Zeit kann ich mir persönlich nicht ohne Existenz des Raumes vorstellen, so wie mir umgekehrt das Phänomen des Raumes ohne gleichzeitiges Vorhandensein der Zeit unerklärlich bleibt. Für meine laienhafte Vorstellung gehören Zeit und Raum untrennbar zusammen, was natürlich „die letzte Ursache“ nicht erklärt.
Zu allen Zeiten haben Menschen versucht, eine letzte Ursache zu erfragen. Die mehr als bescheidenen Ergebnisse allen Nachforschens beweisen sein Unvermögen zu „sehen“, was man nicht sehen kann. Das Verhaftetsein in der Materie beeinträchtigt zwangsläufig die geistige Fähigkeit, Raum und Zeit zu transzendieren. Die Kette der Kausalitäten wird allenfalls bis ins zweite oder dritte Glied zurückverfolgt. Das nun aber hat beträchtliche Auswirkungen auf die gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Wirklichkeit, in der wir uns heute wiederfinden.
Was man sieht und was man nicht sieht
Der französische Historiker Frédéric Bastiat (1801– 1850) hat die oberflächliche Betrachtungsweise, die zur Konstruktion unsinniger Kausalitäten beiträgt, in seiner lesenswerten Schrift „Was man sieht und was man nicht sieht“ treffend dargestellt. „Im Bereich der Ökonomie ruft eine Handlung, eine Gewohnheit, eine Einrichtung, ein Gesetz nicht nur eine einzige Wirkung hervor sondern eine Reihe von Wirkungen. Von diesen Wirkungen ist nur die erste direkt, sie zeigt sich gleichzeitig mit ihrer Ursache, man sieht sie. Die anderen entwickeln sich erst nach und nach, man sieht sie nicht; glücklich wenn man sie vorhersieht.“ schreibt er in der Einleitung des lesenswerten Essays (bastiat.de/index2.html).
Halbbildung spezialisiert sich seit jeher auf Sichtbares. Primitive Kulturen verharren auf einer Art Oberflächendenken, dessen Kausalkonstruktionen sich am Sichtbaren orientieren. Hinter Unverstandenem werden magische Kräfte vermutet. In seiner Kindheit durchläuft der Mensch eine Phase, in der oberflächliche Kausalkonstruktionen das Denken beherrschen. Im Laufe der Jahre entfaltet sich dank praktischer Lebenserfahrung und die daran gekoppelte Erinnerungsfähigkeit das abstrakte Denken. (Dieses kann geschult werden – oder auch nicht. Die geistige Atmosphäre in unserer medienkonformen Massendemokratie scheint der Entwicklung anspruchsvollen kausalen Denkens wenig förderlich zu sein.)
Unter der Laterne
Kurzschlüsse im Denken sind bequem, sie sparen Zeit und Energie. Weil Zeit Geld ist, sind Ersparnisversprechen aller Art unwiderstehlich. Die „Geiz-ist-geil-Haltung“ prägt nicht nur das Kaufverhalten, sondern auch den Geist des modernen Menschen. Denkkurzschlüsse sind wohlfeil zu haben und prägen das gesellschaftspolitische Treiben. Medien und Wissensindustrie konstruieren „letzte“ Kausalitäten am liebsten dort, wo räumliche oder zeitliche Zusammenhänge sichtbar ins Auge springen. Man sucht den Schlüssel unter der Laterne allein aus dem Grund, weil es dort hell ist. Das ist ein netter Zeitvertreib, aber nicht recht zielführend, wie man zugeben muß. Um sein Leben nicht mit Unsinnigkeiten verplempern zu müssen, lenke man seinen Blick auf nüchterne empirische Daten. Wo sich selbst nach intensivem Suchen kein Schlüssel findet, ist auch keiner. Dazu bedarf es keiner Expertisen. Der eigene, biedere Verstand – sofern man ihn bemüht – genügt, um das zu erkennen.
Und doch: der Mensch liebt das Licht seiner Laterne. Er will nichts von Bastiat wissen, auch nichts von letzten Ursachen. Lieber stellt er phantasievolle Kausalitäten her, an die er glauben will wie ein Kind. Mütter pflegten früher am Mittagstisch zu warnen: „Wenn du nicht alles aufißt, wird morgen das Wetter schlecht.“ In dieselbe Schublade gewagter Kausalkonstruktionen gehört auch der anthropogene Klimawandel.
Scheinkausalitäten sind ein weitverbreitetes Übel
Aber nicht nur in Naturwissenschaften blüht der Wahn, Kausalitäten im Licht der Laterne miteinander kausal zu verknüpfen. Die selbst unter gelernten Ökonomen verbreitete Auffassung, Papiergeld verkörpere den Wohlstand, weshalb die Erschaffung von möglichst viel Papiergeld aus dem Nichts die Menschheit endgültig aus aller wirtschaftlichen Not erlösen könne, entspringt einem an der Oberfläche verhafteten Denken in Scheinkausalitäten. Ein weiteres Beispiel bietet die Schulpädagogik, deren Methoden sich in den vergangenen Jahrzehnten grundsätzlich am Sichtbaren ausgerichtet haben. Weil man sieht, daß gebildete Personen zu autodidaktischem Lernen neigen, hält das kausale Kurzschlußdenken die bewunderte Selbständigkeit des Denkens nicht für Folge einer bereits vorhandenen Bildung, sondern für deren Voraussetzung. Das didaktisch-methodische Ergebnis: man konfrontiert Schulkinder mit einer Flut ungefilterter Wissensfragmente und fordert sie auf, sich daran „selbständig zu bilden“. Das entspricht dem Versuch, einem Nichtschwimmer das Kraulen beizubringen, indem man ihn ins tiefe Wasser befehligt. Tragischer sind die Resultate des Kurzschlußdenkens in der Onkologie. Die Kausalkette bricht schon am ersten Glied ab, man entfernt das für jedermann sicht- und fühlbare Krankheitssymptom und glaubt schließlich in verzückter Selbsthypnose daran, damit sogleich auch die Krankheitsursache beseitigt zu haben.
Die letzte Ursache werden wir wohl nie herausfinden. Letzte Ursachen aber sehr wohl. Je mehr Mühe der Mensch in das das Aufspüren verdeckter Kettenglieder in der Hierarchie der Ursachen aufwendet, desto nutzbringender wird er seine Zukunft gestalten können. Das mentale Leiden der Halbbildung, die all das zur Grundursache erklärt, was sichtbar ist, hat es zu allen Zeiten gegeben. Allerdings enthält die simple Anwendung des Verstandes heute ein Gefahrenpotential, das größer ist als je zuvor. Der Mensch hat, geistig immer noch der Zwerg, der er immer war, inzwischen Techniken entwickelt, deren praktische Gewalt dazu imstande wäre, unseren Planeten in die „Steinzeit“ zurückzuführen.
Kommentare zum Artikel
Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.
Religionen geben doch vor, die letzte Ursache gefunden zu haben. Auch dies - ein großer Bluff.
Danke für Ihren klugen Beitrag Frau Pfeiffer-Stolz!
Als Halbgebildeten gefallen mir die beschriebenen Aspekte von Raum und Zeit. Ich sehe den Raum als dreidimensional und mit der vierten Dimension Zeit in einem Kontinuum. Welche weiteren Dimensionen sich dazu abstrahierend denken lassen, wird so komplex, dass völlig entspannende Vorstellungen allgemein gerne bevorzugt werden.
Es sei denn, die eigene Lebensbefindlichkeit stört sich am zuversichtlichen Menschsein und sieht überall gestörte Natur, gestörtes Klima... nur die eigene psychische Verfassung kann nicht erkannt werden.
Anders ausgedrückt, so machem hilft es nicht sich den Kopf zu rasieren, um dem Juckreiz zu entkommen den er als Haarwuchs ins Gehirn verspürt.
Gratulation.
So etwas zu lesen ist eine wahre Freude.