Wehrunwille und Wehrunfähigkeit

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Henryk M. Broder hat in der „Welt“ wieder einmal einen Text geschrieben, dem man nur schlicht und einfach beipflichten muss. Er beschreibt einige deutsche Illusionen, zu denen die Bestellung einer Frau und siebenfachen Mutter zur Chefin der Bundeswehr gehört, die aus dieser Operettenarmee ein „Dienstleistungsunternehmen“ macht, das sich zuvörderst um die „Vereinbarkeit von Dienst und Familie“ sorgt. Dazu passt ein Foto, das die nur satirisch als Verteidigungsministerin zu bezeichnende Dame mit einem Soldaten im Tarnanzug (!) in einem Spielzimmer (!!) zeigt.

Ich schreibe das mit einer gewissen Verbitterung als jemand, der Wehrdienst im Kalten Krieg gemacht, also die Bundeswehr noch als halbwegs intakte Truppe erlebt hat. Wie sagt doch der großartige Militärhistoriker Martin van Crefeld: „Was soll man von der fortschreitenden Feminisierung des Militärs im Westen halten? Offensichtlich doch, daß dieses Militärwesen im Niedergang begriffen ist. Dieses Argument paßt sehr gut zu dem, was wir an Wandel des regulären Krieges hin zu Terrorismus und Guerillakrieg beobachten können. Unter den Taliban sind jedenfalls wenige bis keine Frauen.“ Beim IS übrigens ebensowenig.

Die bundesrepublikanische Gesellschaft ist schon lange wehrunwillig; nun ist sie auch wehrunfähig geworden. Das erinnert an die Haltung der römischen Provinzen in der letzten Phase des weströmischen Reichs. Verteidigung wurde nur von der Zentrale in Rom erwartet, die sie aber nicht mehr bieten konnte. So schrieben die Bürger der nordafrikanischen Provinz einen Brief um Hilfe nach Rom, als die Vandalen vor der Tür standen, anstatt sich selbst um eine, durchaus erfolgversprechende, Verteidigung gegen die keineswegs übermächtigen Barbaren zu kümmern. Die Antwort aus Rom ist berühmt geworden: Aus bedrohlichen Invasoren wurden umgehend harmlose Mitbürger, indem ihnen das römische Bürgerrecht verliehen wurde. Nur leider hatten die Vandalen ganz andere Vorstellungen von ihrer Rolle in dem Possenspiel, mit den bekannten Folgen. War es das, was Westerwelle mit „spätrömischer Dekadenz“ meinte?

Auch heute meinen wir, durch Verwaltungsakte wie Einbürgerungen ideologische Unterschiede wegzaubern zu können. Durch diese Illusion kommt es u. a. zu den überraschend vielen kerndeutschen Dschihadisten. Der Rest von uns aber will, wie Broder schreibt, in Ruhe gelassen werden. Das wird aber kaum klappen. Hinzu kommt eine unglaubliche Gleichgültigkeit gegenüber den Menschen, die für unsere Werte gekämpft haben und gefallen sind oder umgebracht wurden. Es sei nur an die drei enthaupteten Journalisten und Helfer im Nahen Osten erinnert, deren Schicksal medial äußerst knapp erwähnt, eigentlich in schändlicher Weise unter den Teppich gekehrt wurde. Dass sie bei aller Erniedrigung, der sie ausgesetzt waren, mit Haltung, ja heldenhaft gestorben sind, ein solcher „antiquierter“ Ausdruck kommt der Journaille nicht in den PC. Noch einmal sei Van Crefeld zitiert: „Ein Land, das diejenigen, die für es kämpften und starben, in einer solchen Art und Weise behandelt, kann nur beten, daß – um Clausewitz zu zitieren – niemand mit einem scharfen Schwert vorbeikommt und ihm den Kopf abschneidet. Denn ganz gewiß wird dann keiner für es kämpfen.“ Clausewitz wusste schon, welches Bild er für sein Argument wählte.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Klimax

"Ohne eine Armee, die den Namen verdient, geht es nicht. Und zu den Leuten, die das für uns machen, sollte man auch stehen. Dann ist man noch kein Militarist, oder?"

Das wäre ein gemeinsamer Nenner. Und Sie haben recht, Deutschland wäre wohl nur bedingt abwehrbereit. (Das liegt allerdings nicht an der Entscheidung, die Wehrpflicht abzuschaffen, die ich schon wegen GG 3.2 für längst überfällig halte. Aber das haben Sie ja auch nicht behauptet.) Entscheidend ist dabei, daß im überbordenden Wohlfahrtsstaat der Staat kein Geld mehr hat für seine Kernaufgabe: den Schutz von Freiheit und Eigentum seiner Bürger nach außen und innen.

Gravatar: Peter Schaefer

Sie schreiben:
"Clausewitz war sicher ein kluger Mann, aber er entstammt einem anderen Jahrhundert mit völlig anderen Realitäten und vor allem ohne die Erfahrung von zwei völlig verheerenden Weltkriegen."

Das ist schon eine mutige Aussage zu Clausewitz. Wenn Sie mal einen Blick in ihr Geschichtsbüchlein werfen, werden Sie feststellen, daß Clausewitz in seiner besten Zeit die Schlachten der napoleonischen Kriege erlebte und sicherlich einen besseren Eindruck von Politik in Krieg und Frieden hatte, als wir das heute haben.

Gravatar: Adorján Kovács

Danke für die Antwort. Bei Verteidigung denke ich natürlich auch nicht gleich an den sprichwörtlichen Hindukusch, das ist klar. Ich denke an asymmetrische Angriffe hier (denen man evtl. doch asymmetrisch begegnen muss?). Aber auch in diesem Fall sehe ich illusionäres Denken. Ohne eine Armee, die den Namen verdient, geht es nicht. Und zu den Leuten, die das für uns machen, sollte man auch stehen. Dann ist man noch kein Militarist, oder?

Gravatar: Klimax

"Sich zu verteidigen" ist im Normalfall ein Gebot in unmittelbarer persönlicher Bedrohung, nicht die Beschreibung von Aktivitäten Tausende Kilomenter weit von daheim entfernt. Und Clausewitz war sicher ein kluger Mann, aber er entstammt einem anderen Jahrhundert mit völlig anderen Realitäten und vor allem ohne die Erfahrung von zwei völlig verheerenden Weltkriegen.

Gravatar: H.R.Vogt

Schlage vor, die deutsche Bundeswehr aufzulösen und stattdessen eine EU- Armee aufzubauen.
Das wäre m.E. ein besserer Weg zur europäischen Vereinigung als die gemeinsame "Friedens-Währung"

Gravatar: Andreas Schneider

Als ehemaliger "Zettie" habe ich die Ausläufer des Kalten Krieges ab 1979 inkl. der Zeit des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan in "grenznahen" Standorten des hessischen Berglandes er- und durchlebt.

Begeisterung war es nicht, mit zu verpflichten; dies waren rein finanzielle Gesichtspunkte. Das spätere Studium war mir wichtiger. Zudem war die strategische Lage so sonnenklar, dass sich wohl nur geistig verwirrte Rambo-Typen Illusionen über einen etwaigen Kriegsverlauf machen konnten. Dieses "Gleichgewicht des Schreckens", dessen Teil man in kleinstem Rahmen wurde, wird in der Entwicklung der Menschheit wohl nie einen Ehrenplatz erlangen können - aber es hat funktioniert. Zudem hätte es im Ernstfall wohl kaum eine Rolle gespielt, ob man nun Uniformträger war oder nicht.

Bedeutsamer erschien (und erscheint) mir, dass die Rechtslage (i. e. die entsprechenden Artikel und Absätze des Grundgesetzes) diesen damaligen Umständen wie auch der unseligen Vergangenheit eindeutig Rechnung trugen: eine engmaschige "Verfassungs"lage band die Streitkräfte tatsächlich an einen reinen Defensivauftrag, und sowohl personelle wie auch materielle Ausstattung trugen dem Rechnung. Der Beliebtheitsgrad des "Bundes" stand auf einem anderen Blatt. Verständlicherweise.

Ich empfinde es als über alle Maßen bedenklich, dass diese so eindeutige Rechtslage zwar bis heute unverändert geblieben ist, jedoch Auslegungen erfährt, die sehr wohl einer nachvollziehbaren Begründung bedürfen. "Verteidigung" scheint demnach heute so ziemlich alles zu sein, vom "Brunnenbohren" in Belet Huen über Piratenjagd am Horn von Afrika bis hin zu Kriegseinsätzen im alten Jugoslawien und Afghanistan (Kriegseinsätzen, wohlgemerkt, die so zu nennen tunlichst vermieden wurde).

Würde ich mich dieser Truppe heute wieder anschließen, als Freiwilliger? Nein, ganz gewiss nicht! Wenn ich schon u. U. genötigt bin, Leben und Gesundheit in die Waagschale zu werfen, dann möchte ich im Vorfeld wissen, wozu. Mit "mangelndem Wehrwillen" hat das rein gar nichts zu tun. Aber seit Belet Huen habe ich meine Söhne entsprechend erzogen.

Vor ca. 3 Jahren hatte ich beruflich mit dem Personaloffizier einer örtlichen "Kaserne" (die für mich mehr nach einem Hotel aussieht) zu tun, der einem Afghanistan-Rückkehrer bei seiner Wohnungssuche beistand. Mit diesem Mann etwa gleichen Alters geriet ich ins Gespräch - wohl die Seelenverwandtschaft einer Generation, die eine andere Bundeswehr kennen gelernt hat. Unvergesslich hat sich bei mir seine folgende Bemerkung eingebrannt: "Man fühlt sich ja nur noch als Söldner."

An "Mami" von der Leyen war da noch lange nicht zu denken.

Gravatar: Adorján Kovács

Ich rede mit Clausewitz und van Crefeld von den Folgen der Unwilligkeit und Unfähigkeit, sich zu verteidigen. Ob das "am Hindukusch" nötig war, wo ja vorwiegend Mohnfelder bewacht wurden, sei dahingestellt. Mir geht es um hier, bei uns. Um eine positive Einstellung in der Gesellschaft zu den Leuten, die diese schwere Aufgabe der Verteidigung auf sich nehmen. Wenn man sie, wie ja geschehen, als "Mörder" bezeichnen darf, dann darf man sich eben nicht wundern, wenn am Ende niemand da ist, der verteidigt. Oder finden Sie, es gibt in Deutschland keine Werte, keine Dinge, die verteidigenswert sind? Nach den ersten "erfolgreichen" Anschlägen in Deutschland wird man sehen. Es ist ja leider so, dass man damit rechnen muss.

Gravatar: Adorján Kovács

Für Herrn Broder mag das vielleicht stimmen. Ich rede mit Clausewitz und van Crefeld von den Folgen der Unwilligkeit und Unfähigkeit, sich zu verteidigen. Nach den ersten "erfolgreichen" Anschlägen in Deutschland wird man ja sehen. Leider muss man damit rechnen.

Gravatar: Karl Letis

Unsere westlichen verbündeten haben uns mit den 2+4-Verträgen so viele Auflagen gemacht, dass es schon allein deshalb richtig wäre, dass wir uns heraushalten.

Man wollte kein starkes millitärisches Deutschland. Bitte schön. Und schon gar nicht im Irak.

Alles, was man vom Bundespräsident bis zu den Grünen so hört, geht in eine andere Richtung, Man will wohl man sehen, ob die Deutschen nach den 2WK noch so richtig metzeln können.

Gravatar: Klimax

Nun, die Aufrufe Herrn Broders an die Deutschen, doch gefälligst auf der ganzen Welt gegen jeden Staat in den Krieg zu ziehen und sich von Granaten zerfetzen zu lassen, der Herrn Broder ein Dorn im Auge ist, kann man inzwischen nicht mehr zählen. Der ansonsten schätzenswerte Mann hätte vor 100 Jahren wohl gut in die deutsche Presselandschaft gepaßt.

Gravatar: Gerd Müller

Nach der Widervereinigung Deutschlands, hatte ich die Möglichkeit die Bundeswehr etwas näher kennen zu lernen.
Schon damals fiel mir auf, daß die Soldaten der NVA wohl umsonst soviel Respekt vor der "Westarmee" hatten.
Was Härte, Ausdauer und Gehorsam anging waren die Ostsoldaten der Bundewehr weit überlegen ........

Die Entwicklung der Bundeswehr ging seitdem ständig bergab. und gipfelte in der Auflösung der Wehrpflicht. (es besteht doch keine akute Gefahr für Deutschland).
Nun hat man ein Heer von "Berufssoldaten".
Dabei ist zu beachten, daß diese Soldaten bei ihren Kampfhandlungen beobachtet werden, ob sie sich an deutsche Gesetze gehalten haben.
Wenn nicht, werden sie in Deutschland vor Gericht gestellt und abgeurteilt, abstrus !

Wie belastbar sind diese Soldaten ?
Ständig sieht und hört man Berichte wonach die Soldaten nach einem Einsatz in Afghanistan oder sonst in einem Krisengebiet unbedingt psychologische Hilfe in Anspruch nehmen müssen, ausrasten oder depressiv werden.

Unsere Großväter und Väter haben 4 bzw. 6 Jahre ihres Lebens im Krieg verbracht.
Sie lagen jahrelang unter Beschuß in französischen Schützengräben oder später an der Ostfront in Russland.
Mir ist nicht bekannt, daß es für diese Soldaten psychologische Zentren gegeben hätte.
Im Gegenteil, alles war kaputt und zu fressen gab es auch nichts nach den Kriegen.

Ich frage mich, ob man in der obersten Führung der Bundeswehr tatsächlich glaubt, mit dieser Bundeswehr gegen die Bedrohungen unserer Zeit antreten zu können, gegen einen Feind, dem alles "scheißegal" ist, sogar sein eigenes Leben .........

Ich glaube es nicht, der Ausdruck Operettenarmee ist wohl eher zutreffend.

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