Wissenschaftskrimi oder Wissenschaftsposse?

Die Wissenschaftsfreiheit des Grundgesetzes schütze Forscher vor unangemessenen Entscheidungen, sagt das Bundesverfassungsgericht. Wenn es nur so einfach wäre. Derweil geht Deutschlands wissenschaftlicher Weg weiter nach unten.

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Die TAZ vom 10. Dezember berichtet in einem lohnenden Artikel von dem "verhinderten Professor" Alfred Fleissner, der seit 21 Jahren gegen die Ablehnung seiner Habilitationsschrift prozessierte und jetzt in Karlsruhe einen Erfolg verbuchen konnte. Fleissner arbeitete als Chemiker in der Psychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und untersuchte in seiner Habilitationsschrift "fünf mögliche biochemische Marker, die in der Wissenschaft als Anzeichen für Schizophrenie gehandelt wurden. Tatsächlich korrelierte kein einziger mit der Krankheit. Dies nahm der Hirnforscher zum Anlass für eine vernichtende Kritik der biochemischen Psychoseforschung." Als Fleissner die Arbeit, angeblich Böses ahnend, erst 8 Jahre später (1989) einreichte, als er schon verbeamtet und wirtschaftlich gesichert war, kam es zu der vermeintlich sicheren Ablehnung durch den Habilitationsausschuss. Gegen diese klagte sich Fleissner durch alle Instanzen, bis zu seinem heutigen Erfolg.

Die TAZ suggeriert als Grund für die Ablehnung das Engagement Fleissners im Wissenschaftlichen Personalrat des UKE - sicher nicht karrierefördernd, aber kein Grund für Wissenschaftsmobbing. Mit der Habilitation bekommt man nämlich nur die Befähigung zur Lehre bestätigt und hat noch nicht einmal die Befugnis zur Lehre. Die muss gesondert beantragt werden und heißt Privatdozentur, bringt weder mehr Einkommen noch ist sie irgendeine Garantie für eine Professur, geschweige denn einen Aufstieg in der Klinikshierarchie, schon gar nicht für eine Chefposition. Ganz im Gegenteil verpflichtet man sich bei Beantragung der Privatdozentur, für die man ja eigentlich schon eine ausreichende Gegenleistung in Form der Habilitation erbracht hat, für alle Zukunft kostenlos Vorlesungen und Kurse zu halten, ansonsten verliert man die Dozentur wieder. Es gibt also noch genügend Möglichkeiten für die etablierten Lehrkörper, unbequeme Leute zu stoppen, da ist die Habilitation viel zu unwichtig. Die Ablehnung der Arbeit Fleissners muss andere Gründe haben: Mindestens einer der drei Gutachter "hatte die Arbeit für mangelhaft gehalten und sich gegen Fleissners angeblich pauschale Kritik an der Forschung der vergangenen Jahrzehnte verwahrt". Da wird ein wenig dran gewesen sein.

Nun sind einige Regelungen zur Habilitation zwar in den letzten Jahren gemildert - und damit die Habilitation weiter entwertet - worden, aber die bestimmende Rolle des Betreuers der Habilitation ist geblieben. Die erste Frage muss also lauten, was der Betreuer der Arbeit Fleissners davon gehalten hat, dass sie 8 Jahre lang nicht eingereicht worden ist. Es ist klar, dass dies zu einem Erlahmen der Unterstützung führen musste, wenn der Betreuer inzwischen nicht schon in Ruhestand gegangen ist. Die Unterstützung des Betreuers ist (leider) auch darum wichtig, weil er bei der Auswahl der Gutachter eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Darauf komme ich noch genauer zurück. Ferner muss gefragt werden, ob in einer Zeit, in der das medizinische Wissen rasant zunimmt, eine Habilitationsschrift nach so langem Verschluss überhaupt noch von aktuellem Interesse ist. Man muss deutlich sagen, dass Fleissner hier selbst erheblich zur Problematik beigetragen hat.

Wie nicht anders zu erwarten, argumentieren die Karlsruher Richter rein formal. Sie postulieren ein "Recht auf sachkundige Leistungsbewertung". Zum Beispiel wurde ein für Fleissner ebenfalls negatives Gutachten des Nobelpreisträgers Manfred Eigen, der im Rahmen eines Vergleichs anno 2001 hinzugezogen wurde, vom Gericht nicht anerkannt, weil dieser Biochemiker sei und daher die psychiatrischen Aspekte der Arbeit nicht angemessen beurteilen könne. Eigen hatte - wohl nach Gutsherrenart auch etwas knapp  - beanstandet, dass die Arbeit nur nachvollziehenden Charakter habe und insofern kein Neuland betrete, was für eine Habilitation aber Voraussetzung sei. Da hat Eigen natürlich sehr recht - allerdings würde ein überwiegender Anteil der Habilitationsschriften nach diesem Kriterium nicht anerkannt werden, was sachlich zwar zu begrüßen wäre, aber die Motivation zur Forschung großenteils lahmlegen würde. Es gibt eben neben den hehren wissenschaftlichen auch profane menschliche Motive. Ungereimt an der Argumentation des Gerichts ist aber, warum Fleissner, der selbst kein Psychiater, sondern Chemiker ist, psychiatrische Aspekte besser als Eigen beurteilen können sollte.

Positiv an der Entscheidung der Karlsruher Richter ist, dass "eine Habilitationsschrift nicht nur deshalb abgelehnt werden dürfe, weil der Habilitationsausschuss anderer Meinung ist." Eine abweichende wissenschaftlich sauber begründete Meinung ist anzuerkennen, eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Weiter: "Wichtig seien deshalb die vorbereitenden Voten der Gutachter." Es geht also um die Aufteilung der Voten nach innen und außen; man nimmt an, dass die externen Gutachten eher unabhängige seien. Dem ist meist nicht so, denn die Gutachter vom Fach kennen sich alle, weswegen die Rolle des Betreuers einer Habilitation auch eine kardinale ist. Damit soll nicht angedeutet werden, dass die externen Gutachter in jedem Fall befangen wären, aber sie werden Mängel einer Habilitationsschrift, die der Verfasser und sein Betreuer nicht ausgemerzt haben, nicht extra bekritteln und die Arbeit scheitern lassen. Das nächste Mal könnte ja einer der ihren vom Betreuer beurteilt werden. Wenn er, andererseits, schon nicht gut kann mit seinen Peers, dann hat auch der betreute Habilitand meist schlechte Karten.

Naiv an dieser richterlichen Argumentation ist der Glaube, man könne den menschlichen Makel aus diesen Verfahren heraushalten. Eine Anonymisierung wäre hier ein gangbarer Ausweg; von ihr ist leider nirgends die Rede. Die Gutachter "müssten so ausgewählt werden, dass alle Teile der Arbeit sachkundig bewertet werden können. Nur so könne der Habilitationsausschuss eine fundierte Entscheidung treffen, die wiederum voll gerichtlich überprüfbar ist." An diesen Regeln ist folgendes problematisch: Sie werden eigentlich nur dann relevant, wenn etwas schief gelaufen ist in der Maschinerie und eine Arbeit abgelehnt wurde. Ein großer Prozentsatz der Habilitationsschriften ist viel zu unwichtig, um sie abzulehnen. Sie haben gerade heute auch einen anderen Zweck als Forschung und ihre Förderung. Heute, wo sich die sogenannte "kumulative" Habilitation durchsetzt, also kein opus magnum zusätzlich zu hochrangig veröffentlichten Arbeiten eigens mehr geschrieben werden muss, sondern einige wenige Publikationen zusammengeheftet schon die Habilitation ermöglichen, ist die Habilitation nur noch eine Bewerbungs- und Einstellungsvoraussetzung. Die Anforderungen sind also schon deutlich gesenkt worden; wenn jetzt die Richter sagen, dass alle Teile einer Arbeit sachkundig bewertet werden müssten, sind sie einerseits schon hinter der Zeit zurück und senken das Niveau noch weiter, weil "Sachkundigkeit" formal eher im Klüngel der Betreuer zu finden sein wird als bei Fachfremden, deren Votum aber eher neutral sein könnte. Wenn dann auch noch gerichtliche Nachprüfbarkeit ein Kriterium sein soll, ist dem Dilettantismus Tür und Tor geöffnet. Wenn man Breitenforschung qualitativ derart gefährdet, untergräbt man auch die Spitzenforschung. Bedeutende Forschung findet ohnehin nicht mehr in dem besprochenen Umfeld der Universität statt: Der wissenschaftliche Weg Deutschlands geht weiter nach unten.

Fleissner hat mit seiner möglicherweise auch etwas querulantischen Ausdauer den Finger in einige Wunden der universitären medizinischen Forschung in Deutschland gelegt. Das ist sein Verdienst. Ihm wird es nun altersbedingt nichts mehr nutzen, anderen nur dann, wenn die systematischen Fehler des universitären Betriebs behoben werden. Dafür gibt es momentan keine Anzeichen. Wer gute Forschung macht, weiß sowieso, dass das nicht unbedingt etwas mit Karriere zu tun hat.

Ich möchte mit einer Anekdote enden: Der Komponist Ligeti interessierte sich für Ethnomusik, insbesondere für die polyrhythmische Musik der Pygmäen. Er suchte also nach einem Experten. Bei den Professoren stieß er relativ schnell auf Grenzen, was ihn zunächst wunderte. Dann traf er einen wissenschaftlichen Mitarbeiter, der ausgesprochen profunde Kenntnisse besaß. Es stellte sich heraus, dass die Karrieristen ein oder zwei Jahre im afrikanischen Busch waren und dann schnell nach Hause geeilt sind, um ihre Habilitationsschriften zu verfassen und sich um ihre Bewerbungen zu kümmern. Fachliches Resultat war eine gediegene Halbbildung. Der profunde Kenner hingegen interessierte sich wirklich für die Materie selbst und war 10 Jahre im Busch, bis kaum mehr Fragen offen schienen. Es ist klar, dass man nicht gleichzeitig im Busch sitzen und Karriere machen kann. Diese Aporie ist nicht aufzulösen; der wissenschaftliche Mitarbeiter aber hat die Befriedigung, mit seinem echten Wissen zu einigen wirklich neuen Kunstwerken beigetragen zu haben.

 

 

 

 

 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Erwin Lück

Komisch, zu einer Habilitationsschrift werden von drei Professoren zunächst Gutachten erstellt. Über Annahme/Ablehnung der Habilitationsschrift entscheidet dann auf Empfehlung eines mit zumindest sechs Professoren besetzten Habilitationsausschusses der komplette, mit mehreren Dutzend Professoren besetzte Fachbereichsrat der Uni.

Alle genannten, am Habilitationsverfahren beteiligten Professoren besitzen das Recht bzw. die Qualifikation, Habilitationen zu beurteilen.

Schlimm genug, dass einzelne Gutachter – wie im vorliegenden Fall – die verfassungsgemäßen Rechte eines Prüflings verletzen.

Wäre dann aber nicht zwingend zu erwarten, dass Mitglieder des Habilitationsausschusses dies erkennen und die Reißleine ziehen? Schlafen die?

Und müsste nicht spätestens die geballte Kompetenz der Mitglieder des Fachbereichsrats erkennen, dass die Rechte des Prüflings mit Füßen getreten werden? Schlafen die?

Es wäre zu wünschen, dass jeder einzelne am Habilitationsverfahren beteiligte Professor für den dem Prüfling entstandenen materiellen und immateriellen Schaden persönlich haftbar gemacht wird. Nur auf diesem Weg ließe sich zukünftig ein solcher Rechtsstreit mit 21-jähriger Prozessdauer verhindern.

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