Wie Deutschland sich der Zukunft verweigert

Wie würde mein Alltag aussehen, hätte ich einen autonom agierenden, mobilen humanoiden Roboter als Kopie meiner selbst zur Verfügung?

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Der still lächelnd auf einem Stuhl neben dem Vortragenden sitzende, als „Assistent“ vorgestellte Mann müsse ein Mensch sein, verkündete ich im Brustton der Überzeugung meinen Sitznachbarn. Schließlich hatte er geblinzelt. Und warum bitte sollte man einem Roboter eine für ihn so nutzlose Funktion wie das erratische Heben und Senken der Augenlider mitgeben? Genau deswegen. Um auch Schlaumeier wie mich zu täuschen. Es war tatsächlich eine Maschine. Eine große Ähnlichkeit mit ihrem Erbauer (Henrik Schärfevon der Universität Aalborg) konnte ich zwar nicht ausmachen, aber das Wesen erschien in jeder Hinsicht als Mensch. Es schaute freundlich ins Publikum, lächelte wissend zu den Ausführungen des Professors und man hatte das Gefühl, es könne jederzeit aufstehen und selbst mit dem Publikum sprechen. Diese beeindruckende Präsentation eines Androiden als höchstes Ziel des Maschinenbaus zeigte Möglichkeiten auf, die man noch vor einigen Jahren als utopische Spinnereien abgetan hätte. Wie würde mein Alltag aussehen, hätte ich einen autonom agierenden, mobilen humanoiden Roboter als Kopie meiner selbst zur Verfügung, der mir allerlei Verrichtungen abnehmen könnte, die der Interaktionsfähigkeit einer menschlichen Physis bedürfen? Einkaufen fällt mir da ein, die Kinder von der Schule abholen und zum Sport- oder Musikunterricht bringen, Behördengänge erledigen und vieles mehr. Er könnte so aussehen wie ich, er könnte meine Unterschrift perfekt nachahmen und mit meiner Kreditkarte bezahlen, die lästige Anprobe beim Kleiderkauf würde entfallen, er könnte mich sogar chauffieren – eine völlig neue Version des „autonomen Fahrens“. Er wäre in jeder Hinsicht mein Stellvertreter, der mich von allen stupiden und unkreativen Tätigkeiten befreit.

Sicher, man könnte sich auch Fragen ganz anderer Natur stellen. Vor allem in Deutschland.

Der jährliche Zukunftskongreß des 2b.Ahead Think Tanks ist ein herausragendes Ereignis. Weil er bei entsprechenden Wetterbedingungen im Freien stattfindet. Im Park des Wolfsburger Schlosses. Man kann also während der Vorträge und Diskussionen rauchen. Womit die Veranstalter nie rechnen. Die Aschenbecher erscheinen erst dann wie durch Zauberhand auf den Tischen, sobald die ersten Kippen brennen. Cola geht bei solchen Ereignissen auch regelmäßig aus (am Ende gab es immerhin noch Dosen). Man ist nicht vorbereitet auf den Wunsch der Menschen, sich mit Nikotin, Koffein und Zucker zu dopen. Obwohl doch Gary Lynch von der University of Califormia auf dem Programm steht. Er entschlüsselt die Mechanismen unseres Gehirns, Informationen zu speichern und zu verarbeiten. In seiner Zukunftsvision ermöglichen individuell maßgeschneiderte Designerdrogen eine gezielte, der Situation angepaßte Optimierung von Gedächtnis und Rechenleistung. Wie würden wohl deutsche Behörden mit solchen Stoffen umgehen? Es ist eine Frage der Perspektive. Auch der Asket stirbt irgendwann und die gegenwärtigen Risiken des Drogengebrauchs rühren vor allem von der Unfähigkeit der Medizin, bestimmte Krankheiten zu heilen. Genuß und Rausch, die nicht nur ohne Reue möglich sind, sondern auch noch Vorteile verschaffen – das träfe das Selbstverständnis deutscher Gesundheitspolizisten ins Mark.

Da spricht ein Juan Wang aus Peking über die Möglichkeit, wie man die Kenntnis seines eigenen Genoms in Zukunft zur Lebensverlängerung nutzen kann – was durchaus keinerlei inhaltliche Nähe zur gegenwärtigen staatlichen Gesundheitspolitik aufweist. Tim Cannon aus Pittsburgh propagiert die Verschmelzung von Mensch und Technik durch funktionale Implantate. Als Cyborg spreche ich nicht mehr mit meinem Androiden-Avatar, ich tausche mit ihm Informationen in hoher Bandbreite drahtlos aus. Lynchs Drogen helfen mir, diese Datenmenge verarbeiten zu können. Während ich mit Virgin Galactic um die Welt fliege? Jedenfalls betonte deren Vertriebschef Stephen Attenborough, es ginge nun wirklich noch in diesem Jahr los, mit der privaten Weltraumfliegerei. Der Niederländer Bas Lansdorp will gleich zum Mars. Für immer. Warum? Weil es möglich ist. Und weil ihm scheinbar nichts Besseres einfällt, was er mit seinem Leben anfangen könnte. Nachvollziehbar. Denn höher hinaus kann man momentan wohl nicht greifen.

Deutschland sei eben doch nicht innovationsfeindlich, führen die Technopolis Group und das F.A.Z.-Institut in einer durch das BMWI beauftragten Studie aus. Die Menschen hierzulande seien weder generell technikfeindlich, noch sei ihre Haltung pauschal als verschlossen anzusehen.

Das ist schlicht falsch. Man kann zu einem solchen Ergebnis nur gelangen, wenn man nicht die richtigen Fragen stellt und die Antworten dann auch noch in vernebelnder Weise interpretiert. Es waren Chinesen, Dänen, Niederländer und vor allem Amerikaner, die in Wolfsburg eine technikfreundliche und offene Perspektive vertraten, nicht die Deutschen.

Kaum ein deutscher Sprecher unterließ es, zu Beginn seiner Ausführungen auf die vielen gefühlten Krisen dieser Zeit hinzuweisen. Die Klimakatastrophe und die Ressourcenknappheit standen natürlich in dieser Hitliste ganz oben. Der technische Fortschritt hat in dieser Sichtweise administrativ gelenkt zu werden, um vermeintliche Fehlentwicklungen der Vergangenheit umzukehren und eine erwartet düstere Zukunft zu vermeiden. Er ist etwas Notwendiges, was mit entsprechender Verbissenheit verfolgt werden sollte. Die Richtung sollte man sich genau überlegen und tunlichst nie von dieser abweichen.

Bezeichnend das Statement des Teilnehmers, der erst vor kurzem im Porsche-Museum mit Elektromobilen des beginnenden 20. Jahrhunderts konfrontiert wurde. Das traf ihn überraschend, er war geradezu schockiert, obwohl doch die Technologiegeschichte des Autos nach den Diskussionen der letzten Jahre nun mittlerweile allen Interessierten bekannt sein sollte. Die Peinlichkeit der eigenen Unwissenheit nicht zu erkennen, ist ein Wesensmerkmal der Technikfeindlichkeit. Der Teilnehmer war natürlich der Auffassung, Elektromobilität sei zu erzwingen und die historischen Fahrzeuge erschienen ihm lediglich als Beleg für den Irrweg der vergangenen Dekaden. Man kann sich natürlich auch fragen, warum die Ideen eines Porsche oder eines Siemens keine Chance hatten, weder vor 100, noch vor 50 oder 20 Jahren. Man kann sich fragen, ob denn die Randbedingungen, unter denen die Lohner-Porsches am Markt versagt haben, heute andere sind als damals. Irrwege finden sich eher in Museen als auf den Straßen. Dies nicht erkennen zu können, belegt die verdrehte deutsche Sichtweise auf das Thema Innovation.

Unser Wirtschaftsministerium benennt das Problem, ohne es zu bemerken: Die Wirtschafts- und Innovationstätigkeit einer Gesellschaft wird von ihren Wertvorstellungen beeinflusst.

Das ist in Deutschland offensichtlich der Fall. Aber es sollte eben nicht so sein. Innovation erfordert Offenheit, Innovation entsteht aus dem spielerischen Stochern im Nebel des Unbekannten, Innovation entsteht aus der Erweiterung technischer Machbarkeit im Rahmen der Naturgesetze. Weder die 92 natürlichen Elemente und die aus diesen generierbaren Kombinationen, noch Energie- oder Impulserhaltungssatz unterliegen der Definitionshoheit menschlicher „Werte“ – welche auch immer man damit meint. Wo man rund um die Welt Henrik Schärfes Androiden bestaunt und über seinen Nutzen sinniert, fragt sich der Deutsche, ob man das auch darf. Genau: Was wäre denn, wenn wir nicht immer genau wissen, ob unser Gegenüber Mensch oder Maschine ist? Immerhin wurde ich bereits getäuscht – wenn auch aus einer gewissen Entfernung. Welche Rechte haben Androiden? Wo ist der Unterschied zwischen künstlicher Intelligenz und Bewußtsein?

Meine Antwort: Keine Ahnung. Es ist auch nicht relevant. Wir werden einen Weg finden, damit umzugehen. Wir werden auch einen Weg finden, mit einer Marskolonie umzugehen, in der Babies zur Welt kommen, die sich nicht mehr als Terraner empfinden. Aber wir müssen es geschehen lassen, um diese Wege überhaupt erkennen zu können. Jetzt sind sie noch nicht sichtbar. Regeln, die man glaubt, heute schon definieren zu müssen, werden sich daher als nicht sinnvoll erweisen. Es gilt das Primat der Technologie: Innovationen folgen nicht einem Wertesystem, sie definieren es.

Martin Faulstich, der Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung, begann seine Ausführungen in Wolfsburg mit dem üblichen Lamento. Die Erde sei so klein, die Ressourcen so begrenzt und man könne daher nicht so weitermachen wie bislang. Merkwürdig unpassend auf einer Konferenz, die sich mit Weltraumtourismus, dem Google Lunar X-Prize und Mars One beschäftigte. Merkwürdig unpassend auch angesichts einer Realität, in der die angekündigten Knappheiten seit Jahrtausenden ausbleiben. Es ist eben nicht die Größe der Erde, die die Verfügbarkeit von Rohstoffen definiert, sondern der Stand der Bergbautechnologie. Die Amerikaner wissen das. Zufällig hatten die Veranstalter John Kornblum, den ehemaligen US-Botschafter in Deutschland direkt nach Faulstich zu Wort kommen lassen. Der uns Deutschen den Spiegel vorhielt. Gut in der Optimierung des Bestehenden zu sein, was beschönigend oft als „inkrementelle Innovation“ bezeichnet wird, genüge nicht mehr, um die Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes zu sichern. Aus Deutschland sei seit langer Zeit nichts wirklich Neues mehr gekommen. Es fehle hierzulande an Gründergeist und Risikofreude. Er will im Rahmen seines Engagements für das „John F. Kennedy Atlantic Forum“ versuchen, daran etwas zu ändern. Vor allem an Wagniskapital bestünde in Deutschland ein eklatanter Mangel.

Dazu passend führt das BMWI aus:

Wenn es Vorbehalte gegenüber neuen technologischen Entwicklungen gibt und das Interesse für technische Zusammenhänge erlahmt, hat dies gravierende Auswirkungen auf den deutschen Forschungs- und Technologiestandort und die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.

Richtig. Ich habe schon mit einigen potentiellen deutschen Investoren gesprochen. Eine Handy-App verstehen diese Leute oft noch ganz gut. Aber „fliegende Autos“ oder gar „Flüssigsalzreaktoren“? Keine Chance. Vorbehalte einer- und Unwissenheit andererseits. Die Technologiefeindlichkeit zieht sich durch alle gesellschaftlichen Gruppen, von den Ökologisten bis hin zum Kapital. Man kann es in den Worten unseres Ministeriums auch gerne so ausdrücken (die Hervorhebungen stammen von mir):

Daher ist es gemeinsame Aufgabe von Politik, Wissenschaft, Bildungsträgern, Wirtschaft und Medien, das Wissen über neue Technologien vorurteilsfrei zu verbreiten, die Vorteile für das tägliche Leben herauszustellen und Interesse für technische Berufe zu wecken. Vorbehalte gegenüber neuen Techniken können überwunden werden, wenn der Nutzen sichtbar wird. Heute ist beispielsweise ein Leben ohne mobile Telefone nicht mehr vorstellbar, obwohl zu Beginn der mobilen Telefonie Ängste vor dem vermeintlichen Strahlungsrisiko bestanden. Über seinerzeit bei der Einführung der Eisenbahn bestehende Ängste vor den gesundheitlichen Risiken der “hohen” Geschwindigkeit wird heute nur noch geschmunzelt.

Zu schön, um wahr zu sein. Es ist auch nicht wirklich so gemeint, wie es da steht. Denn gleich im nächsten Satz heißt es:

Dennoch müssen zweifelsohne vorhandene Risiken bestimmter Technologien sachlich und breit in der Gesellschaft diskutiert und Vorbehalte hierzu ernst genommen werden. Sollten sich Gefahren bewahrheiten, wäre von der weiteren Entwicklung dieser Technologien Abstand zu halten. Dafür ist die Nukleartechnologie ein bekanntes Beispiel.

Bill Gates sieht das anders. Der war zwar nicht in Wolfsburg dabei, ist aber Amerikaner. Vielleicht schafft es Kornblum, ein wenig dieses Pioniergeistes über den Atlantik nach Deutschland zu bringen. Eine Bluttransfusion dieser Art wäre jedenfalls dringend notwendig. Faulstichs “Vision” kann jedenfalls in einem Wort zusammengefaßt werden: Recycling. Darin sind wir schon ziemlich gut und noch besser zu werden, ist die zentrale Idee eines deutschen Regierungsberaters. Mehr hatte er nicht zu bieten. Ein anderer deutscher Redner propagierte das Bauen mit Holz. Bis hin zu zehnstöckigen Gebäuden. Warum? Nicht etwa, weil damit neue ungeahnte Perspektiven für Architektur und Stadtgestaltung einhergehen. Sondern wegen der Klimakatastrophe und weil uns andere Rohstoffe ausgingen. Die Schaffung neuer Möglichkeiten scheint für Deutschland keine Option mehr zu sein. Die NASA hingegen will einen Asteroiden einfangen, diesen in eine Mondumlaufbahn bringen und von Astronauten untersuchen lassen. Man stelle sich eine Bundestagsdebatte zu einem solchen Projekt vor.

Ist es denn heute eine notwendige Bedingung, nicht aus Deutschland zu stammen, um Visionen überhaupt noch formulieren zu können? Ist das Land der Tüftler, Denker und Dichter verkommen zu einem Land der ängstlichen Spießbürger, die nichts außer Besitzstandwahrung interessiert? Deren Unwissenheit so weit geht, Elon Musk als Ökoguru zu huldigen, wo doch Tesla in Wahrheit für diesen nur eine kleine Fingerübung darstellt. Eigentlich will er Autos die fliegen, Autos, die tauchen und einen preiswerten Zugang ins All.

Die hierzulande fest etablierte Nachhaltigkeitsideologie, die so sehr auf „Werte“ und „Risikominimierung“ zielt, kann nur zu Stillstand und Rückschritt führen. Zu Windmühlen und Faulgasreaktoren. Flächendeckend. Nach jüngst in der Wirtschaftswoche (Ausgabe 25/2014) veröffentlichten Zahlen halten 70% der Deutschen die Energiewende für richtig, nur 15% finden sie falsch. Einen deutlicheren Beleg für Technikferne und Technikfeindlichkeit kann es kaum geben.

Innovation entsteht nicht aus Angst. Die Welt kann nur prägen, wer den Mut hat, in ihr zu leben und die Chancen zu nutzen, die sie bietet. Wer hingegen nichts anderes will, als Risiken zu vermeiden, der verweigert sich der Zukunft.

 

Mensch oder Maschine? - Eine Grenze, die verschwinden könnte...

Beitrag erschien auch auf: science-skeptical.de

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