Was ist der Mensch wert?

Diskussionen über den Transfer des Wohlstands entzünden sich meist an der Höhe von Zuwendungen. Dabei werden immer wieder gewisse sprachliche Muster bemüht. Im folgenden unternehme ich den Versuch, eines dieser gängigen Muster beispielhaft zu durchleuchten.

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Ergänzende Gedanken zur Diskussion „Hartz ist zu teuer“ von Frank Schäffler
vom 13.11.2009

Kommentare und Leserbriefe sind oft ebenso aufschlußreich wie die Originalbeiträge selbst. Die Leserreaktionen zum Beitrag von Frank Schäffler „Hartz ist zu teuer“ geben einschlägige Denkanstöße. Insbesondere ein Satz verdient nähere Durchleuchtung:  „... wenn der Preis zum alleinigen Maßstab des Wertes eines Menschen gemacht wird.“ (Martin Weigele). Darin offenbart sich eine weitverbreitete, gleichwohl falsche Weltsicht, deren Quelle die Sprache selbst ist. Die verschwommene Formulierung erzeugt verschwommenes Denken und führt konsequenterweise zu Fehlschlüssen, die in kontraproduktiven politischen Forderungen ihren Niederschlag finden. Gleichgültig, ob sprachliche Unvollkommenheiten bewußtes Werkzeug der Manipulation sind oder eher einem verborgenen Machtinstinkt zugeordnet werden müssen, in beiden Fällen läßt sich eine rasche, gesellschaftsweite Verbreitung und spontane Zustimmung seitens einer Mehrheit beobachten. Denkträgheit und unwiderstehlicher Drang, überall mitreden zu wollen, sind der Motor. Geistlos wird nachgeplappert, was in den Trend der Zeit paßt. Auf diese Weise ist auch die Klage vom „Preis als Maßstab des menschlichen Wertes“ zu trostloser Bekanntheit gelangt.

Die Sprache als Quelle von Mißverständnissen

Betrachten wir einmal die grammatische Form des inkriminierten Aussagesatzes:
Der Preis wird zum alleinigen Maßstab gemacht.“
Hierbei handelt es sich um ein Vorgangspassiv ohne Angabe des Agens (des Handelnden). Satzkonstruktionen nach diesem Muster dienen der Vernebelung. Sie finden sich gehäuft in politischen und pseudowissenschaftlichen Diskussionen und sollen den Eindruck der Objektivität erzeugen, sollen Nichthinterfragbarkeit vortäuschen. In den meisten Fällen geht diese Strategie tatsächlich auf. Kaum jemand vermißt den Agens. Im vorliegenden Fall werden es die meisten Leser versäumen, sich zu fragen: Wer macht denn überhaupt den Preis von Menschen? Welche Person oder welches Gremium unter der Leitung einer verantwortlichen Person kann denn bestimmen, wieviel ein Mensch „kostet“? Welches sind die Namen der Agenten? Oder ist es gar der große Unbekannte?
Und dann: Wie wird der jeweilige „Preis“ des Menschen gemessen und festgelegt? Was dient als Maßstab? Ist es die Höhe von Löhnen oder Transferzahlungen? Hat, wer nicht in Lohn und Brot steht, auch keinen „Preis“? Und zuletzt: weshalb sollte der Mensch denn überhaupt einen „Preis“ haben? Beginnt der Mensch dort, wo er Geldempfänger ist? Ist ein Mensch ohne Geld vielleicht gar kein Mensch?

Jedem nach seinen Fähigkeiten ...

Menschen sollten „nach ihren Fähigkeiten ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten dürfen“ (Martin Weigele). Doch niemand hindert Menschen daran, genau dies zu tun! Hinter dem genannten Satz steckt wiederum etwas anderes. Dieses erschließt sich, wenn wir erneut die grammatische Struktur des Aussagesatzes durchleuchten. Die Modalkonstruktion „Menschen sollten ... leisten dürfen“ legt das Verständnis nahe, daß irgend jemand den leistungswilligen Menschen in heimtückischer Weise daran hindere, seinen gesellschaftlich nützlichen Beitrag zu leisten. Wer sollte dieser ominöse Unbekannte sein? Und: wer bestimmt denn überhaupt, welche Fähigkeiten individuell angemessen sind? Man vergißt gern, wie geschmeidig und flexibel der Mensch nun einmal auf die gegebenen Umstände reagiert. Er weiß sich stets geschickt anzupassen und das beste für sich selbst herauszuholen. Jeder von uns sucht seinen eigenen Vorteil – muß das tun, weil der Nachbar ja nun auch nicht den meinigen, sondern seinen eigenen Vorteil sucht. Das ganze Fürsorgegetröte ist nichts als Heuchelei. Echte Anteilnahme und fürsorgliches Handeln findet ausschließlich im kleinen Kreis der Familie und in der gewachsenen Nachbarschaft statt. Fürsorglichkeit und Mitleid sind zwischenmenschliche Handlungen, die gegenseitige Gefühle der Sympathie zur Voraussetzung haben. Im Kollektiv funktioniert das nicht.

Wer sein eigenes Handeln mit sachlicher Distanz betrachtet, wird feststellen, daß niemand anderer so gut für ihn sorgt wie er selbst. Und indem er dies tut, nützt er auch den anderen. Wer krankheitsbedingt oder aus sonstigen Gründen nicht für sich selbst sorgen kann – es ist eine Minderheit – ist noch immer von der Gesellschaft freiwillig mitgetragen worden. Davon kann sich überzeugen, wer Geschichtsquellen studiert oder Geschichten aus alter Zeit liest. Der moderne Wohlfahrtsstaat hat die Sozialhilfe institutionalisiert und mit seinem Monopol der Armutsverwaltung das Paradox der Massenhilfsbedürftigkeit erst so richtig zur Blüte befördert. Der Ruf, jeden nach seinen Fähigkeiten zu entlohnen, ist allenfalls in einer Gesellschaft der Unfreien, der Sklaven sinnvoll: Wo niemand in der Lage ist, sich selbst zu helfen, ertönt der Schrei nach Hilfe. Es ist der Schrei der Unmündigen. Wer aber soll den Kuchen backen, der verteilt werden soll? Und: wer ist befugt, ihn zu verteilen?

Sprachlich exakte Formulierungen wählen

Der Mensch als hilfloses Passivsubjekt, dem unbekannte Akteure einen beliebigen Ausverkaufspreis als Etikett anhängen:  Wer solchen Auffassungen zuneigt, glaubt auch anderes dummes Zeug. Intellektuelle Einfalt ist Kennzeichen der Opfer politischer Manipulation. Der Wert einer Person bemißt sich weder in wirtschaftlichen Zahlen noch in Geldgrößen. Wer das Leben nach technokratischen Maßstäben des Zählens bewertet, wird niemals Wesen und Zusammenhänge der Dinge erkennen, und darin liegt eine gewisse Gefahr für Wohlstand und Frieden. Die Gefahr geht nicht von jenen aus, die uns angeblich vermessen und etikettieren wollen, sondern von jenen, die mangels Klugheit und Erfahrung diese Anmaßung als gegeben voraussetzen und sich so, ohne dies zu erkennen, zu Kollaborateuren der Angreifer machen. Nicht der Aggressor ist das Problem, sondern der leichtgläubige Türöffner.

Die vorgebliche Bewertung des Menschen nach seinen wirtschaftlichen Fähigkeiten birgt die Gefahr, daß der stückweise damit einhergehende Raub an persönlicher Freiheit, wirtschaftlicher Selbstbestimmung und geistiger Unabhängigkeit nicht als Bedrohung erkannt wird. Zwar empfinden alle ein gewisses Unbehagen – die Kausalitäten werden jedoch nicht erkannt. Mangelnde Sprachbeherrschung ist Ursprung der Verwirrung. Wo der Begriffsapparat nicht vorhanden ist, können Gefahren nicht gedacht werden.

Und so beweisen die Klagen über den etikettierten Menschen nichts anderes als die traurige Kritiklosigkeit des neu entstandenen Untertanengeistes, der sich aufs würdeloses Betteln verlegt hat; der vergessen hat, daß nicht Geld und Reichtum die Voraussetzung für geistige Unabhängigkeit sind; daß ein erfülltes Leben nur der führen kann, wer sich um sein eigenes Leben kümmert und nicht gutmenschlich besorgt um das eines ebenso  namen- wie gesichtslosen Kollektivs. Bettelnaturen fallen auf politische, i.e. leere Versprechungen als erstes herein. Mit Speck fängt man Mäuse! Und sind sie erst gefangen, läßt man sie darben – im günstigsten Falle.

Nichts ist verderblicher als die Auffassung, das eigene Glück sei ausschließlich von Wohlwollen und Gunst fremder Personen abhängig! Hier wächst eine Mentalität der Unterwürfigkeit heran, deren unproduktive Träger rastlos damit beschäftigt sind, scheelsüchtig zu beobachten, ob nicht der andere einen Happen zuviel abbekommen habe. In der Atmosphäre des allgemeinen Neides und der Zwietracht gedeiht das Märchen vom Menschen, dessen Wert allein an der Höhe amtlicher Geldzuwendungen aus der Umverteilungskasse gemessen werden könne. Denn allein darauf läuft es ja doch hinaus: Wer viel ergattert hat, wird sich wohl kaum über seinen „Preis“ beklagen zu haben.

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Dr. Martin Weigele

"Menschen sollten „nach ihren Fähigkeiten ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten dürfen“ (Martin Weigele). Doch niemand hindert Menschen daran, genau dies zu tun."

Dass diese Behauptung im gegenwärtigen Zustand unseres Staates leider falsch ist, wußte im Gegensatz zur Autorin schon der griechische Philosoph Platon (427 - 347 v. Chr):

"Wo im Staat der Reichtum und die Reichen geachtet sind, dort sind Tüchtigkeit und Tüchtige weniger geschätzt."

"Klar." ...

"Aus siegfreudigen und ehrgeizigen Männern werden schließlich gewinnsüchtige und habgierige; den Reichen rühmen und bewundern sie und führen ihn in die
Ämter, den Armen mißachten sie."

"Sehr." ...

"Doktor" Guttenberg läßt grüßen.

aus Platon, Der Staat, Achtes Buch, [551a] ff.

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