Interview mit Reinhild Rössler

»Die Kirche muss sich auf Christus ausrichten«

Papst Franziskus genießt die Aufmerksamkeit der Weltpresse. Will er eine Reform der Kirche oder eine Revolution? FreieWelt.net sprach mit Reinhild Rössler vom katholischen Mediennetzwerk Pontifex.

Veröffentlicht:
von

FreieWelt.net: Was ist das zentrale Anliegen, das Papst Franziskus in seiner ersten Enzyklika »Evangelii Gaudium« anspricht?

Reinhild Rössler: Mit seinem ersten apostolischen Lehrschreiben will Papst Franziskus jeden Einzelnen in der Kirche ansprechen und zur Umkehr aufrufen. Die Kirche soll darauf ausgerichtet sein, alle Menschen für Christus zu begeistern, das heißt die Freude des Evangeliums – also evangelii gaudium – in die Welt hinaus zu tragen. Das ist sein Hauptanliegen, und daran richtet er alle Veränderungen aus, von denen er spricht. Alle Veränderungen richten sich auf eine Kirche, die sich nach außen öffnet, und an jeden einzelnen Menschen, der das Evangelium weitergeben möchte.

FreieWelt.net: Papst Franziskus spricht in dem Schreiben zum Beispiel vom »ausufernden Kapitalismus«. Was soll man davon halten?

Reinhild Rössler: Was das Wirtschaftssystem angeht, kritisiert er sehr scharf die Auswirkungen, die der übertriebene Kapitalismus haben kann. Dabei hat er die im Blick, die Opfer dieses Systems sind, die am Rand leben, die nicht »funktionieren« oder gar als »Abfall« der Gesellschaft übrigbleiben. Ich denke, dass er ein Bewusstsein dafür schaffen will, dass wir auch diese Menschen in den Blick nehmen und nicht nur die schönen, positiven Seiten des wirtschaftlichen Systems. Das ist übrigens immer ein Anliegen von Christus und der Kirche gewesen: sich um die Schwachen und Armen zu kümmern.

FreieWelt.net: Aber irrt Franziskus nicht, wenn er davon spricht, dass »Kapitalismus tötet«? Der Kapitalismus ist immerhin die Basis unseres Wohlstands.

Reinhild Rössler: Ich glaube nicht, dass er als Ökonom spricht, als einer, der wirtschaftliche Systeme bewerten will. Sondern er spricht als Christ und als Papst. Er nimmt dabei die Perspektive der Armen ein, derer, die am Rand der Gesellschaft stehen und dort die negativen Seiten am eigenen Leibe erfahren. Man muss solche Aussagen vor dem lateinamerikanischen Hintergrund sehen, der ihn geprägt hat: Franziskus stammt aus einem Land, in dem die Armut in noch viel direkterer Form als hierzulande vorhanden ist.

FreieWelt.net: Glauben Sie, dass man Papst Franziskus richtig und falsch verstehen kann?

Reinhild Rössler: Es gibt im Text sicherlich Passagen, die Raum bieten für verschiedene Interpretationen. Deshalb bin ich auch gespannt, wie die Diskussion verlaufen wird und wie die konkrete Umsetzung seines Programms aussieht. Er spricht ganz konkret von Reformen in der Kirchenstruktur, unter anderem hat er zum Beispiel die Dezentralisierung angesprochen. Jetzt wird es interessant sein zu sehen, welche administrativen Schritte er einleiten wird.

FreieWelt.net: Was erwarten Sie?

Reinhild Rössler: Da ich keine bestimmten Erwartungen habe, brauche ich nicht darauf zu warten, ob sie der Papst erfüllt oder nicht. Was ich »Evangelii Gaudium« vor allem entnehme, ist die Ausrichtung auf die Mission. Was das Stichwort Dezentralisierung angeht, nehme ich an, dass er sich bewusst ist, dass es nicht nur die europäische Kirche gibt und nicht nur die südamerikanische, sondern die Weltkirche, für die er als Papst die Verantwortung hat. Das heißt für ihn konkret, dass man Pastoral und Mission den Umständen vor Ort anpassen muss. In Deutschland oder Österreich hat das Christentum eine ganz andere Tradition als beispielsweise in Asien, wo die Kirche noch sehr jung ist. Hier braucht man natürlich ganz andere Methoden der Pastoral und andere Formen der Mission.

FreieWelt.net: Viele Journalisten sind offensichtlich der Meinung, dass Franz die Kirche vom Kopf auf die Füße stellt. Glauben Sie das auch?

Reinhild Rössler: Nein, ich glaube nicht, dass der Papst die Kirche vom Kopf auf die Füße stellen wird. Sondern eher, dass er darauf verweist, was die Füße der Kirche sind und was der Kopf ist – nämlich Christus. Selbstverständlich will er konkrete Änderungen, aber die Formulierung, dass er die Kirche revolutionieren will, ist übertrieben.

Eine Revolution will er insofern, als die Kirche immer wieder zu einer radikalen Umkehr, zu einer Neuausrichtung auf Christus auffordert. Die Kirche und die Menschen, die die Kirche ausmachen, müssen sich immer wieder bewusst machen, dass ihre Beziehung auf Christus ausgerichtet sein muss. Sie müssen – und das beschreibt der Papst ganz am Anfang des Schreibens – wieder bereit sein für den heiligen Geist, der das tragende Element in der Kirche ist.

FreieWelt.net: Ob Franziskus ein Revolutionär ist, hängt wohl auch davon ab, ob er in der Tradition Benedikts XVI. steht.

Reinhild Rössler: Die Medien versuchen unermüdlich, große Unterschiede zwischen Benedikt und Franziskus zu finden. Und wenn man die Texte von Benedikt und von Franziskus liest, bemerkt man sofort die ganz unterschiedlichen Stile. Das hängt sicher mit der verschiedenen Prägung der beiden Päpste zusammen. Das Anliegen der Beiden ist aber das gleiche, sie machen das nur auf unterschiedliche Weise deutlich – und das ist auch gut so, weil sich hier die ganze Vielfalt zeigt, die die Kirche auszeichnet.

Der einzelne Gläubige, der zusammen mit den anderen Gläubigen die Kirche ausmacht, ist das Ziel der Bestrebungen beider Päpste. Sie fordern ihn auf, sich wieder auf Christus auszurichten. Die Wege sind sehr unterschiedlich, so wie die Menschen sehr unterschiedlich sind. Aber ich würde sagen, dass Papst Franziskus das, was Papst Benedikt angestrebt hat, nicht umdrehen will. Im Gegenteil: Er baut darauf auf.

FreieWelt.net: Vielen Dank für das Gespräch.

Anmerkung: Pontifex ist die Initiative der Generation Benedikt, einem Netzwerk von jungen Katholiken. Hauptanliegen von Pontifex ist es, in der Öffentlichkeit über den katholischen Glauben und über Fragen zu Kirche und Religion zu sprechen. Reinhild Rössler studiert Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität Wien und ist eine der Sprecherinnen der Initiative.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Petronius

Wer für das Zentraloran der SED "Neues Deutschland" schreibt, wie Sie, ist selbstredend der gleichen Meinung wie ein ehemaliger sowjetischer Professor für Marxismus-Leninismus, der den universellen Lehrsatz geprägt hat: "Jesus darf nicht gelebt haben."
Das ist genau jene Offenheit, die man als "Wissenschaftler" braucht.

Gravatar: Petronius

Nur eine Frage:
Weshalb ist ausgerechnet "dieser Wanderprediger" eine Fata Morgana. An der Existenz von Buddha, Krishna, Abraham, Mohamed und anderen Religionsgründern kommen Ihnen keine Zweifel? Auch im Koran wird übrigens Jesus mehrmals erwähnt.
Aber Sie zweifeln sicher nicht am Urknall, obwohl sie als Physiker eigentlich wissen sollten: Von nichts kommt nichts.

Gravatar: Jaques LeMouche

Es sollte in jedem System selbstverständlich sein, sich um Schwache und Arme zu kümmern, ganz gleich ob es sich um ein sozialistisches oder angeblich kapitalistisches System handelt. Es ist eine Frage der persönlichen Einstellung. Nächstenliebe kann kein System der Welt ersetzen. Der weitverbreitete Irrglaube, man müsse diese Selbstverständlichkeit systemisch beantworten und die damit verbundene Lüge, eine solche Einstellung wäre in einem kapitalistischen System nicht möglich, ist nichts als linke Propaganda.

Gravatar: Joachim Datko

Vorab: Es gibt keinen Gott, es gibt keine Götter , es gibt keine Teufel

Der angeblich wundertätige Wanderprediger ist eine Fata Morgana ohne realem Hintergrund, die Geschichten um ihn sind nicht authentisch. Die Geschichten wurden Jahrzehnte nach seiner angeblichen Existenz geschrieben und zusammengetragen.

Der Inhalt der Geschichten ist für einfache Gemüter geschrieben worden, für Menschen, die wundergläubg sind.

Bei uns in Regensburg werden dieses Jahr ungefähr 1000 Menschen die beiden großen christlichen Kirchen verlassen, in die sie meist als Kleinkinder gegen ihr Selbstbestimmungsrecht aufgenommen wurden.

Ich bin gerne bereit, die Überlegenheit der humanistisch-wissenschaftlichen Weltanschauung zu begründen.

Joachim Datko - Physiker, Philosoph
Forum für eine faire, soziale Marktwirtschaft
http://www.monopole.de

Gravatar: Redaktion (oe)

Das ist falsch. Wir weisen zwar Kommentare zurück, wenn sie zu unflätig, zu unsachlich oder zu abseitig sind. Aber auch kritische Kommentare sind erwünscht und werden freigeschaltet. Vor allem am Wochenende schalten wir aber nur unregelmäßig frei (auch Redakteure brauchen Erholung). Und manchmal passiert es, dass wir versehentlich einen Kommentar löschen, der es verdient hätte, publiziert zu werden. In diesem Falle bitten wir um Nachsicht.

Gravatar: HofmannM

Auch die Kirche lebt von und mit dem Kapital und der Wirtschaft!
Wenn der Papst es ernst meint, dass die Kirche sich nach Christus ausrichten und strecken soll, dann muss die Kirche als aller erstes von ihren Schätzen/Kapital und Wirtschaftsunternehmungen ablassen. Die Kirche müsste sich in einer Fischerhütte einfinden und sich um die Armen, Kranken und Verstossenen sorgen-mitkümmern!
Wasser predigen und weiterhin Wein trinken, dass ist zu einfach, Papst Franziskus!
Die weltliche Kirche hat schon IMMER mit den Kaptial- und Wirtschaftswölfen geheult! In jeder geschichtlichen Epoche!
Der wahre Glaube an die menschliche Nächstenliebe eines Christus findet man nicht in der weltlichen Kirche, sondern in den Wohltaten und das Vorleben von guten Taten. Und dazu braucht es keinen kirchlich-chritstlichen-Glauben.

Gravatar: Frieda Brandt

Anmerkung:
Leserkommentare, die sich kritisch mit der (oftmals korrupten) katholischen Kirche auseinandersetzen, werden von der (katholisch ausgerichteten???) Freien Welt strikt zensiert, d.h. unterdrückt.
Die Redaktion macht ihrem Namen alle UNEHRE!!!

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang