Betreuungsgeld ist "verfassungsrechtlich konsequent"

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Der Jurist Prof. Dr. Winfried Kluth hat sich als einer der elf vom Familienausschuß zur Betreuungsgeld-Anhörung geladenen Sachverständigen für die Einführung der geplanten Familienleistung ausgesprochen. Im Interview mit FreieWelt.net entkräftet er die Einwände der Betreuungsgeld-Gegner, die das Betreuungsgeld für nicht verfassungsgemäß halten und legt dar, warum es letztlich verfassungsrechtlich konsequent ist, das Betreuungsgeld einzuführen.

 

FreieWelt.net: Herr Prof. Dr. Kluth, einige Ihrer Kollegen halten den Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld für verfassungswidrig. Verwaltungsrechtler Prof. Dr. Joachim Wieland z.B. attestiert dem Gesetzentwurf u.a. einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil damit Eltern eine Prämie gezahlt würde, die ihre Kinder nicht in eine staatlich finanzierte Einrichtung geben. Wie sehen Sie das?

Prof. Kluth: Für die Anwendung des Gleichheitssatzes ist die Bestimmung des Vergleichsrahmens von entscheidender Bedeutung. Die Argumentation von Wieland nimmt nur das Betreuungsgeldgesetz in den Blick und blendet aus, dass der Bundesgesetzgeber bereits 2008, als sich der Bund in der finanziellen Förderung der Kinderbetreuungseinrichtungen engagiert hat, für das Jahr 2013 die finanzielle Förderung anderer Betreuungsformen angekündigt hat. Deshalb ist der Bezugsrahmen die staatliche Förderung aller Formen der Betreuung von Kindern im zweiten und dritten Jahr – einerseits institutionell, indem die Kitas durch den Bund finanziell gefördert, andererseits durch eine Subjektfinanzierung derjenigen Familien, die diese Förderung durch Nutzung öffentlicher Kitaplätze nicht erhalten. Diese Perspektive zeigt, dass es um Gleichbehandlung geht, nämlich die Förderung aller Betreuungsformen, wie es auch Art. 6 I GG verlangt.

FreieWelt.net: Oft wird an dieser Stelle auch eingewandt, daß man für die Nichtnutzung der ebenfalls vom Staat finanzierten Opern, Autobahnen oder Büchereien, auch kein Extra-Geld bekomme. Was ist davon zu halten?

Prof. Kluth: Diese Argumentation halte ich für polemisch, weil sie ganz bewußt den gerade geschilderten Sachzusammenhang ignoriert. Wieland versucht dies durch das Argument zu kaschieren, der Staat sei verfassungsrechtlich zur finanziellen Förderung der Kitas verpflichtet. Eine solche Pflicht kann aber allenfalls aus Art. 6 I GG abgeleitet werden und muss sich dann neutral auf alle Formen der Betreuung beziehen. Natürlich könnte der Gesetzgeber sich auch damit begnügen, die Kitaförderung nur arbeitsmarktpolitisch zu begründen, um mehr Frauen zur Berufstätigkeit zu motivieren. Abgesehen davon, dass sich auch dann ein Gleichheitsproblem stellen würde, hat der Gesetzgeber diesen Weg aber gerade nicht gewählt.

FreieWelt.net: Aber mischt sich der Staat nicht in die vom Grundgesetz garantierte Betreuungsfreiheit der Eltern ein, wenn er einseitig nur ein bestimmtes Familienmodell staatlich fördert, wie von einigen Betreuungsgeld-Kritikern behauptet?

Prof. Kluth: Wenn es sich um eine einseitige Förderung handeln würde, wäre das problematisch. Das ist auch ein Problem in der Gesetzesbegründung, die nur auf die persönliche Kinderbetreuung abstellt. Gefördert werden durch das Betreuungsgeld tatsächlich aber alle Familien, die keine staatlich geförderten Betreuungseinrichtung nutzen – und das ist auch verfassungsrechtlich konsequent. Art. 6 I GG erlaubt ja auch die Betreuung durch eine Tagesmutter oder private Arrangements. Auch dort verlangt die Gleichbehandlung der verschiedenen Formen der Gestaltung des Familienlebens eine Anerkennung. Der Staat darf hier nicht bewerten, denn das Grundgesetz geht von der Kompetenz der Eltern aus und stellt diese nur in Frage, wo das Kindeswohl gefährdet wird.

FreieWelt.net: Und durch das Betreuungsgeld wird das jetzige Ungleichgewicht endlich ausgeglichen?

Prof. Kluth: Das Betreuungsgeld zielt nicht auf einen Einkommensersatz ab und es soll auch nicht exakt den finanziellen Aufwendungen entsprechen, die für Betreuungseinrichtungen geleistet werden. Es geht eher um eine symbolische Förderung in den Fällen, in denen andere Betreuungsmodelle gewählt werden. Unter Berücksichtigung dieser Rahmenbedingungen wird ein Ausgleich geschaffen.

FreieWelt.net: Verfassungsrechtlerin Prof. Dr. Ute Sacksofsky kommt in ihrem Gutachten zu dem Schluß, daß das Betreuungsgeld gegen den Verfassungsauftrag zur Förderung der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern verstoße. Was ist an diesem Argument dran?

Prof. Kluth: Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass bei Familien mit niedrigen Grundeinkommen durch das Betreuungsgeld – das ja auf 150 € begrenzt ist ! – ein Anreiz geschaffen wird, die Berufstätigkeit zu unterbrechen. Aber dieser Anreiz ist erstens vergleichsweise gering und zeitlich begrenzt, so dass von einer rechtlich erheblichen Steuerungswirkung nicht gesprochen werden kann. Zweitens handelt es sich um eine freie Entscheidung über die Gestaltung des Familienlebens, die durch Art.6 I GG geschützt wird. Das wird von Frau Sacksofsky völlig ausgeblendet. Sie setzt wie andere Kritiker ihre Ansicht, was für Frau und Familie besser ist, an die Stelle der individuellen Entscheidungsfreiheit.

Zudem sind die zu Recht angesprochenen negativen Folgen bei der Altersversorgung, wenn man sich für die häusliche Betreuung entscheidet, im Rentenversicherungsrecht zu beachten, indem die Erziehungszeiten höher gewichtet werden. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht bereits hingewiesen, ohne dass der Gesetzgeber darauf spürbar reagiert hat.

FreieWelt.net: Prof. Wieland führt zudem an, daß der Gesetzentwurf es ermöglicht, dass bestimmte Eltern im 13. und 14. Lebensmonat ihrer Kinder doppelt kassieren können - in dem sie gleichzeitig Elterngeld und Betreuungsgeld erhalten. Auch das verstoße seiner Meinung nach gegen den Gleichheitsgrundsetz. Braucht es an dieser Stelle Nachbesserungen, wie von einigen FDP-Politikern gefordert?

Prof. Kluth: Das Elterngeld ist eine abgeschlossene Materie, die bestimmte Wahlfreiheiten in der Bezugsform eröffnet. Davon ist das Betreuungsgeld zu unterscheiden. Jede Regelung ist in sich schlüssig und es kommt nicht zu Ungleichbehandlungen, wenn sich die Auszahlungszeiträume auf Grund der Gestaltungsfreiheit beim Elterngeld überschneiden.

FreieWelt.net: Das Land Hamburg bereitet derzeit eine Verfassungsklage gegen das Betreuungsgeld mit der Begründung vor, der Bund habe für den Betreuungsgeld-Beschluß „nicht die erforderliche Gesetzgebungskompetenz“. Viele Landesregierungen sehen das ähnlich. Kann das Betreuungsgeld am Förderalismus scheitern?

Prof. Kluth: Es geht hier um zwei Aspekte: Erstens muss das Betreuungsgeld als Maßnahme der öffentlichen Fürsorge anerkannt werden. Das wurde in der Anhörung zu meinem Erstaunen nicht mehr in Frage gestellt, obwohl Wieland das vorher noch thematisiert hatte. Vermutlich hängt es damit zusammen, dass dann auch die Bundeskompetenz für die finanzielle Förderung der Kitas in Frage zu stellen ist, die ja auch die Länder die klagen wollen nicht bezweifeln. Zweitens muss die Regelung durch den Bund erforderlich sein, um einheitliche Lebensverhältnisse zu sichern. Auch hier wird man beim Betreuungsgeld nicht anders entscheiden können als bei der Kita-Förderung. Vor allem aber kann der Bundesgesetzgeber nicht einmal diese Voraussetzung bejahen (bei der Kita-Förderung) und dann verneinen (beim Betreuungsgeld).

Schließlich sehe ich den Regelungsbedarf auch unabhängig davon als gegeben. Die frühkindliche Entwicklung ist von grundlegender Bedeutung für die Chancengleichheit im späteren Leben. Wenn es deshalb einen Bereich gibt, in dem einheitliche Lebensverhältnisse durch den Bundesgesetzgeber zu garantieren sind, dann dieser Bereich.

Vielen Dank für das Gespräch!

Prof. Dr. Winfried Kluth ist Jurist an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Richter am Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt.

kluth.jura.uni-halle.de

Zur Initiative "Ja zum Betreuungsgeld!" auf www.abgeordneten-check.de

(KS)

 

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