Zurück zum Rechtsstaat

Eltern und Kinder müssen „Zumutungen ertragen“

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Im Prozeß gegen ein Ehepaar, das seine Kinder zuhause unterrichtet, konnten sich weder Staatsanwalt noch Angeklagte durchsetzen. Forderungen nach maximaler Gefängnisstrafe wie auch nach Freispruch stießen auf taube Ohren. Lieber beließ das Landgericht es beim erstinstanzlichen Urteil vom 22. Mai 2013.

 

Die juristischen Ausführungen Pro und Contra Hausunterricht verfolgten zwei Dutzend Pressevertreteter und Zuschauer. Bisherige Mediendarstellungen lassen jedoch zweifeln, ob jemand verstanden hat, was da vorgefallen ist. Richtig, man verhandelte die Berufung von Marit und Thomas Schaum aus Hülsa, Nordhessen. 1400 Euro Geldstrafe für gut beleumundete Bildung und Erziehung dreier Töchter: welche Eltern würden solche Zumutung eines Amtsgerichts einfach hinnehmen? Unzufrieden mit dem damaligen Urteil war auch der Staatsanwalt. Angetreten, das Übel des nicht-zur-Schule-Gehens auszumerzen, forderte er eine härtere Gangart. Also sahen alle Augen nach Kassel.

Vieles kam auch zur Sprache: Integrität und Gewissensnot der Angeklagten, das redliche Bemühen um staatliche Anerkennung, die guten Ergebnisse ihrer Hausschule; aber auch eine gesichtslose Schulbehörde, nicht rechts noch links blickend, sture Bestrafung abweichenden Verhaltens. Dann stakte hölzern und leicht verbiestert der Staatsanwalt durch die Szenerie. Ihm war die undankbare Rolle des Bösewichts zugedacht, der gegen alle Vernunft ein Menschenopfer forderte. Die beiden Verteidiger argumentierten kompetent und sachlich am konkreten Fall: Rechtsstaatliche Gesetzeskunde vom Feinsten. Auch die Mahnung fehlte nicht, eine andere, bessere Lösung zu finden, als nur immer blind auf Glaube und Gewissen dreinzuschlagen. Gut, daß die Angeklagten ein letztes Wort hatten. Gut, daß wir in einem Rechtsstaat leben, der das alles zuläßt. Rechtsstaat?

„Rechtsstaat ist, wo man Zumutungen erträgt“

Nur wenige Minuten benötigte Landrichter Dirk Liebermann, um den angespannten Zusammenprall von Elternrecht und Knast in politisch korrektes Wohlgefallen aufzulösen. Das Landgericht sah keinen Grund, die Bestrafung der Eltern abzuändern, das untergeordnete Amtsgericht habe „zutreffend“ geurteilt, Ahndung müsse sein, nicht zu wenig, nicht zu heftig. Schließlich ruft Liebermann den Angeklagten zu: „Kommen Sie zurück zum Rechtsstaat! Halten Sie die Zumutungen aus!“ Dem altväterlich anmutenden Appell lag die Definition zugrunde, wonach „Rechtsstaat ist, wo man Zumutungen erträgt.“ – frei nach Bundeskanzler Gerhard Schröder, der weiland die massive Umdeutung des Familienbegriffs in der Öffentlichkeit schlaubergernd einführte: „Familie ist, wo ein gemeinsamer Kühlschrank steht.“

Zurück in die Provinz: Nach Liebermann werde der „Rechtsstaat“ von den vielen Menschen getragen, „die die Zumutungen aushalten, die er ihnen aufbürdet.“ Zu solchen Personen zählte der Richter Schaums nicht. Denn die ertragen nichts. Die halten nichts aus. Die wenden sich gegen die Schulpflicht und „begehen Straftaten gegen Gesetze.“ Da spielt es keine Rolle, daß ihre Kinder sehr gut geraten sind und niemandem durch ihren Hausunterricht schaden. Denn sie gehen auf keine Schule, sind nicht „anderen Meinungen ausgesetzt“. Da tut es nichts zur Sache, daß die angewandten Gesetze womöglich unbestimmt, unpassend oder einfach verfassungswidrig sind. Hauptsache „Rechtsstaat“, Hauptsache Zumutungen, auf Biegen und Brechen.

Alles Rechtsverständnis pervertierende Heuchelei

Aus fernen Landen und ferner Zeit weht ein Wort herüber: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Unter dem unmittelbaren Eindruck totalitärer Gewalt war der geschlagene Geist noch geschärft: Das Innerste, Verletzlichste des Menschen – von nun an sollte der Staat es „achten und schützen“. Aber heute? Schon lange ist nichts mehr übrig von „Achtung“ oder „Schutz“: Erst recht nicht, wenn es um Hausunterricht geht, auch nicht in Kassel. In des lieben Richtermannes Augen bestand das Vergehen von Schaums ja gerade darin, daß sie auf die Achtung ihrer Menschenwürde pochten: Menschenwürde von Eltern, die es nicht ertragen können, daß die Menschenwürde ihrer Kinder an Schulen mit Füßen getreten wird. Dadurch aber befanden Schaums sich im Aus. Folglich die alles Rechtsverständnis pervertierende Heuchelei: „Das wünsche ich mir, daß Sie zurückkehren zum Rechtsstaat, Zumutungen auszuhalten.“

Liebermanns Definition vom „Rechtsstaat“ ist das Ende rechtsstaatlicher Verfahren. Ein solcher Staat darf alles verlangen, alles fordern, auch wenn die Menschenwürde dabei zu Bruch geht: Staat befiehl, wir halten aus! Und die Medienvertreter? Die haben nichts gemerkt – außer Spesen nichts gewesen. Doch die eigentliche Abrechnung kommt noch. Bestimmt.

 

Beitrag erschien zuerst auf derblauebrief.net

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Anne Hofmann

Wir dürfen nicht mehr alles vereinheitlichen!
Jedes Kind hat seine individuelle Fähigkeiten und Begabungen, die durch unterschiedliche Konzepte der Beschulung bestmöglich gefördert werden sollten. Warum also nicht auch durch Hausunterricht? Privatschulen sind möglich, Hausunterricht aber nicht ? Hier braucht es in Deutschland ein übergeordnetes Prüfsystem wobei jeder "Verdummung" entgegnet werden könnte. Ich sage: Jeder Mensch lernt anders! Frei nach dem Motto von Maria Mobtessori:

"Hilf mir, es selbst zu tun. Zeige mir, wie es geht. Tu es nicht für mich. Ich kann und will es allein tun. Hab Geduld meine Wege zu begreifen. Sie sind vielleicht länger, vielleicht brauche ich mehr Zeit, weil ich mehrere Versuche machen will. Mute mir Fehler und Anstrengung zu, denn daraus kann ich lernen."

Deutschland braucht ein exzellentes und vorallem differenziertes Bildungssystem, dass den Einzellnen Berücksichtigt! Wir dürfen dabei ruhig zu unseren Nachbarn in Europa schaunen! Ich frage: Wie wollen wir ein Land von Dichtern und Denkern bleiben? Durch ein EInheitsbrei in der Beschulung? Hier sollten wir intensiv in die Zukunft der Nächsten Generation investieren!

Gravatar: Marlis Reichert

Homeschooling sollte möglich sein. Die Ergebnisse bzw der jeweilige Wissensstand kann ja überprüft werden, der war ja im gegebenen Fall offensichlich in Ordnung! Auch in einer Schule kann ein Kind dumm bleiben. Es kann unterfordert oder überfordert sein, in der Masse untergehen, gemobbt werden und so schweren Schaden erleiden. Lehrer haben oft keine Übersicht und kaum eine Handhabe. Ich kenne zwei Fälle von Psychose, in denen Mobbing offrnsichtlich eine Rolle spielte!!! In zwei anderen Fällen haben Elzern notgedrungen eine andere Schule für ohr Kind gewählt.Die Täter konnten bleiben!!! Eo ist da der Rechtsstaat?

Gravatar: Waltraud Möller

Ein zulassen von Heimunterricht würde bedeuten, dass den Kindern ihr Recht auf unabhängige Information und sozialer Interaktion genommen würde.

Umgekehrt würde das bedeuten, dass die Eltern ein Recht hätten ihren (von ihnen abhängigen) Nachwuchs auf Gedeih und Verderb zu verdummen, aber scheinbar ist das manchen nur recht.

Das Urteil ist deshalb zu begrüßen.

Gravatar: Karin Weber

Im Umkehrschluss hat der Richter klar und deutlich festgestellt, dass der Rechtsstaat eine Zumutung ist. Damit hat er zweifelsfrei Recht.

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