Zorn, Angst und Ohnmacht

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Ob Kiew, Gorleben oder Stuttgart 21: Oft entsteht Gewalt wegen schlechter Kommunikation. Wie man aus Betroffenen Beteiligte macht.

Die Straße brennt, Steine fliegen und Wasserwerfer schäumen. Barrikaden aus Gerümpel und umgekippten Autos auf der einen Seite, ein Polizistenheer hinter einem Schildermeer auf der anderen. Behelmte Beamte stehen einer aufgewühlten Menge gegenüber. Bürgerkrieg. Wutbürger attackieren die Staatsmacht, die dem Recht Geltung verschaffen und die öffentliche Ordnung wieder herstellen will. Trittbrettfahrer mischen mit und auf. Eine Spirale der Gewalt gebiert Zorn, Angst und Ohnmacht.

Was auf dem Maidan-Platz in Kiew im Kampf um demokratische Grund- und allgemeine Menschenrechte legitim und angemessen erscheint, war beim blutigen Kampf um den Bau der Startbahn West am Frankfurter Flughafen, den heftigen Auseinandersetzungen um das Atomkraftwerk Brokdorf und den langjährigen Protesten gegen das Atommülllager in Gorleben aber auch hierzulande aufschreckende Realität.

Die Gewaltexzesse reißen nicht ab; zuletzt ging es beim Abriss des alten und der Errichtung des neuen Bahnhofs „S 21“ in Stuttgart rabiat zur Sache. Nicht nur der zu Hilfe gerufene Schlichter Heiner Geißler stellte die Frage, wie man es in Deutschland künftig noch bewerkstelligen könne, dass Großprojekte im gesellschaftlichen Konsens realisiert und neue Technologien akzeptiert und gewaltfrei umgesetzt werden können.

„Gorleben ist überall“

Denn die Gesellschaft erlebt sich aufgespaltet in Interessengruppen und zerrissen durch Großkonflikte. Großprojekte wie Flughäfen, Strom- und Verkehrstrassen oder Kraftwerke, aber auch komplexe und umweltrelevante Technologien wie der Braunkohletagebau, das Öl-Fracking und die CCS-Verklappung zur CO2-Abscheidung und Speicherung oder auch der Bau von Pump und Speicherkraftwerken scheinen vielerorts kaum noch durchsetzbar.

Der Schlachtruf „Gorleben ist überall“ ertönt nicht nur im Wendland. Bereits in den 80er-Jahren galten die Kampfansagen auch der Pharma- und Chemieindustrie; heute richten sie sich verstärkt gegen die Gen-, Bio- und Nanotechnologie, Tierversuchslabore und Massentierhaltung, die Nahrungsmittelindustrie und die monokulturelle Landwirtschaft.

Die Energiewirtschaft, Kohle und Stahl, aber auch die Autoindustrie und mit ihnen die Infrastruktur und Mobilität des Landes stehen im Fokus einer oft leidenschaftlich geführten Debatte. Obwohl es bei der Planung von Großprojekten so viel Bürgerbeteiligung gibt wie noch nie, ist die Klageschwelle extrem niedrig. Erstaunlich: Rund 40 Prozent aller Klagen von Verbänden wie dem BUND gegen Großprojekte sind nach der Erfahrung der Berliner Verwaltungsjuristin Andrea Verweyl erfolgreich und führen zur Aufhebung von bereits erteilten Genehmigungen. Denn allzu oft werden die Bürger erst im fortgeschrittenen Stadium einer Planung um ihre Meinung gefragt und bei der Projektgestaltung oft nicht ernsthaft genug beteiligt.

Blaupause für strukturierte Kommunikation

Gegen gesellschaftliche Selbstblockaden und technologischen Stillstand geht nun der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) mit seinem Entwurf einer Richtlinie mit dem Titel „VDI 7000“ in die Offensive. Die einer breiteren Öffentlichkeit am 23. Januar auf einer Fachtagung in Berlin vorgestellte Richtlinie versteht sich als ein „dialogisches Beteiligungskonzept“, das Entscheidungsprozesse und Begründungszusammenhänge transparenter machen und das „notwendige Vertrauen“ in die Akteure stärken soll.

Rund zwei Jahre lang sind Ingenieure, Juristen, Politiker und Kommunikationsexperten der VDI-Einladung gefolgt, haben von unterschiedlichen Standpunkten aus debattiert und dann den Entwurf der Richtlinie ausgearbeitet; bis März soll sie nun in einer „Konsolidierungsphase“ öffentlich diskutiert werden und dann als kommunikativer Masterplan für Management-Prozesse zur Verfügung stehen. Dabei will die Richtlinie nicht mehr und nicht weniger als eine rechtlich unverbindliche Blaupause für einen strukturierten Kommunikationsprozess mit dem Bürger und einer frühen Beteiligung der Öffentlichkeit bei Industrie- und Infrastrukturprojekten sein.

Ziel ist, Innovations- und Entwicklungsprozesse zu befördern und dabei zugleich gesellschaftliche Anliegen wie den Umwelt- und Naturschutz angemessen zu berücksichtigen. Dabei haben die Experten aus erfolgreich verlaufenen Dialogprozessen wie dem Projekt der Daimler-Teststrecke in Immendingen am Bodensee Lehren gezogen und entsprechende Maximen aufgestellt. Dieses Projekt war zunächst auf viel Widerstand gestoßen; nun wird der Autokonzern mit Zustimmung der Umweltverbände ein ehemaliges Militärgelände nutzen und dort bis 2017 ein Prüf- und Technologiezentrum errichten.

Voraussetzung: Kultur- und Wertewandel

Für die Notwendigkeit eines frühzeitigen Bürgerdialogs schon in der ersten Projektplanungsphase soll besonders das Management von Unternehmen und Verwaltungen sensibilisiert werden. Ein kompetenter Umgang mit den verschiedenen Anspruchsgruppen (Stakeholdern) wie Nachbarn, Umwelt- und Verbraucherschützern kann in Trainings erlernt und eingeübt werden. Alternative Konfliktlösungen zu langwierigen und kostenträchtigen rechtlichen Auseinandersetzungen lassen sich am besten mit einer dauernden Tuchfühlung im Dialog mit dem Bürger und einer kontinuierlichen Medienarbeit vor Ort bis zur Bauphase und Fertigstellung eines Projekts erreichen.

Die entscheidende Voraussetzung für einen erfolgreichen gesellschaftlichen Dialog aber ist ein tiefgreifender Kultur- und Wertewandel. Die Einstellung und das Bewusstsein von Führungspersönlichkeiten in Industrie und Verwaltungen müssen sich ändern. Eine rein reaktive Verteidigungshaltung führt zu einem verkrampften Festhalten an nur formal legalen Entscheidungen und damit in eine kommunikative Sackgasse.

Ein wahrer Dialog der Manager mit den Bürgern aber setzt einen Perspektivwechsel voraus. Klugheit als Erkenntnishaltung will die oft komplexe Wirklichkeit mit vielen Augen und von verschiedenen Seiten und Blickwinkeln aus anschauen. Nur so lassen sich über differenzierte Sachverhalte auch differenzierende Aussagen machen. Dabei geht es auch um eine Überwindung der „Asymmetrie des Wissens“; technologische Know-how-Träger sollten ihren Dialogpartnern aus den Stakeholder-Gruppen nicht mit einer überheblich wirkenden Arroganz, sondern respektvoll und mit anerkennender Wertschätzung begegnen. Brigitte Dahlbender vom BUND fordert mit Recht, dass die Manager im Dialog mit dem Bürger aus einer reinen Informationshaltung in eine Fragehaltung finden müssten.

Solches Denken steigert das Risiko

Der Weg hinaus aus einer bloßen Bunker- und Wagenburgmentalität, die in jedem Frage- einen feindlich gesinnten Infragesteller und prinzipiellen Technikgegner vermutet, aber setzt die Bereitschaft voraus, die eigenen Vorhaben auch zu hinterfragen und das eigene Handeln im Gespräch zu begründen. In früheren Zeiten vernehmbare Einlassungen wie „das sind alles Kommunisten“ oder „damals hat der Kaiser ein Projekt einfach genehmigt und eine Zulassung erteilt“ führen nicht weiter.

Solches Denken steigert das Risiko, dass Projekte wie die in den 80er-Jahren geplante atomare Wiederaufarbeitungsanlage im oberpfälzischen Wackersdorf oder das Atommülllager in Gorleben schlussendlich komplett scheitern und dem Vorhabenträger enorme Kosten aufbürden. Hier können eine frühzeitige und umfassendere Bürgerbeteiligung und eine profunde Vorbereitung mit einem guten Kommunikations- und Dialogtraining zu einer erheblichen Minderung der vielfältigen Kostenrisiken beitragen.

Aber auch Stakeholder wie Umweltgruppen und Bürgervereine müssen ihre Angst vor einer Vereinnahmung überwinden. Eine Dialogführung nach dem „Alles oder nichts“-Prinzip ist genauso wenig sachdienlich wie das Einigeln in einer „David gegen Goliath“-Phobie. In Anlehnung an das Harvard-Konzept mit der Methodik des „sachgerechten Verhandelns“ empfiehlt die VDI-Richtlinie, in Alternativen zu denken, verbleibende Interessenunterschiede möglichst zu minimieren und nach „Win-Win“-Szenarien Ausschau zu halten, bei denen es auf der Beziehungsebene weder Sieger noch Besiegte gibt. Zwangsvokabeln wie „müssen“, wechselseitige aggressive Vorhaltungen und zurechtweisende „Du-Botschaften“ gehören in die Rumpelkiste einer wenig zielführenden Kommunikation. Sonst, so die Befürchtung von Dahlbender, würde ein Dialogprozess „nur angeleiert, um den Partner über den Tisch zu ziehen“.

Öffentlichkeitsarbeit kann viel Schaden verhindern

Doch nicht alle Konflikte lassen sich vorwegnehmen und schon im Vorfeld eines Projekts ausräumen. Es gibt Projekte, die nicht dialog- und damit kaum akzeptanzfähig sind. Wackersdorf, Gorleben oder auch viele Formen des Einsatzes von Gentechnik in Nahrungsmitteln sind dafür Synonyme. Andere Entscheidungen wie seinerzeit dieNATO-Nachrüstung mit atomaren Pershing-II-Mittelstreckenraketen gegen die sowjetische Nuklearbedrohung sind wegen ihres existenziellen Charakters nicht oder nur begrenzt außen- und auch gesellschaftspolitisch verhandelbar.

Der sogenannte NATO-Doppelbeschluss enthielt aber neben der unabdingbaren Stationierungsentscheidung zugleich ein Verhandlungsangebot an die Sowjets, das später auch zum Bestandteil einer umfassenden Abrüstungspolitik geworden ist. Im politischen Raum gibt es neue Diskussionen über die Wechselwirkung des repräsentativen Mandats und der imperativen Einflussnahme der Bürger. Doch auch im Zeitalter der sozialen Netzwerke und einer auch demokratisch gewählte politische Repräsentanten beeinflussenden „Follower-Kultur“ schwebt das „scharfe Schwert der rechtlichen Zulassung und Genehmigung“ (Martin Fuchs, Vorsitzender der Geschäftsführung von Tennet) noch weiter über allen Vorhaben.

Doch eine umfassende und bereits in der internen Planungsphase einsetzende Bürgerbeteiligung und eine frühzeitige und kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit können viel Schaden verhindern und manches Projekt befördern.

Beitrag erschien zuerst auf: theeuropean.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Stephan Hasselbach

Eine gute und sehr ausführliche Darstellung des Themas. Unter der Überschrift "Dialogkultur schafft Akzeptanz" gibt es hierzu auch einen Beitrag in unserem VDI-Blog: http://ow.ly/t3QWc

Gravatar: Markus Hitter

Zu den "technologischen Know-How-Trägern": welche Seite ist damit gemeint? Die Bürger oder die Projektbetreiber? Gerade beim Projekt Stuttgart 21 drängt sich wie ein roter Faden auf, dass die Kompetenz auf Bürgerseite eher höher als die auf seiten der Bauherrin ist.

Besonders verwunderlich ist das nicht: Mitarbeiter verlieren ihr Wissen nicht plötzlich, wenn sie Feierabend machen oder in Rente gehen. Wissenschaftler bleiben auch dann kompetent, wenn sie nicht vom Projektbetreiber angestellt werden. Es gibt Zulieferer, die auch von Bürgeraktionen beauftragt werden können. Engagierte Leute eignen sich das allgemein zugängliche Wissen an. Und plötzlich kommt die Bauherrin in Erklärungsnot und muss sich in Geheimhaltungen und Zukunftsversprechen flüchten.

Was ich damit sagen will: mit überlegenem Know-How zu prahlen ist nicht nur snobistisch, es geht auch leicht nach hinten los. Man sollte immer damit rechnen, dass die Bürger recht mühelos auf Augenhöhe diskutieren können. Und ab der Stelle lassen sich nur noch Projekte durchsetzen, die auch wirklich Sinn machen (was im Fall Stuttgart 21 nicht der Fall ist).

N.B.: Bevor mir jemand vorwirft, ich wäre Zukunftsverweigerer: dass Stuttgart einen besseren Bahnhof braucht ist auf allen Seiten unumstritten. Doch die Sanierung des bestehenden Bahnhofs würde weniger als die Hälfte kosten, wäre erheblich risikoärmer und hätte ein leistungsfähigeres Ergebnis. Auch mehr als vier Jahre nach dem "Baubeginn".

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