Was um alles in der Welt sollen wir in NRW wählen?

Wenn Politiker sich wundern, warum nur noch 6 % der Bevölkerung Achtung vor Berufspolitikern haben, warum die Politikverdrossenheit wächst, warum die Wahlbeteiligung zurückgeht, warum die Mitgliederzahlen der Parteien sinken, dann sollten sie mal kritisch auf die Art und Weise achten, wie sie sich zu Problemen äußern.

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Da geht es nur um dreierlei, den Eindruck zu erwecken, man habe die Dinge fest im Griff, nichts zu sagen, was gegen einen gekehrt werden kann, und alles so zu formulieren, daß verschiedene Handlungsmöglichkeiten offen bleiben, ohne daß einem Lüge vorgeworfen werden kann. Direkte, verständliche und womöglich verbindliche Erklärungen kommen deswegen so gut wie nicht vor.

Angesichts der Kompliziertheit, Komplexität, Unanschaulichkeit und Undurchschaubarkeit der meisten Probleme kommt es in der Politik - anders, als die meisten Politiker glauben - nicht darauf an, sich auf ein paar leicht verständliche Fragen zu konzentrieren und die unabhängig von ihrer wirklichen Bedeutung aufzublasen und in den Vordergrund zu schieben, sondern nur und ausschließlich auf die Glaubwürdigkeit des einzelnen Politikers. Der Wähler muß nicht nur den Eindruck gewinnen, sondern er muß darauf vertrauen können, daß der Politiker bestimmte, feste Überzeugungen hat, die er in die Politik und die Lösung der einzelnen Probleme einbringt und die durchzusetzen er mit aller Kraft versuchen wird.

 Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was der Ministerpräsident von NRW, Jürgen Rüttgers, tut. Dieser Vorsitzende des größten und einflußreichsten Landesverbandes der CDU nimmt an den Koalitionsverhandlungen der neuen Bundesregierung in Berlin teil, die überdies in seiner Landesvertretung stattfinden, und stimmt ihnen zu. Dann stellt sich heraus, daß ein erheblicher Teil der neuen Politik bei der Bevölkerung nicht ankommt. Wenn Rüttgers daraufhin Kritik an der von ihm mitbeschlossenen Politik übt, dann sind diese verbalen Distanzierungen allzu leicht zu durchschauen, weil ja offensichtlich ist, daß sie ohne Auswirkungen auf die beschlossene Politik bleiben. Und so erweckt sein Reden nur den Eindruck verlogener Anpassung an das, wovon er glaubt, daß es die Wähler hören wollen. Glaubwürdigkeit ist etwas anderes, und nur Glaubwürdigkeit könnte Erfolge haben.

 Man erinnere sich an Regine Hildebrandt, die mit Leidenschaft, ohne Rücksicht auf Parteidisziplin, ohne Rücksicht auf die Reaktion der Medien, ohne Rücksicht auf die Reaktion der Öffentlichkeit, ohne Rücksicht auf ihr Bild bei Freunden und Feinden für ihre Überzeugungen, für das von ihr als wahr und richtig Gehaltene eintrat. Ihr wurde vertraut, vorbehaltlos vertraut, sie kam an, sie hatte Erfolg.

 Warum folgen die Politiker diesem Vorbild nicht? Es wäre doch so viel einfacher, Überzeugungen zu vertreten, als zu versuchen, das Populäre zu erahnen und sich ihm anzupassen.

 Man erinnere sich weiter an die Bundestagswahl 2005, bei der nur ein prominenter Landeschef für die Politik der Agenda 2010 eintrat, werbend durch das Land Brandenburg zog und das erklärte, verteidigte, als notwendig erläuterte, was die Partei kurz zuvor beschlossen hatte. Und Platzeck war der einzige, der von dem Absturz der Partei nicht mitgerissen wurde.

 Die Glaubwürdigkeit erwächst ihrerseits aus Grundsätzen, aus Überzeugungen, für deren Aufrechterhaltung und Durchsetzung es sich zu kämpfen lohnt. Von all dem ist in NRW bei keiner der großen Parteien die Rede. Am ehesten finden sich Ansätze bei Kleinparteien, die sich dann überwiegend durch die Beschränktheit und Absurdität ihrer Ziele diskreditieren.

 

Wer also wundert sich, wenn die Wahlenthaltung wächst?

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Otto

Es ist eigentlich drollig:

Der grösste Teil der unser Leben betreffenden Entscheidungen wird heute von einer anonymen Bürokraten-"Elite" in Brüssel getroffen, für deren Zusammensetzung unsere Wahlentscheidung von vernachlässigbarer Bedeutung ist.

Gleichzeitig wird die Demokratie von dieser "Elite" zu einem quasi sakralen Wert erhöht. Denn die (angebliche) Demokratie verleiht scheinbar unbeschränkte Legitimation.
Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, die wirklich positiven Grössen, spielen in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle. Im Ergebnis gehen beide immer mehr verloren.

Die Frage ist also nicht: Was sollen wir wählen? Die Frage ist: Sollen wir wählen?

Wer sich unvoreingenommen umschaut, sieht, dass die westliche Welt (scheinbar unaufhaltsam) dem Abgrund entgegenrutscht. Dieser Prozess kann nur durch eine Entmachtung der "Eliten" aufgehalten werden. Für diese Entmachtung müssen wir den "Eliten" ihre scheinbare Legitimation nehmen.

Wer eine freie Welt will, sollte nicht wählen.

Gravatar: Z. Klimowa

Auf die notwendigen Reformen im politischen und Parteiensystem hat bereits Altbundespräsident Richard Weizsäcker vor langer Zeit hingewiesen. Bis heute sind sie ausgeblieben. Kompetenz wird so weiterhin durch mediale Wirksamkeit ersetzt. Es zählt der Schein und nicht das Sein. Was kann man tun? Unter den Blinden den oder die Einäugigen wählen. Eine Alternative gibt es nicht, denn Protestverhalten nimmt in Kauf, daß eben nicht die Einäuigigen, sondern die Blinden das Sagen haben. Der Schwierigkeitsgrad dieser Aufgabe ist mit einer einfachen Dreisatzaufgabe vergleichbar. Doch schon damit haben die Deutschen bekanntermaßen ihre Schwierigkeiten.

Gravatar: Constanze Kikels

Lieber Dedi Schwerin,
lesen Sie mal den Artikel von Frau Seilhorst. Er paßt so schön zu Ihrem. Den Politikern geht es nur noch um Macht und die Wiiligmachung der Bürger, damit diese gut funktionieren. Und nun wird auch schon über eine 24 Stunden KITA gesprochen. Herzlich Willkommen im kalten Osten. Es fragt sich jetzt nur noch, wann wir uns gegen den Klassenfeind von außen eine Mauer bauen, denn die Länder außerhalb meistern ihre Probleme bei weitem besser zumindest glaubwürdiger.
Naja. ein bißchen Zeit haben unsere Bürger ja noch und können sich heutzutage gut informieren und kritisch ihre Führer betrachten. Und da sie es goßenteils tun, gehen eben nur 6% zur Wahl. Gefährlich wird es für die falschen Führer nur, wenn das Volk merkt, dass sie eigentlich das Rad der Gesellschaft sind und das ohne sie gar nichts geht. Das wird auch die große Angst der Führung sein, weshalb wird sonst mit soviel Eifer alles versucht, sich den Menschen untertänig zu machen.
Ich wünsche mir so sehr, dass das Volk endlich wach wird und sich nicht ständig von allen möglichen Dingen blenden läßt.
Es ist eben unsere Aufgbe, die wirkliche Führungselite zu finden, Führer, die uneigennützig dem Volk dienen und es regieren.
Wer führen möchte muß auch dienen können. Und eben das sehen die Wäöhler nicht, warum dann noch wählen gehen? Die da Oben machen doch sowieso, was sie wollen. Und wenn es sich zu stark zuspitzt, dann haben wir eben einen Bürgerkrieg.

Gravatar: Gockeline

Es sollen alle zur Wahl gehen aber nur den Stimmzettel weiß abgeben.
Was dann liebe Parteien?
So kann man auch protestieren.

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