Wenn nicht Liebe, was sonst?

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Über Georg Kreisler (1922 - 2011)

Meine Tochter war noch in dem Alter - sie war acht oder neun -, in dem sie auf dem Kindersitz im Auto hinten sitzen musste. Ich hatte aus Versehen den falschen Sender eingestellt, und nach dem Verkehrshinweis lief von Freddy ‚Die Gitarre und das Meer’. Als sie danach meinte „Das war aber mal ein schönes Lied“, fiel mir auf, dass sie womöglich gerade zum ersten Mal bewusst der Musik aus dem Radio zugehört hatte. Normalerweise war das in Englisch, ein bedeutungsloses Grundrauschen zum Motorengeräusch, das an ihr vorbeizog wie die langweile Aussicht aus dem Rückfenster. Da wurde mir klar, was es für ein Verlust ist, keinen Zugang zu Liedern über die vertraute Sprache zu finden. 

So habe ich Kassetten für sie zusammengestellt, zuerst mit deutschen Schlagern, und weil ich die selber nur mit innerem Grinsen hören konnte -, mit ausgesuchten deutschen Liedermachern. So entdeckte sie Kreisler. Den fand sie am besten. Die nun folgenden Kassetten waren reine Kreisler-Kassetten - mit Beschriftungen wie ‚Kreisler total’, ‚Kreisler noch totaler’, ‚Kreisler für immer und ewig’ -, die sie komplett auswendig lernte. Sie war so textsicher, dass wir eines von den bei Kindern ihres Alter so beliebtes Ratespiel machen konnten, in diesem Fall ein selbstausgedachtes: Es bestand darin, dass jemand ein paar aufeinanderfolgende Worte aus einer Textzeile aufsagte, und der andere raten musste, aus welchem Lied die stammten. Woraus ist „in den bunten Frühling“? 

Ich hatte es geahnt: Sprache kann eine unmittelbare Faszination haben. „Wenn man die Monika an ihren Haaren zieht, dann heißt sie Ziehharmonika“, „Man gibt dem Araber sein eignes Dromedar, aber wozu?“ Von so einer Begeisterung haben Erwachsene nur noch in Restbeständen. Es war obendrein eine gute Wortschatzübung - „Papa, was ist eigentlich Polygamie?“- und widersprach einer Pädagogik, die meint, man dürfe Kinder nicht überfordern, man müsse vereinfachen, weil sie es sonst nichts verstehen. Sie wollen aber verstehen; die Welt voll unerforschter Kontinente, und sie genießen das Rätselhafte, und die befreiende Vorstellung, dass alles auch ganz anders sein kann: „Der Tag wird kommen, wo die Kälber auf dem Dach stehn“. 

So gesehen war es eine erfolgreiche erzieherische Maßnahme - und eine wunderbare Art, mit dem Kind die Zeit zu verbringen. Aber. Da war noch etwas. Ein aufblitzender Anarchismus mit Kälbern auf dem Dach ist bei Georg Kreisler nicht nur Spielerei. Es gab auch Lieder, bei denen ich zurückschreckte und dachte, dass die für ein kindliches Gemüt nicht das Richtige sind. Poetisch durften sie sein. Rätselhaft auch. Voller Wortspiele - gerne Aber wie steht es mit makaberen Liedern? 

‚Sport ist gesund’, wo in jeder Strophe eine andere Sportart ihre Todesopfer fordert, schien mir noch nicht so schlimm. Das war nicht viel anders als ‚Zehn kleine Negerlein’. Da wollte ich nicht überbehütend sein, es reichte, wenn die Mutter das war. Doch es geht bei Kreisler über einen spielerischen Umgang mit dem Schrecken hinaus. „Als der Zirkus in Flammen stand, da verbrannte ein Elefant“ – schlimm genug. Wenn dann noch ausgemalt wird, „ohne Laut ging er zugrunde und er brannte eine Stunde“, ist das fies. 

„Schatz, das Wetter ist wunderschön! Da leid ich’s nicht länger zu Haus.“ Und? Was machen da die beschwingten Sparziergänger? Sie gehen „Taubenvergiften im Park“. Das klingt so leichtfüßig, so heiter, man möchte schunkeln zur Musik (spaßeshalber sollte man sich mal auf you tube die Version vom Chansonchor Bern Kirchenfeld anhören). Die Boshaftigkeit kommt im schmucken Gewand der Hochkultur daher. Doch unter der Verkleidung tun sich Abgründe auf. Es gibt ein Foto vom kleinen Georg Kreisler, der etwa in dem Alter war, in dem meine Tochter damals war, das ihn als jungen griesgrämigen Touristen auf dem Markusplatz zeigt, von Tauben umringt. Womöglich fing es damals an. 

Es war ein Risiko, die Kleine zu einem Konzert von Kreisler mitzunehmen. Ich wusste schon, dass er das Publikum gerne vergraulte. Statt den zahlenden Besuchern den Gefallen zu tun, das berühmte Lied vom Taubenvergiften live vorgeführt zu kriegen - vermutlich waren viele nur deshalb gekommen - spielt er eine neue Version, diesmal bei schlechtem Wetter: „Schatz, das Wetter ist gar nicht schön, da bleiben wir doch lieber zu Haus. Wer will schon heut’ demonstrieren gehen.“ Eigentlich sollte man schon demonstrieren, aber: „Der Hansi verschlingt den Adorno und die Mali derweil einen Porno. Ich les noch James Bond und den Winnetou aus.“ Und alle bleiben lieber „bewusstseinserweiternd zu Haus!“ 

Oder es bleibt bei dem Anfang bei gutem Wetter, nur geht es diesmal nicht in den Park, sondern zum Kernkraftwerk. „Du nimm dir dein Kind, ich mein Kind, und jeder vergiftet sein Kleinkind. Jeder Kernkraftreaktor geht schief dann und wann, drum ist’s gut, man gewöhnt sich daran“. So ist er. Er nimmt nicht nur in Kauf, dass ein Teil des Publikums das nicht mag, er will es so. Auch seinen CDs sind fast immer Stücke, die bestimmt irgendjemanden ärgern. Sei es, dass er über den Furz singt oder über Arschkriecher. Bei seinem Programm ‚Allein wie eine Mutterseele’ wurde man mit Unfallgeräuschen und Schreien überrascht, die von Bändern eingespielt wurden. Darauf musste man gefasst sein. Seine Lieder nennen sich schließlich „böse Lieder“. 

Georg Kreisler wurde auch in den USA von den bösen Mächten, vor denen die Familie geflohen war, eingeholt. Er war Soldat. Er wurde wegen seiner guten Sprachkenntnisse zusammen mit anderen Exildeutschen in ein Speziallager des militärischen Geheimdienstes geschickt, um für Verhöre ausgebildet zu werden. Da lernte er die Methode des Good-guy-bad guy-Verhörs kennen. Als Good Guy verhörte er, als er mit der Invasion am D-Day das europäische Festland erreicht und schließlich die Kapitulation erlebt hatte, unter anderem Julius Schleicher, den Herausgeber des ‚Stürmer’, den er als „ vertrotteltes, armseliges Würstchen“ in Erinnerung hat – wie alle anderen, die ihre Verantwortung, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden an den Befehlsnotstand abgetreten hatten. Auch Hermann Göring und andere Nazigrößen boten ihm nicht viel mehr als einen fahlen Eindruck von der „Banalität des Bösen“, wie Hannah Ahrend vielleicht sagen würde. „Es gab einige von uns“, berichtet er, „die diese alten Verbrecher, denen jedes Unrechtsbewusstsein abging, verprügelten oder bedrohten oder ihnen die Betten wegnahmen oder sie hungern ließen. Man kann das verstehen, und diese elenden Schurken taten mir nicht leid. Aber ich selbst konnte mich nie dazu bringen, etwas dergleichen anzuordnen, obwohl das damals in meiner Macht stand.“ 

Er hat die Chance nicht genutzt. Man hat auch später oft – eine naheliegende, gleichwohl einfältige Frage – von ihm wissen wollen, ob er selber auch so böse ist, wie das Personal in seinen Liedern. Ob er selber Tauben vergiftet hat. „Quatsch!“ Nein, natürlich nicht. Auch als ich ihn Ende der 70er Jahre zu seiner Einstellung zum Terrorismus befragte – dazu forderten seine Lieder wie „Meine Heimat ist in Jemen“ oder „Der Kämpfer“ heraus – betonte er, dass er zwar dem Anarchismus zugeneigt sei, jedoch einem gewaltlosen wie man ihn bei Pierre-Joseph Proudhon findet. 

Ein Kind könnte es leicht für ein Märchenlied halten, „Meine Heimat ist in Jemen ziemlich weit von Ludwigshafen bei den kleinen wilden Schafen zum Abendmahl ...“ Man muss dazu nur wissen, dass die frühere Volksdemokratische Republik Jemen (Südjemen) das Land war, das bereit war, den deutschen Terroristen Asyl zu gewähren. Ein klares Bekenntnis zum Terrorismus lässt sich daraus noch nicht erkennen, schon eher an einigen Äußerungen in Interviews, in seinen Liedern nur indirekt wie in dem vom „Kämpfer“, der sich mit Handgranaten auskannte und den er früher mal gemocht hatte, als er noch vor jeder Bank ausspuckte: „Er hatte keine Freunde, nur Genossen. Er hätte gern den Kiesinger erschossen und wollte das auch immer wieder tun. Er tat es nicht. Das weiß man nun.“ 

Kreisler geht es um einen „artistischen“ Anarchismus – einen, der die Freiheiten und Spielräume für den künstlerischen Ausdruck nutzt. Und so erfolgt die Auseinandersetzung mit dem Bösen bei ihm stets auf hohem Niveau mit einer Musik, die aus einer Fülle von Zitaten aus der Klassik schöpft und einer Wortakrobatik, die – nicht nur bei den Kleinen – Türen zu einer neuen Wahrnehmung öffnen kann. Mit diesem kulturellen Mantel hält er die Werte aufrecht, die dem Bösen entgegentreten und in die Schranken weisen können. In so einem Ringen um „kulturellen Fortschritt“ sieht auch Sigmund Freud, der seinerseits nur wenige Möglichkeiten sah, „die aggressiven Neigungen der Menschen“ abzuschaffen die bescheidene Aufgabe der Kunst: Sie kann den kulturellen Fortschritt fördern – und damit die Werte der Zivilisation –, sie kann die Identifikation mit dem Menschlichen, das uns verbindet, stärken. Und sie kann uns die Liebe nahebringen – „Wenn nicht Liebe, was sonst?!“ 

Meine Tochter hatte es schon früh bei einem abschätzenden Blick über sein Gesamtwerk festgestellt: „Ich glaube, Kreisler ist gegen alles. Außer gegen Liebe.“

Dieser Beitrag erschien zuerst auf achgut.com

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