokumentnummer, die Behörde hat wenig Arbeit das elektronisch innerhalb von 1 bis 3 Tagen kostenlos zuzusenden.
- Diese Vereinfachung für Antragssteller und Verwaltung trägt Früchte: 2012 gab es 201 459 Anfragen, d. h. ca. 4 111 Anfragen pro 100.000 Einwohner pro Jahr (http://home.broadpark.no/~wkeim/files/Norway_number_of_requests.html). In Deutschland werden weniger als 4 Anfragen pro 100.000 Einwohner pro Jahr bearbeitet.
Sehr gutes Interview, man hätte noch darauf hinweisen können, das wenn man die Hintergründe einer Besteuerung hinterfragt - so z.B. allein nur die Frage des Inkrafttretens der Abgabenordnung laut AO §415 der mit gähnender Lehre glänzt, dann wird einem nur mit Kontopfändung gedroht oder es einfach getan. Die Finanzbeamten sind schon ein ganz herausgehobenes Völkchen unter den Beamten. Ob da nicht irgendwann das böse Erwachen kommt?