Was ist Religionsfreiheit?

Religionsfreiheit ist Freiheit zur Religion. Das Straßburger Urteil zum Kreuz im Klassenzimmer spricht eine andere Sprache. Ein Nachtrag.

 

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Ohne inhaltlich direkt auf die „Zwölf Thesen“ eingehen zu wollen, möchte ich das Thema „Kreuz im öffentlichen Raum“ noch einmal aufgreifen. Meine fast kommentarlose Darstellung der Position von „Europe for Christ“ gab Anlass für eine Replik von Patrick Pricken, für die ich mich bedanke. Auch auf diese möchte ich aber hier und jetzt nicht direkt eingehen. In der Diskussionen werden nämlich viele Fragen angesprochen, die eine Komplexität aufweisen, die sich kaum in einem Blog-Beitrag auflösen lässt. Zu differenzieren wäre auf unterschiedlichen Sachebenen zwischen Kruzifix und Kreuz, Staat und Öffentlichkeit, Recht und Moral, Freiheit und Beliebigkeit, Neutralität und Nihilismus, einer kulturhistorischen und einer legistischen Dimension des Problems. Allein der Begriff „Gleichheit“ im Terminus „Gleichbehandlung“ verlangte eine intensive Betrachtung in historischer, philosophischer, politischer und juristischer Hinsicht. Das kann ich nicht leisten. Zumindest hier und jetzt nicht.

Als kleine Anregung sei hier nur der Schlüsselbegriff der „Religionsfreiheit“ aufgegriffen und rekonstruiert. Vielleicht hilft die Darstellung dabei, die Kritik am Straßburger Urteil etwas besser zu verstehen.

Eine letzte Vorbemerkung. Ich gebe zu: Ich bin befangen, weil das Kreuz mir ein sehr angenehmes Symbol ist, unter dem ich gerne lehre, lerne und lebe. Als Christ ist das Kreuz für mich tröstlich und motivierend. Ich glaube auch, dass es niemandem schadet, ab und zu auf das Kreuz zu blicken. Andere sehen das freilich anders.

Es geht hier wohl um die Frage, wie wir Religionsfreiheit verstehen müssen: positiv oder negativ.

Religionsfreiheit ist zunächst ein Menschenrecht. Doch nicht nur das, sondern es ist auch ein zentrales, herausragendes, elementares und – bezogen auf die Genese der Menschenrechtsidee – ursprüngliches Menschenrecht. Christliches Gedankengut zeigt sich im Kontext der liberalen Menschenrechte in der Entwicklung, dem Wesen und dem Geltungsanspruch dessen, was als Freiheit von staatlicher Allmacht definiert wird. Es zeigt sich in Leib- und Lebensrechten, wie etwa im Folterverbot, und es liegt Freiheits- und Gleichheitsrechten zugrunde. Die vielen Freiheiten in Politik, Wissenschaft, Medien und Kunst, das macht ein Blick in die Entwicklungsgeschichte der Menschenrechtsidee deutlich, gründen auf der einen elementaren Freiheit, der Religionsfreiheit. Dies lässt sich historisch zurückverfolgen bis zum Exodus des jüdischen Volkes, in der sich die erste kollektive Freiheitsbewegung der Geschichte manifestiert, deren Motiv auch in der religiösen Integrität der Israeliten liegt.

Der Staatsrechtler Jellinek sieht in der Religionsfreiheit „das Ursprungsrecht der verfassungsmäßig gewährten Grundrechte“. Und der in Religionsfragen eher unverdächtige Marxist Ernst Bloch sagte: „Die Bedeutung der Glaubensfreiheit kann daran gemessen werden, dass in ihr der erste Keim zur Erklärung der übrigen Menschenrechte enthalten ist“. Kurzum: Ringen um Freiheit war und ist zunächst das Ringen um Religionsfreiheit. Das sollte uns schon mal zu denken geben!

Jetzt geht es aber um die konkrete Reichweite der Religionsfreiheit. Im Straßburger Urteil wird „Religionsfreiheit“ ganz anders gedeutet als sie (allen AEMR-/EMRK-/GG-Kommentaren zufolge) gemeint ist und eigentlich auch nur gemeint sein kann: Als Freiheit zur Ausübung von Religion im öffentlichen Raum. Welchen Sinn sollte Religionsfreiheit sonst haben? Wenn religiöse Symbole oder religiöse Betätigung im öffentlichen Raum grundsätzlich verboten sein sollen, dann kann der einzelne Bürger seine Religion eben nicht frei leben. Ihm bliebe nur die Betätigung im Privaten. Handlungen in Privatwohnungen, Clubhäusern oder Vereinsheimen sind aber ohnehin in besonderer Weise geschützt, dazu braucht es kein besonderes Freiheitsrecht. Religionsfreiheit muss im Kanon der Menschenrechte eben deshalb extra aufgeführt werden, weil sie auf Ausübung von Kultus und Ritus im öffentlichen Raum zielt. Sonst könnte man sich das gleich schenken! Auch Meinungsfreiheit wäre ja völlig zwecklos, wenn damit nicht Meinungsveröffentlichungsfreiheit gemeint wäre.

Schulen sind zwar nicht öffentlicher Grund wie Straßen und Plätze, aber auch kein Ort hoheitlichen Staatshandelns wie eine Polizeidienststelle. In der Schule wird diskutiert und (bestenfalls) gelernt. In Schulen finden Versammlungen, Konzerte, Aufführungen und Ausstellungen statt. Schulklassen werden als Wahllokale genutzt. Schulen sind insoweit öffentlicher, vor allem aber kulturalisierter und politisierter Raum, in dem es auch um das Einüben und Erproben der Meinungsveröffentlichungsfreiheit geht.

Nun aber wird Religionsfreiheit nicht mehr positiv gedeutet, sondern negativ. Es gilt nicht mehr die „Freiheit zur Religion“, sondern die „Freiheit von Religion“ als schützenswert. Die Frage ist jedoch, ob das Konzept Religionsfreiheit ein solches Rechtsgut – von Religion und ihren Symbolen verschont zu bleiben – wirklich als vorrangig schützenswert hergibt. Menschenrechte müssen auch für Minderheiten gelten, auch für Einzelpersonen, auch gegen die Bevölkerung eines Landes, ganz klar, besonders dafür sind die als Abwehrrechte ja konzipiert. Nur ist das Menschenrecht auf Religionsfreiheit so gemeint? Als Abwehrrecht gegen Religionsgemeinschaften im öffentlichen Raum? Sicher nicht. Es ist gerade als Abwehrrecht der Religionsgemeinschaften gegen einen Staat konzipiert, der die Ausübung von Religion im öffentlichen Raum unterbindet. Es ist also ein Gewährleistungsrecht für Religionsgemeinschaften.

Jetzt kommt das Argument der Gleichbehandlung von Religionsgemeinschaften ins Spiel: Wenn schon Ausübungsfreiheit, dann für alle! Da das nicht gewährleistet werden kann, gibt es eben Ausübungsfreiheit für keinen. Statt einen zu bevorzugen, benachteiligt man lieber alle.

In Europa wird das Christentum als eine der drei Säulen europäischer Identität – neben griechischer Philosophie und römischem Recht – traditionell in besonderer Weise bevorzugt, eben weil es eine Quelle europäischer Identität ist. Und weil zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention (1950) grob geschätzt 95% der Europäer Christen waren. Da die Mütter und Väter der EMRK in erster Linie das Christentum meinten als sie in Art. 9 „Religion“ schrieben, darf man das auch heute noch so historisch ausdeuten und der Mehrheitsreligion mir ihrem großen Einfluss auf das, was wir heute sind, einen Vorrang einräumen.

Vorgestern war der 20. Jahrestags des Mauerfalls. In der Berliner Gethsemanekirche fand ein Ökumenischer Gottesdienst statt. Menschen fassten in schwerer Zeit gerade im Zeichen des Kreuzes Mut, daran erinnerte Pfarrer Christian Zeiske in der Einführung. In der Gethsemanekirche beteten im Herbst 1989 Getaufte und Ungetaufte, Kirchennahe und Kirchenferne – unter dem Kreuz als verbindendes Zeichen der Hoffnung auf Veränderung und neues Leben. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, machte in der Predigt schließlich klar, dass „Freiheit“ nicht mit „Beliebigkeit“ verwechselt werden darf.

Wir müssen in der Tat aufpassen, dass wir Freiheit verantwortlich deuten. Nicht nur, aber eben auch die Religionsfreiheit. Es geht bei der Religionsfreiheit um weit mehr als um Wandschmuck mit Symbolgehalt. Es geht um die Besetzung öffentlicher Räume mit Bedeutungsträgern und damit – ganz langfristig – um Sinnstiftung in der Gesellschaft. Verantwortung bedeutet, dies in die Interpretation von Rechtsbegriffen einzutragen. Die Straßburger Richter haben dazu keinen Beitrag geleistet.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Freigeist

Hallo,
diese geschundene Gestalt am Kreuz soll Wandschmuck sein?
Grüße
Freigeist

Gravatar: Insider

Sehr schnell kristallisieren sich auch in der schriftlichen Diskussion diejenigen heraus, die wissen, dass sie vom faktischen her keine Recht haben, sie es aber mit allen Mitteln dem anderen abtrotzen wollen. Frei nach der Devise, wer schreibt, der bleibt auch wenn es der größte Unsinn ist, der dann zuletzt stehenbleibt.

In Klassenräumen sowie im Schulgebäude selbst reicht es völlig aus, wenn dort Materialien an den Wänden hängen, die die Schüler und Schülerinnen selbst fabriziert haben. Alles andere stört hier nur, lenkt ab.

Ich plädiere noch einmal ausdrücklich für ein Grundgesetz in jedem Klassenraum im Lehrerpult, dann endlich würde der Grundstein gelegt worden sein, dass überhaupt in Deutschland Menschen am Grundgesetz ausgebildet werden könnten. Die Lehrpläne sehen nämlich bis heute keinen zwingenden Unterricht am und mit dem GG vor und das selbst 60 Jahre nach dessen Inkrafttreten nicht.

Gravatar: Frank Martin

"Ich weiß nicht, auf welche Schule Sie gegangen sind, aber in meiner Schule, war es nicht möglich sich als Schüler die Richtung auszusuchen, in die man im Unterricht schauen wollte."

Wie kann man in solch einer Schule lernen?

Hing in der vorbestimmten Richtung ein Kruzifix, das zuverlässig vom Betrachten der Tafel ablenkte?

Es scheint, als sprächen wir aus völlig verschiedenen Erfahrungswelten.

Gravatar: Findiger

"Klassenzimmer haben meist noch drei andere Wände, denen jene, die das Kreuz nicht sehen wollen, sich zuwenden können."

Ich weiß nicht, auf welche Schule Sie gegangen sind, aber in meiner Schule, war es nicht möglich sich als Schüler die Richtung auszusuchen, in die man im Unterricht schauen wollte.

Gravatar: Insider

Ich würde es begrüßen, wenn man mit der gleichen Intensität darüber diskutieren würde, ob nicht in jedem Klassenraum zwingend ein Grundgesetz verfügbar zu sein hat, denn ohne die im Grundgesetz verbürgten Freiheitgrundrechte ist eine Diskussion über die Religionsfreiheit gar nicht möglich, wird sie doch durch das Grundgesetz erst ermöglicht.

Gravatar: Frank Martin

Natürlich wäre es mir lieber, wenn der Schulzwang fiele. Solange es ihn aber gibt, ist das Kreuz in den Klassenzimmern immerhin ein Ausdruck von Glaube, Liebe und Hoffnung.
Klassenzimmer haben meist noch drei andere Wände, denen jene, die das Kreuz nicht sehen wollen, sich zuwenden können.

Gravatar: Patrick Pricken

Ich stimme Gladstone zu, hier werden zwei "Öffentlichkeiten" zusammen geworfen. Das Urteil verlangt keine laizistischen Schulen, sondern nur Schulen, die nicht institutionell bekenntnisgeprägt sind. Lehrer sind in der Schule Vertreter des Staates, und die Wände einer Schule, an der ein Kreuz hängt, sind auch nicht privat.

Gravatar: Gladstone

Ich habe das in anderen Beiträgen schon geschrieben, dass es aus meiner Sicht in den staatlichen Institutionen um das Prinzip der Rechtsgleichheit geht.
Alle Verweise auf die Tradition werden nicht daran vorbei führen, dass sie langfristig anderen Religionsgemeinschaften dasselbe Recht zugestehen müssen. Da stellt sich die konkrete Frage: Würden Sie Ihre Kinder denn auch unter dem Halbmond unterrichten lassen, wenn die Mehrheitsverhältnisse nun einmal so sind?

Gravatar: Gladstone

Ich glaube, dass die Diskussion auf einer falschen Gegenüberstellung von öffentlich und privat beruht. Besser wäre die Gegenüberstellung von staatlichem Raum und privatem Raum.

Christentum kann ohne Hindernisse in den öffentlichen Raum getragen werden. Durch den Bau repräsentativer Gotteshäuser, Symbole, Festivitäten, Gründung von Schulen, Demonstrationen, Informationsveranstaltungen. Der inneren Mission sind quasi keine Grenzen gesetzt. Wären die christlichen Kirchen nicht solchen bürokratischen Apparate, dann stünde der Rechristianisierung nichts im Weg, selbst oder gerade wenn die staatlichen Institutionen keine religiösen Symbole zulassen.

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