Wenn Menschen krankhaft im Netz hängen - wie kann die Internet-Sucht wirksam gestoppt werden?

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Eine Schlagzeile zum Start in die 39. Woche: Ein Prozent der Bundesbürger zwischen 14 und 64 Jahren gelten als Internetsüchtig. Dies sind ca. 560.00 Menschen. Sie sind täglich mindestens 4 Stunden zwanghaft online, weiter 4,6% werden in ihrem Internet-Konsumverhalten als problematisch eingestuft. Damit gibt es in Deutschland mehr Internet-Abhängige als Glücksspiel-Süchtige. Von den 14 - 16-Jährigen gelten 4% als süchtig und bei mehr als 17% gehen die Experten nach einer Studie der Uni Lübeck von einem problematischen Konsum aus. Diese Jugendliche laufen Gefahr, dass sie durch dieses Verhalten ihr Sozialleben und ihre Pflichten vernachlässigen. Denn die sogenannten ‚Soziale Netzwerke’ führen bzw. verführen dazu, sich immer stärker aus realen Sozialbezügen zurückzuziehen.

In den ersten Reaktionen sieht sich die Drogenbeauftragte der Bundesregierung veranlasst, für besonders süchtig machende Spiele eine „Gesetzesverschärfung“ anzukündigen. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der CDU zeigt sich alarmiert und will intensiver auf die Gefahren aufmerksam machen, „ohne plump den Zeigfinger zu heben“ und sieht die Krankenkassen in der Pflicht. „Wie bei allen Suchterkrankungen brauchen wir auch Therapieplätze und eine Kostenübernahme durch die Kassen“, betont Spahn. Soweit einige Fakten.

Aber was heißt dies für den Einzelnen, für Eltern und Internetbetreiber? Was ist daran auszusetzen, wenn sich einzelne für viele Stunden vor Bildschirme setzen, werden einige Superliberale äußern können. Nein, werden besorgte Menschen sagen, das ist doch offensichtlich schädlich.

Lassen wir das Spekulieren und wenden unsere Aufmerksamkeit der Alltags-Praxis zu. Sie haben viele Anhaltspunkte dafür, dass der Kollegen X oder die gute Bekannte Y in der Regel viele Stunden pro Tag im Internet abtaucht. Nach dem Lesen der oben aufgeführten Fakten spüren Sie eine deutliche Mitverantwortung und sprechen die gefährlichen Auswirkungen dieses Verhaltens an, indem Sie die Gefahren für den Einzelnen selbst und den Kontakt zum persönlichen Umfeld unterstreichen. Und dem Vater bzw. der Mutter eines ständig im Internet hängenden Jugendlichen sagen sie, dass diese hier als Eltern klar und konsequent einzuschreiten hätten, um den Jugendlich nicht in der Sucht enden zu lassen. Die Botschaft in Kurzform: Der Internetkonsum ist drastisch zu reduzieren,  weil sonst die Verpflichtungen im Arbeitsfeld, dem Partner/der Partnerin gegenüber oder bei Jugendlichen die schulischen Leistungen rapide reduziert würden. Jetzt achten Sie auf das, was nun passiert. Wird Ihre Intervention Dankbarkeit oder schroffe Abwehr auslösen. Setzt ein Gegenangriff oder die Bitte um Konkretisierung der Zusammenhänge ein? Die Regel wird sein: ‚Da hat sich niemand einzumischen! Das ist alleine meine Sache! Das muss ich mir von ihnen nicht sagen lassen. Kümmern sie sich um ihre eigenen Dinge. Ich benötige keine Moralpredigt. Wen stört’s, wenn ich das mache?’. Eine Rückmeldung im Sinne: ‚Danke für ihren persönlichen Hinweis, ich weiß um die Zusammenhänge, komme aber da nicht raus’ würde sicher ein kleines Wunder sein.

Wenn dann aber Probleme deutlich werden, weil Jemand wegen seiner drastisch reduzierten Leistung seinen Arbeitsplatz verloren hat,  ein Schüler in seiner Leitung rapide abrutscht, Partnerschaften zerbrechen, hat die Solidargemeinschaft umgehend zu helfen. Dann soll die Arbeitsagentur schnellstens eine neue Stelle finden, in der Zwischenzeit hat das Sozialsystem für den Lebensunterhalt zu sorgen und bei lernunfähigen Schülern sollen spezielle Programm für ‚Schulmüde’ helfen oder der Staat übernimmt selbstverständlich die Kosten für ein ‚Sitzenbleiber-Jahr. Im Falle einer Trennung, sind wiederum Paarberatungsstellen notwendig und - beim Vorhandensein von Kindern - gibt es einen Neuzugang im Bereich von Alleinerziehenden. Auf all das hat die Allgemeinheit, über Beratungsstellen, Jugendamt, Familiengericht, Kinderkrippe, Sozialamt, Wohnungsamt, Psychotherapien, Kuren, Krankenkassen usw. natürlich sofort zu reagieren. Diese Zusammenhänge trifft natürlich auch auf die Alkoholiker und Raucher ‘Supertoll’, die dauernd krankfeiernde Frau ‘Immerschlapp’, den riskant autofahrenden Herrn ‘Überschnell’, den Ski-Pistenrambo ‘Gernegroß’ und den gewichtigen Daueresser ‘Fettwanst’ gleichermaßen zu. In der Situation hat sich niemand einzumischen, die offensichtlichen Folgen, ob es sich um die Kosten oder sonstige Belastungen handelt, werden den Anderen aufgehalst.

Jede Sucht hat ein eigenen Gesicht und eine andere Vorgeschichte. Aber an jeder Sucht sind viele Menschen direkt oder indirekt durch Mitwirkung, fehlende Stopp-Signale oder ein falsches Toleranz-Verständnis beteiligt. Sich nur nicht einbringen, niemand zu nahe treten, ist das Verhaltensmuster. Manche Menschen scheinen mittlerweile ihr Tolleranz-Verständnis aus dem Toll-Haus übernommen zu haben.

Sucht kommt von suchen! Aber was wird denn vom Einzelnen konkret gesucht? Geborgenheit, Anerkennung, wohlwollende Menschen, Dazugehörigkeit, Schutz, Lebens-Sinn. Sich danach sehnend aber gleichzeitig bemerkend, von diesem Ziel recht weit entfernt zu sein, verführt dazu, sich den Kick in einer leicht erreichbaren jetzt und sofort wirkenden ‚Bedürfnis-Befriedigungs-Area’ holen zu wollen.  Aber jedes tragen sollende und nachhaltige Ziel ist in der Regel nur mit Mühe, Selbstdisziplin, Mut, Fähigkeit und Durchhaltevermögen zu erreichen. Und diese Fähigkeiten werden in der frühen Kindheit gelernt, oder auch nicht. Demnach ist hier der Ansatzpunkt für einen wirkungsvolle Sucht- Prophylaxe. Jede Warnung vor Suchtgefahren ist (fast) unnütz eingesetzte Energie, denn das Wissen ist existent, ‚nur’ die Einsicht oder Kraft zur Umsetzung fehlt. Und ein Ruf, die Krankenkassen sind für die Sucht-Folgen zuständig greift viel zu kurz. So wie kaum ein Techniker auf die Idee käme, einen Staudamm von hinten abzudichten, so kann das Thema Sucht in seinen vielen Facetten nur am Ursprung wirksam bekämpft werden. Management-Berater bringen diesen Zusammenhang recht drastisch auf den Punkt. ‚Der Fisch stinkt vom Kopf’, packten wir ein Übel nicht an der Wurzel an, ist alles anderes nur kostenträchtiges Pfuschwerk.

Ein  Fazit: In unguten Bedingungen aufgewachsene Kinder und Jugendliche entwickeln sich zu instabilen Erwachsenen. Diese werden zu einem großen Konfliktpotential in der Gesellschaft. Der Umfang der Leistung, sich für gute Bedingungen in Beruf, Partnerschaft und Familie einzusetzen, wird zum Maßstab für die Stabilität unserer Gesellschaft. Jede Sucht, ob sie per Internet, Drogen oder Glücksspiel deutlich wird, hat einen zu hohen Preis. Denn Menschen mit Kontrollverlust werden sich nicht den vielen Herausforderungen unserer Zeit stellen können oder wollen.

Copyright: Dr. Albert Wunsch, 41470 Neuss, Im Hawisch 17

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: dentix07

Wenn ich sehe, daß die (angeblich) Gefährdetsten die 14-16 Jährigen sind, dann fallen mir dazu nur die Vorwürfe und Befürchtungen verschiedener Elterngenerationen ein, die Ähnliches ausmachten! Kann mich noch gut daran erinnern. Lesen, Fernsehen, Computer, jetzt eben Internet! Nur, bis Computer kam niemand auf die Idee dahinter eine Sucht zu vermuten und damit den allsorgenden Staat zu beauftragen!
Erst seit Neustem entdeckt man - sobald ein neues, die Jugend faszinierendes und damit auch zeitintensiv betriebenes Hobby/Phänomen auftaucht - sofort eine neue Sucht!
Ich halte dies eher für die - uralte - Überreaktion Älterer in Bezug auf die Jugend.
Soweit ich mich erinnern kann - ist inzwischen auch schon über 30 Jahre her - waren wir in dem Alter abolut NICHT anders. Uns interessierte auch mehr Musik, das andere Geschlecht, zusammenhocken und reden und insbesondere FEIERN, als Schule und Ausbildung. Und auch unsere Schulleistungen haben darunter gelitten (Pubertät und so :) ). Es hat sich nichts geändert, die Alten beäugen die Jugend mißtrauisch, verstehen die Möglichkeiten die diese, angst- und vorurteilsfrei nutzt, nicht (mehr)und kontruieren daraus den Untergang der Kultur (heute eben als Sucht!).

Gravatar: Legolas

Ja es kann passieren das Menschen internetsüchtig werden. Aber multibelfach größer und gefährlicher ist die weltweite Sucht nach Konzernmedien, und deren krankhaften Botschaften. Der tägliche und mehrstündige zwanghafte Konsum von Müllfernsehn kann die Psyche eines Menschen völlig zerstören, bezw. diese vor ihrem Aufkeimen bereits ersticken.

Gravatar: dw-seneca

In der Tat, das Inet ist hochgefährlich, aber weniger für die Bürger sondern vor allem für die politische Klasse, die in den letzten Monaten zu ihrem Verdruß feststellen mußte, daß sich Informationen, die gar nicht zu den normalen Bürger hätten durchdringen sollen, dank Inet rasend schnell verbreiten können.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, wenn jetzt die Gefährlichkeit des Inet plakatiert wird.

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