Argentinien-Krise: Interview mit dem Lateinamerika-Experten René Fuchslocher

Argentinien stürzt durch radikalen Linksruck in die Krise

Argentinien ist in den Vorwahlen radikal nach links gerückt. Die Wirtschaft reagiert schockiert. Das Land stürzt in die Krise. Die Aktien sind an einem Tag um 37% gefallen, der Peso fällt ebenfalls. Welche Perspektiven hat das Land?

René Fuchslocher. Foto: Freie Welt
Veröffentlicht:
von

Freie Welt: Herr Fuchslocher, wie deuten Sie die Wahlen am vergangenen Sonntag in Argentinien?

René Fuchslocher: An diesem Sonntag wurden in Argentinien die offenen, gleichzeitigen und obligatorischen Vorwahlen (PASO) abgehalten, ein Wahlverfahren, bei dem die Kandidaten jeder Partei oder eines jeden Bündnisses für die Wahlen im Oktober festgelegt werden. Da jedoch diesmal jede Partei für die Präsidentschaftswahlen nur einen einzigen Vertreter präsentierte, gilt das, was an diesem Sonntag zu sehen war, als umfassende Umfrage.

Die linke Oppositionsliste von Alberto Fernández und der ehemaligen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner erreichte im Vergleich zur Liste von Präsident Macri – 48% gegenüber 32% – einen großen Stimmenvorsprung.

Um am 27. Oktober die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen, muss der Hauptkandidat 45% der gültigen Stimmen oder 40% der gültigen Stimmen mit einer Differenz von 10 Punkten zum zweiten Kandidaten erhalten. Wenn keiner der beiden Fälle eintritt, findet am 24. November eine zweite Wahlrunde statt.

Freie Welt: Welche Auswirkungen hätten diese Ergebnisse auf die argentinische Wirtschaft, wenn sie im Oktober oder November bestätigt würden?

René Fuchslocher: Die sind bereits so relevant, dass die wichtigsten Reaktionen auf die Wahlen nicht vom politischen Sektor kamen, sondern vom argentinischen Aktienmarkt, der mit 37% an einem einzigen Tag einen der schlimmsten Rückgänge in der Geschichte verzeichnete. Und der Peso sank um mehr als 15%.

In einem Bericht der englischen Beratungsfirma Capital Economics heißt es: »[...] der umfassende Sieg von Alberto Fernández bei den Vorwahlen in Argentinien ebnet den Weg für die Rückkehr zum Linkspopulismus, den viele Investoren fürchten.« Das Unternehmen geht davon aus, dass der Schuldenindex des Landes von 86% des BIP auf 100% ansteigen wird, was weit von dem vom Internationalen Währungsfonds (IWF) geschätzten Ziel von 76% des BIP abweicht und die Wahrscheinlichkeit eines Staatsbankrotts weiter erhöht. So könnte der IWF die Kreditvergabe einstellen und eine Umschuldung beantragen. Die fünfjährigen argentinischen Credit Default Swaps (CDS) erreichten tagsüber 800 Punkte, was einer impliziten Ausfallwahrscheinlichkeit von 70% entspricht, so zumindest nach Bloomberg-Berechnungen.

Macri folgte auf Cristina Fernández Ende 2015 mit dem Versprechen, die Wirtschaft anzukurbeln und Argentinien in die internationalen Märkte zurückzubringen. Nach einer Währungskrise im Jahr 2018 war er jedoch gezwungen, eine beispiellose Rettungsaktion des IWF in Höhe von 56 Milliarden US-Dollar zu beantragen und die Leitzinsen um mehr als 70% zu erhöhen. Obwohl die Wirtschaft zu Beginn dieses Jahres Anzeichen einer langsamen Erholung von der Rezession zeigte, konnte dies die Wähler nicht davon überzeugen, Macri am Sonntag zu unterstützen.

Horacio Pozzo, Makroökonomie-Professor der argentinischen Universidad Católica de La Plata, erklärt dazu: »Die Leute haben sich nur um ihr angebliches wirtschaftliches Wohlergehen gekümmert, und zwar in Bezug auf andere wichtige Themen, bei denen diese Regierung Fortschritte erzielt hat, wie die Bekämpfung der Korruption, der Drogenhandel und die Verbesserung der Infrastruktur usw. Die internationalen Finanzmärkte werden dieses Ergebnis sehr schlecht verkraften, weil es ein schlechtes Zeichen für uns als Gesellschaft ist.«

Freie Welt: Wie wirkt sich das auf die Situation in Ihrem Land Chile aus?

René Fuchslocher: Chile und Argentinien haben eine gemeinsame Grenze von 5.308 Kilometern, so dass im Laufe der Zeit ein ständiger Personen- und Warentransit zwischen den beiden Nationen stattgefunden hat.

In Chile äußerte Präsident Sebastián Piñera seine Meinung zur Niederlage von Macri folgendermaßen: »[...] das, was in Argentinien passiert ist, wird uns beeinflussen, aber die chilenische und die argentinische Wirtschaft befinden sich in sehr unterschiedlichen Situationen. Die chilenische Wirtschaft wächst, und wir hoffen, dass sie in der zweiten Jahreshälfte ihr Wachstum stärken wird.« Tatsächlich haben die nationalen Unternehmen mit Investitionen in Argentinien in den letzten Tagen Verluste an der Santiago-de-Chile-Börse erlitten.

Auf der anderen Seite hat Chile mit rund 100.000 Einwohnern die größte argentinische Kolonie der Welt, die es als ein konservatives Land mit guten wirtschaftlichen Aussichten, Sicherheit und besserem Zugang zu Krediten ansieht. Im Allgemeinen handelt es sich um junge Berufstätige, die sich perfekt integriert haben. Es ist daher nicht zu befürchten, dass der Migrationsstrom nach Chile infolge des möglichen politischen Wandels in Argentinien schädlich sein könnte.

Auf diese Weise wird – mit Ausnahme der Auswirkungen auf bestimmte Unternehmen und der indirekten Effekte der politischen Instabilität im Nachbarland – die derzeit gute Situation in Chile nicht wesentlich beeinträchtigt werden.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Karl Napp

Linke Regierungen haben noch immer zur Verarmung der Bevölkerung, zum Fettwerden der linken Parteifunktionäre und zur Unterdrückung der nicht- linken Meinungen geführt.

Gravatar: patrick feldmann

hier ist ein Druckfehler"und zwar ( in)OHNE Bezug auf andere wichtige Themen, bei denen diese Regierung Fortschritte erzielt hat,"

Man wundert sich, dass auch gebildetere Argentinier Anhänger des Kirchnerismus /Peronismus sind. Und das obwohl evident ist, dass die Regierung Macri v.a. mit den übernommenen Altlasten der Sozialisten zu kämpfen hat. Und zumal das abschreckende Menetekel Venezuela wie ein Fanal über Südamerika prangt.

Die Erklärung scheint diffizil. Einerseits leidet Arg. unter einer Mentalität, die den Sozialismus in allen peronistischen Ausprägungen als neidisxhen und ungebildeten Egalitarismus förmlich ausdünstet. Andererseits besteht die politische Diskussion nur aus emblematischen Telenovela Schkagabtauschen ohne echte Richtungsweisungen.
Dies wird flankiert durch eine überbordende insuffiziente Bürokratie und Staatswillkür, die fast alle Argentinier anödet , so sie denn auf der falschen Seite der Schalter sitzen.
Eigeninitiative wird strukturell behindert.
Wirtschaftlich schwankt man zwischen Protektionismus/Isolationismus und Phasen unkritischer Totalöffnung.
Den meisten Argentiniern ist klar, dass man einen bitteren Heilungsprozess vorantreiben muss, aber nur die wenigsten haben den langen Atem dazu.
Macri hat handwerkliche Fehler zu Hauf gemacht (Prozesse der Entbürokratisierung zu langsam, Liberale Öffnung zum Weltmarkt zu schnell für die Industrie).

Gravatar: Ekkehardt Fritz Beyer

... „Argentinien stürzt durch radikalen Linksruck in die Krise“ ...

Wie aber kam es dazu?

René Fuchslocher:

... „In einem Bericht der englischen Beratungsfirma Capital Economics heißt es: »[...] der umfassende Sieg von Alberto Fernández bei den Vorwahlen in Argentinien ebnet den Weg für die Rückkehr zum Linkspopulismus, den viele Investoren fürchten.« ...

Träumt unsere(?) Allmächtige(?) von den sich nun in Argentinien vollziehenden Verhältnissen seit ihrem Amtsantritt nicht auch für Deutschland?

... „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten", sagte SED-Chef Ulbricht am 15. Juni 1961. Heute ist der „Ulbricht-Moment“ – die Leugnung des Offensichtlichen – zurück in Deutschland. Jeder sechste Deutsche hat eine linksradikale Grundhaltung. Weil wir nie die Lehren aus dem linken Totalitarismus gezogen haben.“ ...
https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/boris-reistschuster-berlin-extrem/ard-instrumentalisiert-mauerbau-jahrestag-der-grosse-linksruck/

Bezieht sich das im letzten Satz dieses Zitats erwähnte „wir“ etwa nicht auf „Grün, Gelb, Rot – besonders aber das göttliche(?) Schwarz, welches eine derartige Entwicklung ermöglichte???

Da wird mir schon deshalb völlig ´Blau` vor Augen, weil sich die Göttin(?) schon darum von Keinem niemals unter Druck setzen lässt, weil sie doch behauptet, Deutschland wäre souverän!!!

Und deshalb(?) nach ureigenstem(?) Gedünken handelt??? https://www.indiskretionehrensache.de/2018/05/angela-merkel-twitter/

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang