Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch!

Heute ist der 250. Geburtstag von Freidrich Hölderlin, Deutschlands Dichter-Genie, das bereits in seiner Zeit vom Zeitgeist in den Wahnsinn getrieben wurde. In der Zwangsquarantäne, die uns von einer unfähigen Politik veordnet wird, um von deren Versagen abzulenken, sollten wir die Zeit nutzen und uns wieder darauf besinnen, was Europa stark gemacht hat.

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Heute ist der 250. Geburtstag von Freidrich Hölderlin, Deutschlands Dichter-Genie, das bereits in seiner Zeit vom Zeitgeist in den Wahnsinn getrieben wurde. In der Zwangsquarantäne, die uns von  einer unfähigen Politik veordnet wird, um von deren Versagen abzulenken, sollten wir die Zeit nutzen und uns wieder darauf besinnen, was Europa stark gemacht hat. Ein erster guter Schritt wäre, das Fernsehen auszuschalten und zum Buch zu greifen. Zum Beispiel nach einer Hölderlin-Biografie.

Wenn es nach der literarischen Qualität ginge, müsste das Buch von Jürgen Hultenreich über Hölderlin ganz oben auf der Bestseller-Liste stehen. Eine poetische Biografie nennt der Autor sein Werk. Zu Recht. Aber es ist viel mehr als das. Es ist ein Überblick über den auch damals schon Zeitgeist genannten Zustand einer ganzen Epoche. Philosophie, Literatur, Wissenschaft, Technik und Politik waren miteinander verflochten. Mancher Herrscher war auch Poet, Maler oder Musiker, manchmal alles zusammen. Viele Poeten, Dichter, Philosophen betätigten sich mindestens zeitweise politisch. Deutschland war zersplittert. Das hatte nicht nur Nachteile. Es reichte, von Karlsruhe nach Mannheim zu reisen, um einem tyrannischen Fürsten zu entkommen. Trotzdem war man über die Grenzen hinaus vernetzt. Anfangs genügte es für Hölderlin, Friedrich Schillers Landsmann zu sein, um vom Genius unter die Fittiche genommen zu werden. Am Ende trug das leider dazu bei, dass Schiller die Genialität seines Schützlings nicht erkannte. Sein Gönnertum machte ihn blind.

Als Hölderlin im März 1770 in Lauffen am Neckar geboren wurde, brachte der mittlere Neckarraum jede Menge Forscher, Dichter, Künstler und Philosophen hervor. Hultenreich zitiert Gottfried Benn, der auf die „gemeinschaftliche Abstammung von Schelling, Hölderlin, Mörike und Uhland” hinweist, „von denen dann wieder verwandtschaftliche Verbindungslinien zu Mozart, Hegel, Hauff und Kerner laufen.“ Man fragt sich, wo dieser Geist im heutigen Deutschland geblieben ist. Er führt ein Nischendasein bei den Hultenreichs.

Hölderlin wurde in eine Welt des Umbruchs geboren. James Cook landet an der australischen Ostküste, Thomas Newcomen entwickelt die Dampfmaschine. Das Industriezeitalter springt von der britischen Insel nach Europa über. Die Französische Revolution wirft ihre Schatten in den Werken der Enzyklopädisten voraus.

Hölderlin verliert kurz hintereinander seinen Vater und seinen fortschrittlichen Stiefvater, Johann Christoph Gok, worauf er seinen ewigen Hang zur Trauer zurückführt. Er wächst in einem Frauenhaushalt auf, wird von seiner auf Sicherheit bedachten Mutter aber sehr bald auf eine Schule für künftige Theologen geschickt. Später soll er seine Studien am Tübinger Stift vervollständigen. Hier wohnt er auf der Stube mit Hegel und Schelling. Sie bilden ein „philosophisches Triumvirat“, das ihre Leben prägte, auch wenn sie sich Jahrzehnte später geistig weit voneinander entfernten.

Schon in jungen Jahren fällt Hölderlins Schwerblütigkeit und zeitweise Gereiztheit auf. Der sehr gut aussehende Mann kommt bei Frauen an, bringt ihnen aber kein Glück. Seine Jugendliebe Louise Nast verlässt er grundlos, dabei hätte sie ihn, wie Hultenreich feststellt vor seinem Schicksal retten können. Eine andere, die er als Hauslehrer bei Charlotte von Kalb kennenlernt und vielleicht sogar geschwängert hat, verlässt er ebenso. An andere Liebeleien kann er sich später nicht einmal mehr erinnern.

Hölderlin will nicht Pfarrer werden. Da er von seinem Schreiben nicht leben kann, bleibt ihm nur, wie vielen anderen Dichtern, eine Hauslehrerstelle. Alle enden eher früher als später mit seiner Entlassung. Aber eine davon wird sein Glück und Verhängnis zugleich. Sein Freund Sinclair hatte ihm die Stelle bei dem Frankfurter Bankier Jakob Gontard vermittelt. Dort trifft er auf die Frau des Hauses, Susette, die aufs Haar Hölderlins Vorstellungen von Diotima aus seinem „Hyperion“ gleicht. Überdies kannte sie sein Werk. Er wiederum hat verblüffende Ähnlichkeit mit Susettes geliebtem Bruder.
Es war wohl Liebe auf den ersten Blick, aber von Anfang an war klar, dass diese Liebe keine Zukunft hatte. Nur ein paar Wochen Glück, ausgerechnet im Schatten des Krieges, den die französischen Revolutionstruppen gegen Frankfurt führen. Wegen des Dauerbombardements schickt Gontard seine Familie aufs Land. Er selbst bleibt in der Stadt. Zurück in Frankfurt, unterrichtet eine eifersüchtige Gesellschafterin von Susette den Ehemann von dem innigen Verhältnis des Hauslehrers zu seiner Frau. Hölderlin wird umgehend entlassen. Es folgt eine qualvolle Zeit, in der sich die Liebenden noch ein paar Mal aus der Ferne sehen, dann wird auch das zu gefährlich.

Mit ersten Zeichen geistiger Zerrüttung wandert Hölderlin nach Frankreich, wo er in Bordeaux eine neue Hauslehrerstelle antritt, die aber nach drei Monaten schon wieder beendet wird. Die Rückreise aus Frankreich ist gleichzeitig eine Reise in den Wahnsinn. Hölderlin vernachlässigt sein Äußeres in einer Weise, die alte Bekannte, später Mutter und Schwester, in Angst und Schrecken versetzt. Es gibt viele Menschen, die helfen wollen. Der treue Freund Sinclair schafft auf eigene Kosten für seinen Freund sogar eine Bibliothekarsstelle beim Landgrafen von Hessen-Homburg, wo sich die Schwester des Grafen in den immer noch attraktiven Hölderlin verliebt. Der scheint das nicht einmal bemerkt zu haben.

Erstaunlich ist seine außerordentliche literarische Produktivität, die von den ersten Krankheitsschüben noch nicht gedämpft wird. Erst als der Dichter gewaltsam von seiner Bibliothekarsstelle entfernt werden muss, hörte sein systematisches Schaffen auf. Nach einem Aufenthalt in einer Nervenheilanstalt, aus der er als unheilbar entlassen wird, bringt die Mutter den Kranken beim Schreinermeister Zimmermann in Tübingen unter, der sich dreißig Jahre lang rührend um Hölderlin kümmert.
Er ermöglicht Hölderlin ein ruhiges Leben im Turm, der seitdem berühmt ist. Obwohl er zu seinen Lebzeiten nicht die gebührende Anerkennung als Dichter erfährt, wird Hölderlin doch zur Legende. In der zweiten Hälfte seines Lebens ist er keineswegs vergessen, sondern wird von Heerscharen von Besuchern belagert. Besonders die Tübinger Studenten haben es sich zum Ritual gemacht, dem Dichter ihre Aufwartung zu machen. Manche fordern als Souvenir ein Gedicht – und bekommen eins zum gewünschten Thema.

Hölderlins literarischer Ruhm beginnt erst nach seinem Tod. Den Grundstein dafür hat Christoph Schwab gelegt, der Hölderlins Schriften in zwei Bänden herausgab. Es folgten immer wieder neue Würdigungen, ob von Ricarda Huch, Rainer Maria Rilke, Georg Trakl oder Georg Heym.

Hultenreich: „Eine andere Wirkung , außer Begeisterung, ging von ihm nicht aus. Er fand Nachahmer, keine Nachfolger.“

Mit Hultenreich hat Hölderlin einen Biographen gefunden, der ihm gerecht wird, wie kaum einer zuvor. Das Schönste daran ist, dass es Hultenreich gelingt, dieses tiefe Verständnis seinen Lesern zu vermitteln. Ich habe das Buch schon zweimal gelesen und dabei so viel Neues entdeckt, dass ich sicher bin, es zum dritten und vierten Mal mit Gewinn in die Hand zu nehmen.

 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Izmir Übül

Frau Lengsfeld, im Namen und Auftrag all der hauptamtlichen, im Mainstream versammelten Opfer, vereinten ProletArierInnen und radikalen A. macht Herr Abdollahi sich gerade Gedanken darüber, ob "Twix jetzt wieder Raider" heißt, oder ob er einfach weiterwixxen soll.

Bei solchen Leuten kommen Sie mit Hölderlin nicht weit, vergebliche Liebesmüh' ....

https://www.spiegel.de/kultur/michel-abdollahi-ueber-die-afd-in-der-der-corona-krise-twix-heisst-wieder-raider-a-9ad928c8-2ef4-4e26-97ce-9fc897a3fc64

https://www.youtube.com/watch?v=JKGHtWbZaOA&feature=youtu.be&t=24 .

Gravatar: Hans-Peter Klein

Bis auf den zweiten Satz in der Einführung ein guter Beitrag in diesen Zeiten, gerade jetzt ein gutes Buch in die Hand zu nehmen trotzt unserer Zwangspause einen gewissen Sinn ab.

Aber den Satz:
"In der Zwangsquarantäne, die uns von einer unfähigen Politik veordnet wird, um von deren Versagen abzulenken, sollten wir ..."

hätten Sie sich sparen können, stattdessen hätten Sie einen besseren Vorschlag unterbreiten können.
Der Satz ist unkonstruktiv und zieht lediglich runter.
Ist damit irgendwem geholfen?
MfG, HPK

Gravatar: Ulrich Walz

Wundervoller Beitrag, Frau Lengsfeld! Vielen Dank! Leider scheint es nicht das Thema derer zu sein, deren politische Auffassung wir ansonsten teilen.

Ulrich Walz

Gravatar: Tamara Wiener

An eine Rose
Ewig trägt im Mutterschoße,
Süße Königin der Flur!
Dich und mich die stille, große
Allbelebende Natur.
Röschen! Unser Scmuck veraltet!
Stürm' entblättern dich und mich,
doch der ewge Keim entfaltet
Bald zu neuer Blüte sich.

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