Professor Wolfgang Ockenfels Dominikanerpater und Sozialethiker, Universität Trier

CDU verliert ihre Identität - Interview mit Prof. Ockenfels

Professor Wolfgang Ockenfels ist Dominikanerpater und Sozialethiker. Er hat den Lehrstuhl für Christliche Sozialwissenschaft an der Theologischen Fakultät Trier inne. Ockenfels ist Geistlicher Berater des Bundes Katholischer Unternehmer BKU und Chefredakteur der Zeitschrift Die Neue Ordnung. Er ist Vorsitzender des Instituts für Gesellschaftswissenschaften Walberberg, Präsident der Internationalen Stiftung Humanum und Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung. Seit 2000 ist er Kuratoriumsmitglied des Forum Deutscher Katholiken. Vor einigen Tagen erschien sein Buch „Das hohe C. Wohin steuert die CDU?“ im St. Ulrich Verlag, Augsburg.

FreieWelt.net sprach mit Professor Ockenfels über das Verhältnis zwischen den Christen in Deutschland und den C-Parteien vor der Bundestagswahl.

Veröffentlicht:
von

FreieWelt.net: Professor Ockenfels, Sie gelten als profilierter Kritiker des aktuellen CDU-Parteiprogramms aus christlicher Sicht. Welche Punkte darin bereiten Ihnen die größte Sorge und wie beurteilen Sie das gemeinsame „Regierungsprogramm“ von CDU/CSU zur Bundestagswahl vor diesem Hintergrund?

Ockenfels:
Die Auszehrung christlicher Substanz in der CDU-Programmatik ist ein schleichender Prozeß, der nicht erst mit Frau Merkel begonnen hat. Die Partei entfremdet sich zunehmend von ihrer eigenen Tradition und verliert damit ihre C-Identität. Was vom „C“ übrig bleibt, ist der schwache Aufguß dessen, was man „christliches Menschenbild“ nennt. Es bleibt bei rhetorischen Beschwörungen hehrer „Werte“ wie Menschenwürde, Ehe und Familie. Deren rechtliche Bedeutung wird aber völlig verkannt. So folgt im neuen Regierungsprogramm aus der „ungeteilten Menschenwürde“, die auch den Ungeborenen zukommt, nicht etwa die rechtliche Konsequenz eines verstärkten Lebensschutzes. Natur- und Tierschutz haben für die CDU eine größere Bedeutung als der Menschenschutz. Obwohl sich die heute gängige Abtreibungspraxis als überaus sozialschädlich erweist. Sie ist die Hauptursache für das demographisches Problem, das unsere Sozialsysteme und unsere ökonomische Zukunft erheblich gefährdet. Uns fehlen heute genau die Millionen Kinder, die wir seit den siebziger Jahren „rechtswidrig, aber straffrei“ haben abtreiben lassen. Die anreiztheoretisch ausgeklügelten familienpolitischen Maßnahmen zur Behebung dieses Desasters werden nicht ausreichen. Vor allem nicht die Kinderkrippen, die das Problem nur verschärfen und zur Verstaatlichung der Familien führen.

FreieWelt.net: Auch jenseits des Parteiprogramms lässt sich eine Entfremdung zwischen der CDU und den Christen im Land beobachten, etwa im Zuge der so genannten "Papst-Schelte" der CDU-Parteivorsitzenden, die viele Katholiken verstört hat. Wie sollten sich überzeugte Christen angesichts dieser Entwicklung Ihrer Meinung nach bei der Bundestagswahl verhalten?

Ockenfels:
Frau Merkel ist bereits durch ihr Elternhaus und vor allem durch ihre DDR-Sozialisation ein wenig milieugeschädigt, was man ihr nicht moralisch vorhalten kann. Sie hätte aber inzwischen lernen müssen, was die christliche, vor allem katholisch-soziale Tradition der CDU inhaltlich bedeutet. Sonst riskiert sie die Resignation, das Abwandern ihrer treuesten Stammwähler. In ihrem Bestreben, als mütterliche Gouvernante der Nation es allen recht zu machen und sich allen anzubiedern, ist sie freilich ein hohes Risiko eingegangen. Wozu CDU wählen, wenn das charakteristische „C“ immer mehr verschwimmt und ähnliche Positionen auch von anderen Parteien eingenommen werden? Bezeichnend ist, wie Frau Merkel profilierte Christen wie Friedrich Merz, Christoph Böhr, Paul Kirchhof und andere hinausgeekelt hat. Die fehlen der Partei heute sehr.
Was die Eseleien betrifft, die Frau Merkel im Zusammenhang mit ihrer „Papst-Schelte“ zu Recht vorgeworfen werden, so runden sie das Bild von dieser opportunistischen Kanzlerin nur noch ab. Ihre Insinuation, Papst Benedikt XVI. habe den abtrünnigen Bischof Williamson, der auch noch den Holocaust leugnete, rehabilitiert, hat Frau Merkel bis heute noch nicht zurückgenommen. Dazu hätte sie in Berlin und München vor den katholischen Akademien die Gelegenheit gehabt. Solange sich Frau Merkel nicht von dieser abenteuerlichen Unterstellung distanziert, der Papst hätte irgendwie etwas mit Holocaust-Leugnung zu tun, werde ich sie nicht wählen. Und so wie ich denken viele in der CDU.

FreieWelt.net: Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, um das Vertrauen der Christen in die C-Parteien wieder zu bestärken?

Ockenfels:
Durch ihr strenges Regiment hat es Frau Merkel geschafft, innerhalb ihrer Partei pointiert christliche Persönlichkeiten und Programmpositionen zu unterdrücken. Es ist traurig, wie darunter die Freiheit der innerparteilichen Diskussion stranguliert wird. Zeitgeist-Opportunisten beherrschen das Feld und verdrängen die Erfahrungen der Wertkonservativen. Diese finden aber immer noch Anklang innerhalb der CDU-Junioren und der Senioren-Union. Besondere Hoffnungsträger sind die „Christdemokraten für das Leben“ (CDL). Sie sorgen sich darum, daß es auch in Zukunft genügend Wähler für die CDU gibt.
Von einem eigenen katholischen Arbeitskreis innerhalb der CDU, wie ihn Werner Weidenfeld fordert, erwarte ich mir nichts. Katholiken können sich in der CDU organisieren und hoffentlich auch engagieren, ohne sich der „Diktatur des Relativismus“ zu unterwerfen. Allerdings bedürfen sie dazu der Rückendeckung vonseiten der katholischen Kirche. Aber auch diese Kirche scheint in der Öffentlichkeit inzwischen völlig abgetaucht zu sein. Darin liegt das eigentliche Problem.


Das Interview führte Christoph Kramer
Foto: Prof. Ockenfels

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Keine Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang