Wie konnte ich bloß vergessen...

Wie konnte ich bloß vergessen, dass "Shakespeare" gar nicht Shakespeare war und ohne diesen Hinweis eines seiner Sonette zitieren!

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Prompt weisen mich zwei "Anti-Stratfordians" –  „Stratfordians“ werden die konservativen Literaturwissenschaftler wegen ihres Festhaltens an dem Mann aus Stratford genannt – auf mein Versäumnis hin. Der eine vertritt die These, Edward de Vere, der 17. Graf von Oxford, sei der tatsächliche Autor der genialen Theaterstücke und Gedichte gewesen, ein anderer favorisiert den Dichter Christopher Marlowe als "wahren Shakespeare" und fügt hinzu, meine kurze Interpretation von Sonett 66 als "Lieblingsopus der Nichteinverstandenen und vom alltäglichen Opportunismus Angewiderten" sei zwangsläufig falsch, weil ich eben "keine wirkliche Vorstellung vom autobiografischen Hintergrund dieses Textes und vom wahren Autor und Sonettschreiber" hätte, denn in diesem Gedicht werde die "tragische autobiographische Situation sichtbar, aus der heraus es entstanden ist".

Nun, das ist eine Binse. Eine weitere Binse ist, dass jeder Text bei der Veröffentlichung den Autor und dessen Intentionen verlässt wie der Pfeil die Sehne. In besonderem Maße gilt das für Werke der Lyrik, des subjektivesten aller Genres. Was er im Gedicht findet, entscheidet letztlich der Leser; kein Gedicht überlebte sonst die Jahrhunderte. Freilich: Sonett 66 als ein Werk des Nichteinverstanden- und Angewidertseins zu interpretieren, läuft angesichts der Eindeutigkeit seiner Aussagen wohl eher auf eine Trivialität hinaus. Geschenkt.

Aber wer war nun der wahre Herr Schüttelspeer? Das Absonderliche am Lebensweg des historischen Shakespeare ist, dass man quasi nichts von ihm weiß. Trotz einer Jahrhundertsuche nach Briefen oder Tagebuchnotizen von der Hand des Barden hat die Forschung nur dürre Materialien über sein Leben auftreiben können. Zwar läßt sich die Vita des Provinzmenschen umrisshaft bis zu seinem Tod anno 1616 verfolgen, doch bestürzenderweise schweigt sogar das erhaltene Testament von jenem Ruhm, den das Werk mit der Autorenangabe „Shakespeare“ zweifellos schon damals besaß. Sollte allen Ernstes ein „Landlümmel aus dem Drecknest Stratford“ (Alfred Kerr) Verfasser der Königsdramen sein?  Sollte wirklich ein Handschuhmachersohn, von dem nicht einmal belegt ist, daß er lesen und schreiben konnte, den Hamlet und King Lear ersonnen haben?

Tatsache ist: Am 26. April 1564 wurde in Stratford-upon-Avon ein Erdenbürger auf den Namen „Gulielmus filius Iohannes Shakspere“ getauft. 18 Jahre später heiratet er eine gewisse Anne Hathwey, später ist urkundlich von Kindern, diversen Grundstückskäufen und geschäftlichen Transaktionen die Rede – 1598 verkauft er in Stratford zum Beispiel eine Ladung Steine oder wird dort als Besitzer von Korn und Malz registriert. Und diese prosaische Figur soll zugleich jener weltmännische Poet sein, dem schon 1594 die Autorschaft an einem galanten Epos namens „Lucrece“ attestiert wurde? Das wollten viele Leute einfach nicht glauben. Gut, Schauspieler in London mochte der Mann aus Stratford allenfalls noch gewesen sein. Aber die Dichtungen, die auf so unerhörte Weise das Wissen der ganzen Epoche subsumieren – die muss doch bitteschön ein anderer geschrieben haben, ein edlerer, ein interessanterer, womöglich sogar aristokratischer Mensch, mit Zugang zur höchsten Bildung und zu den Zirkeln der Macht, ein Superhamlet gewissermaßen. Und so gruben die „Antistratfordians“ einen „Original“-Shakespeare nach dem anderen aus. Knapp 60 Personen wurden im Lauf der Zeit als Kandidaten gehandelt, neben de Vere und Marlowe sind der Philosoph Francis Bacon sowie, meine Lieblingsversion, Queen Elisabeth I. die prominentesten. Nur ein gebildeter Adliger, keinesfalls aber ein Handwerkersohn vom Lande, argumentiert etwa die de-Vere-Fraktion, sei in der Lage gewesen, das vor Anspielungen auf alle möglichen Wissensgebiete nur so strotzende Werk zu verfassen. Der Autor müsse die gesamte antike Literatur gekannt haben, bibelfest und in allen möglichen Künsten bewandert gewesen sein. Er müsse über historische und geographische Kenntnisse verfügt haben und in der Lage gewesen sein, Regierungsgeschäfte zu beurteilen – ein Argument, das schon Otto von Bismarck an einem nichtadligen „Shakespeare“ zweifeln ließ. Nach dieser Logik freilich müsste Homer geradezu ein Gott gewesen sein; niemand kannte sich schließlich besser auf dem Olymp aus als der Verfasser der Ilias.

Das ist alles sehr amüsant, auch interessant, jedoch recht müßig, weil mit einer Klärung der Angelegenheit nimmermehr zu rechnen ist. Wer sich aber lange Zeit im bloß Spekulativen bewegt, wird dabei immer monomanischer, närrischer und zugleich frustrierter, weil die blöde Welt seine Spekulationen nicht teilt oder goutiert. Ich meinesteils werde mich für die Frage nach dem "wahren" Shakespeare so wenig interessieren wie beispielsweise für die Umstände der Ermordung – hui, sehen Sie, ich meine: des Todes – von Uwe Barschel, zum einen, weil es mir völlig egal ist, wer dieses kostbare und einzigartige Werk geschaffen hat, denn es würde ja durch eine Änderung des Autorennamens keinen Deut weniger kostbar und einzigartig, zum anderen aus Gründen der Lebenszeit und ihrer halbwegs rationalen Verwendung, und last but not least weil ich keineswegs die Absicht habe, vor der Zeit und aus falschem Anlass verrückt zu werden.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: n-darnoc

Grosser Meister Klonovsky,
Ihr Schlussabsatz, auf das wesentliche kondensiert,
a) Autorschaftsthema [scheiss]egal weil mit einer Klärung nicht mehr zu rechnen.
b) Wer es versucht, wird nur monomanischer, närrischer und frustrierter
c) die Frage nach dem “wahren” Shakespeare so [scheiss]egal wie Uwe Barschel Tod. ,
d) eigentlich völlig [scheiss]egal ist, wer dieses einzigartige Werk geschaffen hat,
e) ist doch alles [scheiss]egal , verschwende dafür doch nicht meine kostbare lebenszeit
f) ich will doch nicht auch verrückt werden

scheint zu unterstützen, dass Christopher Marlowe (alias Shake-speare) richtig lag
There is no son but ignorance
www.der-wahre-shakespeare.com

Gravatar: fegalo

Genau. Gemäß dem alten Witz:

"Wussten Sie übrigens, dass Shakespeare gar nicht Shakespeare hieß, sondern Samuel Bumble, und dass seine Werke gar nicht von ihm, sondern von einem Verwandten namens William Shakespeare stammen?"

Gravatar: Adorján Kovács

Ach ja, die Shakespeare-Zweifler. Das mit der "unerhörten Bildung" erledigt sich, wenn man berücksichtigt, dass die meisten Stücke des Autors S. nach heutiger Auffassung Plagiate sind; er hat also "abgeschrieben", weshalb er selbst gar nicht so viel wissen musste. Was er aber geändert hat, ist entscheidend, und WIE er es sagte, macht ihn dann einzigartig.

Gravatar: Klimax

Was man vom historischen Shakespeare allerdings weiß, ist, daß er kaum seinen eigenen Namen schreiben konnte. Wer immer es war, der Stücke und Sonette verfaßt hat, der es gewesen sein soll, war es mit Sicherheit nicht.

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