Wann sind wir bereit, für UNSERE Werte tatsächlich schmerzhafte Opfer zu bringen?

Was soll ich denn auch lang um den Brei herum reden: Meine Sympathien liegen auf der Seite von Israel.

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Das ist nicht einfach eine Schwarzweiss-Feststellung, sondern das Resultat unter dem Strich von durchaus differenziertem Denken. Was man ja gemeinhin denjenigen abspricht, die heute noch Partei für Israel ergreifen. Ich sehe diesen Konflikt im Nahen Osten als Blaupause für alle Konflikte, die sich derzeit rund um die Festung Europa plus dem Aussenposten Afghanistan abspielen. Denn er zeigt das Dilemma auf, in dem jene festsitzen, welche westlichen Werten wie Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Säkulariät, Rationalität und humanistisches Denken noch immer die Stange halten.

Und er zeigt auch, dass Nationen, welche diese Werte hoch halten, nicht nur unter besonderer Beobachtung stehen, sondern als Projektionsfläche eigener Unzulänglichkeit herhalten müssen. Während kaum jemand gegen die Gotteskrieger in Irak oder in Syrien, gegen die Menschenrechtssituation in Libyen oder im Sudan, schon gar nicht wegen der Vertreibung der Christen aus Mosul auf die Strasse geht, gehört es in Europa schon lange zum guten Ton, in Leserbriefen und Onlinekommentaren die Israeli als Greueltäter zu beschimpfen.

Es stört offenbar auch niemanden, dass die Hamas lieber Millionen in ein weitverzweigtes Tunnelsystem investiert, als in Schulen, Krankenhäuser, Abwassersysteme, Elektrizitätswerke. Letztere werden schliesslich von der EU und der UNO bezahlt. Die Palästinenser sind die Guten, weil Unterdrückten, die Israeli die Bösen, weil die Unterdrücker. Oder, um es mit Henrik M. Broder auf den Punkt zu bringen“Diese Scheissjuden wollen sich einfach nicht aus der Geschichte verpissen!”

Ein Meisterwerk dieses Mainstream-Journalismus veröffentlicht heute bazonline (vom Tagesanzeiger übernommen). Das muss man lesen, da ist alles drin. Inklusive Bild, ein Zitat aus den Tagen des Vietnamkrieges.

“Die simple Quintessenz”, schreibt uns der Verfasser aus Kairo:

Israel sollte rasch einen fairen und dauerhaften Frieden mit allen Palästinensern schliessen, bevor noch viel radikalere Feinde ins Haus stehen.

Richtig, eine wirklich tolpatschige Quintessenz.

Und dann kippt die Strasse und  sie sind wieder da, die antisemitische Hetze und die Angriffe auf Menschen jüdischen Glaubens und auf Synagogen. Ja klar doch, so das Geflüster hinter vorgehaltener Hand, die Juden sind doch selber schuld, dass das wieder hoch kocht, schliesslich sind sie es ja, welche den Gaza-Streifen bombardieren, die Palästinenser unterdrücken.

Sollen sie doch gehen, nach Israel, die Juden aus Europa.

Ich verfolge den IDF-Twitterkanal  seit gut zwei Jahren. Die IDF meldet schon seit Anfang des Jahres ständige Raketenangriffe aus dem Gaza-Streifen, also schon lange vor der Verschleppung und Ermordung von drei Israelis. In unseren Medien liest sich das ja jedoch so, als ob der Raketenbeschuss die jüngste Antwort auf die Antwort gewesen sei.

In Zahlen: Seit dem Abzug Israels aus dem Gaza-Streifen 2005 sind mehr als 11’000 Raketen aus Gaza nach Israel abgefeuert worden. Rund fünf Millionen Menschen liegen in Trefferbereich.

In Sderot und Aschkelon (wir waren dort) bleiben den Bewohnern gerade mal sechzig Sekunden um einen sicheren Unterschlupf zu finden.  Deshalb findet man dort auf den Spielplätzen bombensichere Betonunterstände für die Kinder.

Buntbemalt.

Jetzt wird wieder geschrieben und gesagt, die gegenwärtige israelische Militäroffensive bringe keinen wirklichen Fortschritt. Frieden sei nur in Verhandlungen erreichbar.

Was die Militäroffensive angelangt, so bin ich mir nicht sicher, ob in jener Gegend rund 3’000 Kilometer von uns weg, das energische Eingreifen unter dem Motto “jetzt reicht’s” nicht mehr bringt als die bei uns zelebrierten Verständnisrituale. Weil letzteres in einer Welt, in der Gewalt gegen jeden und jede zum Alltag gehört,  als Schwäche interpretiert wird.

Klammer: Überzeugt davon, dass es  “jetzt reicht”,  hat “Europa”  das Gaddafi-Regime mit Luftangriffen weggebombt. Europa hat in diesem Fall die den Westen umtreibende Frage, ob der Tyrannenmord zu rechtfertigen sei, mit Ja beantwortet. Klammer zu.

Was den Verhandlungsfrieden anbelangt – aber klar doch.

Doch wie war das nochmals in Europa? Hat nach dem  Ersten und dem Zweiten Weltkrieg irgendjemand Friedensverhandlungen geführt? So viel ich weiss, stand am Beginn des nunmehr bald mal 70jährigen europäischen Friedens die bedingungslose Kapitulation Deutschlands.

Die Ukraine-Krise lehrt uns quälend, dass man nur mit denen vernünftige Gespräche führen kann, welche Werte wie Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Säkulariät, Rationalität und humanistisches Denken nicht als Leitgedanken von Schwächlingen begreifen, sondern als einzige Möglichkeit, Konflikte friedlich zu lösen.

Wir haben gelernt, dass Herr Putin an solches Dummschwätzzeugs des Westens nicht glaubt.

Die Frage, die sich uns deshalb stellt, ist die schmerzlichste überhaupt: Wann ist der Punkt erreicht, an dem WIR bereit sind,  für UNSERE Werte Opfer zu bringen?

PS: Die Holländer schicken angeblich 40 unbewaffnete Polizisten in die Ukraine.  Gut, da ist noch die Rede von einer “UN-Truppe”, 50 weitere Polizisten aus Australien. Die Rebellen in der Ukraine werden mächtig beeindruckt sein.

Beitrag erschien auch auf: arlesheimreloaded.ch

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: FDominicus

"Es stört offenbar auch niemanden, dass die Hamas lieber Millionen in ein weitverzweigtes Tunnelsystem investiert, als in Schulen, Krankenhäuser, Abwassersysteme, Elektrizitätswerke. "

Es stört mich sehr, nur habe ich freiwillig nichts dafür gegeben. Das machen die guten Menschen schon für mich. Ich darf mir dann deren Gesabbere anhören....

Gravatar: donalfonso

Wahr Worte! Vielen Dank Sie haben mir das Wort aus dem Mund genommen. Bleibt nur die Frage, warum hier immer die politisch korrekten viel Platz zu Meinungsäußerung erhalten und erst in den Kommentaren erkennt man dann, das alle Leser es irgendwie ganz anders sehen?
Der Mainstream denkt immer noch die Menschen sind blöd und ungebildet. Aber der Wandel findet statt und die Medien können sich dem nicht auf Dauer widersetzen.
Herzliche Grüße

Gravatar: MicroHirn

Herr Messmer,

die antiisraelische Propaganda scheint sich fest in die Gemüter und in das Denken von Menschen eingebrannt zu haben. Ein psychologisches und emotionales Problem, welches jegliche Beurteilung israelischen Handelns in einem verzerrten und damit unrichtigem Licht erscheinen läßt. Nur die Selbstaufgabe Israels scheint denen eine adäquate Lösung zu sein, die den blinden Hass und die Unversöhnlichkeit im Antisemitismus nicht erkennen können, weil sie sich innerlich bereit erklärt haben einer Hasspropaganda zu folgen. Das die Unversöhnlichkeit und das unbarmherzige Vorgehen gegen Israel durch ständige Rechtfertigungsformeln nicht nur zementiert, sondern befeuert wird, scheint niemandem bewußt zu werden. So werden aus Opfer Täter gemacht und anstatt Terror nicht nur mit lauen Worten und formal zu tadeln, um einen Anschein an Objektivität aufrechtzuerhalten, dürfen sich die Täter im Recht fühlen und erfahren einen Support, der ohne Frage ein beständiger Anteil an diesem Konflikt besitzt.

Gravatar: Wilfried Schuler

Mit der Aussage "Europa hat Gadhafi weggebombt", haben Sie bewiesen wes Geistes Kind Sie sind.Sie haben vergessen zu sagen, dass die Gralshüter der westlichen Werte haben auch Milosevic , Noriega und Saddam "weggebombt"haben , wobei letztere ja 30 Jahre Werkzeuge der Amerikaner waren. Und die nämlichen Gralshüter bomben die Al Kaida, deren Galionsfigur Bin Laden ein Geschöpf des Westens war. Ist Ihnen klar, dass diese Gralshüter Al Kaida überhaupt erst geschaffen haben?
Und was ist bei all den Befreiungsaktionen herausgekommen? Schreiben Sie doch darüber mal ein Essay wenn Sie Mumm Haben. Ihre Gemütsverfassung ist nicht anders, als die der reaktionären Schreier auf der Strasse. Und die Westlichen Werte, sind mittlerweile durch Leute Ihres Kalibers zu einem Schimpfwort transformiert worden.

Jetzt müssen wir noch Assad, die Mullahs, Putin und die Chinesen wegbomben. Ist es das was Sie denken?

Gravatar: keinUntertan

Die IDF ist ihrerseits aus jüdischen Untergrundorganisationen hervorgegangen, die vor 1948 von der britischen Mandatsmacht als terroristische Organisationen eingestuft wurden, weil sie britische Einrichtungen mit Bomben attackiert hatten.

Zu den von Ihnen zitierten westlichen Werten gehören auch Imperialismus, Kolonialismus und Rassismus. Die Einwanderer aus Nordamerika, Europa und Sowjetrussland, die sich in Palästina niedergelassen haben, um dort einen Staat zu gründen --- mit der Behauptung, ihre Vorfahren hätten dort vor zweitausend Jahren gelebt, haben diese Werte nach Palästina importiert und die dortige heimische Bevölkerung behandelt, wie die Europäer die Einheimischen in ihren Kolonien behandelt haben.

Wie auch immer. Schön, dass Sie für die Verteidigung der westlichen Werte einstehen. Sicherlich sind Sie auch bereit, sich als Freiwilliger an die Ostfront zu melden, um gegen Putin zu kämpfen. Der Orden ist Ihnen sicher.

Ich werde Ihnen aber nicht an die Ostfront folgen.

Gravatar: Andreas Schneider

Dazu eine Geschichte, und ich muss etwas ausholen.

Von Kindesbeinen an habe ich mein Heimatdorf als tendenziell israelfreundlich kennen gelernt. Unvergessen dabei der 6. Oktober 1973, als meine C-Jugend die Gegnermannschaft auf deren Platz mit 9:1 von der Platte gefegt hatte und wir im Hochgefühl des Sieges direkt zum Dorffest auf dem Schützenplatz durch fuhren, um uns gebührend feiern zu lassen. Stattdessen erwartete uns eine gedämpfte Stimmung, war doch gerade die Nachricht vom Ausbruch des Yom-Kippur-Krieges eingetroffen, und man diskutierte die Chancen Israels gegen die Übermacht. "Hoffentlich schaffen die das!" machte die Runde.

Nun muss ich dazu sagen, dass ein gefühltes Drittel der Elterngeneration des Ortes alte Schlesier waren, die nach der Vertreibung in Dorf und Umland eine neue Heimat fanden und neue Existenzen aufbauten. Der Verlust der alten Heimat trieb die Menschen um, aber die Gespräche wurden in aller Sachlichkeit geführt. "Einmal noch nach Hause" war zwar dann und wann zu hören, aber das hatte nicht mit etwaigen Ansprüchen an die verlorenen Gebiete zu tun. Und gerade bei diesen alten Schlesiern war die Zustimmung zu Israel besonders wahrnehmbar - es schien eine Art Seelenverwandtschaft zu herrschen zu diesem Volk, das um seine Heimat kämpfte, dafür arbeitete und lebte. Dieses Umfeld hat auch mich zwangsläufig geprägt - Kindheitseindrücke bleiben haften.

Einen deutlichen Bruch erfuhr diese Zustimmung ab dem Jahr 1995. Mit den Initiativen Jitzchak Rabins verband man am Ort die Hoffnung auf den Frieden in einer fremden Region, den man selbst spätestens mit den Grenzöffnungen nach Osten (und damit auch wieder in Richtung Schlesien) auskosten konnte. Rabins Ermordung, zumal durch einen Landsmann, wurde mit Unverständnis und Entsetzen aufgenommen. Dass sein Weg nicht weiter beschritten wurde, wurde sehr negativ aufgenommen; der Name Benjamin Netanjahu wurde zum Synonym einer zu Grabe getragenen Friedenshoffnung.

Die Stimmung ist nicht eben israelfeindlich geworden, aber doch sind die kritischen Stimmen heute in der Mehrzahl. Ja, man weiß, dass auch und gerade die Palänstinenser auch keine Kinder von Traurigkeit sind und verurteilt die wiederholten Terroranschläge und Angriffe. Aber dennoch bleibt die Lehre der (mittlerweile ergrauten und auch zahlenmäßig dezimierten) Schlesier, dass, wer Frieden will, dafür auch bereit sein muss, Opfer zu bringen. Und sei es es um den Preis abzutretender Gebiete.

Unter einem Jitzchak Rabin bestand die Hoffnung, dass Israel von einigen Positionen abrücken könnte, die sich als klare Hindernisse für jede Einigung mit den Nachbarn darstellen. Von Netanjahu kann sich das hingegen niemand vorstellen. Mein früherer Nachbar, Hausmeister der Dorfschule und Vater meines besten Freundes, brachte es einst auf den Punkt: hätten sie (die Schlesier) mit allen Mitteln für die Rückgabe ihrer verlorenen Heimat gekämpft, dazu u. U. auch Gewalt eingesetzt, wären das neue Verständnis mit Polen, in der Folge vielleicht auch die Wiedervereinigung u. v. m. wohl nur eine Illusion geblieben. "Wir haben dafür bezahlt" waren seine Worte.

Ist es nun "Antisemitismus", eine solche Parallele gezogen zu haben?

Gravatar: Klartexter

Politisch korrekt, Herr Messmer, wirklich. Moralisch und menschlich abscheulich. Ob nun die Hamas Israel anerkennt oder nicht, es hatte sehr viel Zeit sich mit den gemäßigten palastinensischen Kräften um die Schaffung eines palästinensischen Staates zu bemühen. Das Bemühen war nicht da, weil Israel keine zwei Staatenlösung will und das Westjordanland als Kriegsbeute und Siedlungsland für orthodoxe Juden, also dem Gegenstück der Islamisten, betrachtet. Militärisch ist Israel stärker, aber der Hass wird durch den neuerlichen Terrorkrieg gegen die Palästinenser nicht nur in Palästina wachsen, sondern auch in Europa. Dagegen helfen alle Solidaritätsbekundungen und die Verurteilung von Antisemitismus nichts. Solche Reaktionen sind Gesetzmäßigkeiten in den Gesellschaften. Deutschland als hundsmiserabel darauf vorbereiteter Schmelztiegel aufstrebender Parallelgesellschaften wird davon nicht verschont bleiben. Mehr und mehr handelt das Radikale und das schert sich nicht um Politikersprüche und um die deutschen Gesetze. Die haben eigene Gesetzmäßigkeiten. Übrigens hat nicht Deutschland kapituliert, sondern die deutsche Wehrmacht. Wer sollte denn als legitimierte Institution einen Friedensvertrag unterzeichnen? Das könnten nur Vertreter des Deutschen Reiches. Deshalb ist und bleibt Deutschland ein nicht souverräner Staat, was auch von den Westmächten so gewollt ist.

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