Werke der Barmherzigkeit: Denen, die uns beleidigen, gerne verzeihen

Sich beleidigt zu fühlen ist leichter denn je. „Denen, die uns beleidigen, gerne verzeihen“ ist darum eine hohe Kunst!

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Manche Sachen bleiben hängen – vieles schüttelt man ab, aber es gibt Formulierungen, die mir entgegengeschleudert wurden, die ich nicht so leicht verdauen kann. Ob sich derjenige, der sie geäußert hat, dabei immer dessen bewusst war? Vielleicht hat er auch nur eine etwas unglückliche, undiplomatische Art gewählt, mich zu kritisieren, die ich aber persönlich aufgefasst habe. Jemand stellt auf süffisante Art meine Kompetenz in Frage, bezweifelt meine Integrität, oder sorgt dafür, dass ich vor anderen schlecht dastehe – öffentlich oder halb öffentlich, manchmal auch nur unter vier Augen. Letzteres ist vielleicht in Bezug auf die Konsequenzen nicht so schlimm, aber trotzdem schmerzhafter, weil viel persönlicher.

Betrachtet man dabei die Forderung, denen, die uns beleidigen, gerne zu verzeihen, stockt einem der Atem. Natürlich kennt jeder Christ den Anspruch, nicht sieben, sondern siebenundsiebzigmal zu vergeben. Aber so wie die Forderung hier beschrieben steht, ist der Schritt noch ein größerer, denn er bedeutet zu verzeihen, ohne dass der Betreffende sich entschuldigt hätte. Darum, so scheint mir, ist auch die genaue Wortwahl so wichtig: „Denen, die uns beleidigen“. Es geht nicht um die, die uns bestehlen, uns schlagen oder uns betrügen – es geht ganz explizit um den „Tatbestand“ der Beleidigung. Und der ist zweischneidig: Mancher ist empfindlicher als andere, mancher pflegt eine eher lockere Zunge, ohne etwas Böses zu wollen, andere scheinen Beleidigungen als Teil ihres Argumentationsrepertoirs zu sehen. Gerade in politischen Diskussionen scheint ab und zu eine Umkehrung der Beweislast einzutreten: Ich fühle mich beleidigt, also habe ich Recht! Gerade die – an sich zur Harmonisierung gar nicht verkehrte – Political Correctness hat hier zu Überempfindlichkeiten geführt, sodass mancher sich heute beleidigt fühlt, der eine gleiche Formulierung noch vor Jahren eher sportlich genommen oder sich gar nicht angegriffen gefühlt hätte.

Dem schiebt dieses Werk der Barmherzigkeit – „Denen, die uns beleidigen, gerne verzeihen“ – von christlicher Seite einen Riegel vor. In gewisser Weise dreht es die Argumentation „Ich fühle mich beleidigt, also habe ich Recht“ tatsächlich um: Beleidigt zu sein, ist ein sehr subjektives Gefühl, dass auch mit der sehr subjektiven Selbsteinschätzung zu tun hat. Es entsteht aber durch eine Beleidigung – wenn nicht noch mehr hinzukommt wie eine Denunziation – kein materieller Schaden. Ich fühle mich gekränkt, ob zu Recht oder zu Unrecht – und sollte doch als Christ wissen, dass mein Selbstwertgefühl nicht von der Wert- oder Geringschätzung anderer Menschen abhängt sondern von meiner Gottebenbildlichkeit. Mit dieser Selbsteinschätzung sollte man immun sein gegen ein Gefühl der Beleidigung – aber wir sind es natürlich nicht!

Muss ich mir denn dann alles gefallen lassen? Muss ich mir bieten lassen, dass mich jemand mit üblen Ausdrücken beleidigt? Ich glaube, darum geht es gar nicht: Ob ich mich wehre, anderen deutlich mache, dass ich beleidigt wurde, dass der Betreffende mich ehrenrührig angegangen hat – alles, um mich zu schützen, das ist davon unbenommen. Aber das Gefühl des Beleidigtseins sollte nie so groß werden, dass ich nicht mehr in der Lage bin, dem Anderen zu verzeihen, ja, ihm sogar gerne zu verzeihen. Rein weltlich betrachtet, zeige ich damit wirklich Größe, während der Beleidigende als kleiner Geist dasteht. Viel wichtiger aber ist die Übung in Demut, die Kenntnisnahme der Relativität meines Selbstbewusstseins im Angesicht Gottes. Viel wichtiger ist, dass ich den Hass, der sich durch mein Beleidigtsein in mir anstaut, aufhebe und damit nicht nur die Menschen besser zu lieben lerne sondern auch noch meine Beziehung zu Gott verbessere.

Und falls mich jemand fragen sollte, ob ich das denn immer so schaffe, lautet die Antwort – mal wieder: Ich bin noch weit davon entfernt! Manche Sachen bleiben eben hängen und ich balle die Faust in der Tasche, wenn ich darüber nachdenke. Aber ich hoffe, dass das Bewusstsein, dass das ein Mangel bei mir ist, den ich dem Anderen nicht vorwerfen kann, ein erster Schritt zu Besserung ist.

Beitrag zuerst erschienen auf papsttreuerblog.de

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