Was können wir aus dem Düsseldorfer Fußball-Chaos lernen?

Wenn ein Fußballspiel aus dem Ruder gelaufen ist, eine Demonstration in Gewalt ausartet, Maikundgebungen sich an Menschen und Sachen austoben – immer wenn der „Mob“ auf Plätzen und Straßen die Oberhand gewinnt, wird der Ruf nach mehr Polizei, nach härteren Strafen, nach strengeren Gesetzen laut.

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Sind es aber nicht gerade diese Situationen, die uns zeigen, wie anfällig unsere Demokratie ist, wenn sich plötzlich viele nicht mehr an die Spielregeln halten? Warum werden,gegen jede Vernunft die Grundlagen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens zur Disposition gestellt? Wo die Brüchigkeit unserer Fundamente zutage tritt, macht sich Erschrecken breit.

Über die jüngsten Ausschreitungen auf den Fußballplätzen in Düsseldorf und Karlsruhe wird noch eine Weile heftig diskutiert werden. Es wird nach Schuldigen gesucht: Die Ordner, die Polizei, der Schiedsrichter, vielleicht überhaupt die Tatsache, dass sich in zwei Spielen entscheiden soll, in welcher Klasse ein Verein in der nächsten Saison spielen wird... In Düsseldorf soll die Polizei die Berliner Spieler darum gebeten haben, wieder auf den Platz zu kommen, aus Angst davor, dass sonst eine Eskalation eintreten könnte, die nicht mehr zu kontrollieren sei. Angst wovor? Vor einigen Hooligans, die gewaltbereit ihre Bühne suchten? Oder davor, dass friedliche Familienväter sich von einer Massenhysterie mitreißen lassen könnten in eine „Schlacht mit unsicherem Ausgang“? Wieso können einige wenige Chaoten wirklich ein ganzes Stadion massenhysterisch vereinnahmen?

Die Rauchbomben und bengalische Feuer entzündenden Gewaltbereiten waren umgeben von vernünftigen, ruhigen, besonnenen, echten Fußballfans, die diese Ausschreitungen nicht verhindern konnten oder wollten. Aus Angst? Oder haben sie sich mitreißen lassen, wie am Ende, als das Spielfeld vorzeitig gestürmt wurde – und das nicht nur von Chaoten?

Eine Chance zum Nachdenken

Als in Duisburg vor einem Jahr in Massenhysterie Menschen totgetrampelt wurden, ging ein Aufschrei durch die Republik. Nachdem man glaubte, die Schuldigen gefunden zu haben, konnte man wieder zur Tagesordnung übergehen. Nach Düsseldorf und Karlsruhe kann sich dasselbe Zeremoniell abspielen. Als am 1. Mai in Berlin bei den jährlichen „Gewaltfestspielen“ über 100 Polizisten verletzt wurden, feierte der Berliner Senat das als einen großen Erfolg.

Ist es nicht an der Zeit, sich nach den Ursachen zu fragen, die solchen unsere Gesellschaft zerstörenden Tendenzen zugrunde liegen?

Noch nie wurden in unseren Schulen so viele „Streitschlichter-Kurse“ angeboten und „Gewalt verhindernde Maßnahmen“ ergriffen, noch nie so viel von Toleranz gesprochen wie heute. Das alles scheint nicht zu greifen. Warum? Vielleicht führen die neuesten Ereignisse zum tieferen Nachdenken? Vielleicht fragen sich doch einige: Haben wir einen falschen Begriff von Toleranz? Lassen wir zu vieles zu, ohne dass es Konsequenzen für die Täter hat? Hat Toleranz nicht dort seine Grenzen, wo sich das Verhalten anderer gegen die Grundlagen unserer Gesellschaftsordnung richtet? Sind wir noch davon überzeugt, dass es sich lohnt, sich für die Werte von Freiheit, Gerechtigkeit, Verständnis und Rücksicht für andere, also Nächstenliebe, einzusetzen?

Ohne Zivilcourage geht es nicht

Eine Gesellschaft, die unsicher geworden ist, welches ihre Grundwerte sind, auf denen ihr Zusammenleben beruht, verliert die Kraft, sich für diese Werte unter Inkaufnahme eigener Nachteile einzusetzen. Eltern werden dann ihre Kinder nur noch zögerlich auf Werte festlegen und sie einfordern, in der Schule bleiben sie unverbindlich und beliebig, in der Gesellschaft werden sie ausgehöhlt. Wenn dann Situationen entstehen, wie in Düsseldorf, wo das Eintreten für Ruhe und Ordnung, für Rücksichtnehmen und Verständnis, eine große Entschiedenheit von der „schweigenden Mehrheit“ verlangte, die im Stadion sicher vielhundertfach überlegen war – dann versagt sie, wenn der einzelne es nicht mehr gelernt hat, sich couragiert und überzeugt für unsere Werte einzusetzen.

Die christliche Tugend der Tapferkeit besteht mehr im Standhalten als im übermütigen Angreifen, im Sich-Einsetzen für die eigenen Überzeugungen mit der Bereitschaft, für dieses hohe Gut persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Ihre säkulare Schwester, die Zivilcourage, lebt von denselben Voraussetzungen: Nur da, wo eine feste Überzeugung durch Erziehung, Bildung und Vorbilder verinnerlicht werden konnte, gibt es die Bereitschaft, für diese Überzeugung mutig einzutreten.

Hoffen wir, dass auch solche Überlegungen bei der Verarbeitung der jüngsten Ereignisse eine Rolle spielen.

 

Beitrag erschien zuerst bei www.erziehungstrends.de

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