Wird in Deutschland über Umwelt und Nachhaltigkeit diskutiert, fällt mit Sicherheit sobald der begriff des Vorsorgeprinzips, dessen Anwendung sicherstellen soll, das Risiken für Mensch und Tier schon früh erkannt und möglichst nicht eingegangen werden. Tatsächlich haben sich deutsche Umweltaktivisten und -politiker schon früh um die internationale Vermarktung des Vorsorgeprinzips “verdient” gemacht. Doch so schön dieses Prinzip klingt, so wenig ist es geeignet, dem Menschen eine Orientierung für die Herausforderungen der Zukunft zu geben. Neu ist diese Erkenntnis nicht.
Weil aber die Halbwertszeit praxisferner Ideen gerade in der ideologiegeschwängerten Atmosphäre der Umweltpolitik besonders lang ist, muss immer wieder daran erinnert werden, weshalb eine vorsorgende Umweltpolitik den Menschen und seine Umwelt nicht wirklich fit für die Zukunft macht. Max More hatte die Gründe in einem Essay vor ein paar Jahren sehr gut zusammen gefasst:
- Das Vorsorgeprinzip geht stets vom Worst-Case-Szenario aus, obwohl dieses unter Unsicherheit auch nicht wahrscheinlicher als weniger schlechte oder gar gut ausgehende Szenarien ist. Unberücksichtigt bleibt dabei auch, dass die Annahme des Worst-Case-Szenarios auch berechtigt wäre, für den Fall, dass der geplante Eingriff in die Umwelt durch den Menschen nicht stattfindet. Technischer Fortschritt und die Einführung neuer Technologien erfolgt in aller Regel lösungsorientiert und Probleme die nicht gelöst werden, können sich ebenfalls zur Katastrophe auswachsen.
- Das Vorsorgeprinzip lenkt davon ab, dass die Natur um uns herum nicht paradiesisch, sondern in vielen Fällen sehr gefährlich für den Menschen ist. Infektionskrankheiten, Hunger und Naturkatastrophen sind nicht weniger bedrohlich für den Menschen, als seine Eingriffe in den Naturhaushalt. Je mehr Ressourcen der Mensch in die Vermeidung hypothetischer Bedrohungen investiert, umso weniger bleibt ihm, den Unbilden der Natur etwas entgegen zu setzen. Angst vor der Zukunft bei stoischer Ignoranz der aktuellen Gefahren kann kaum das geeignete Rezept für Nachhaltigkeit sein.
- Das Vorsorgeprinzip nimmt an, dass die Mittel und Methoden seiner regulativen Umsetzung stets positive, nie jedoch negative Wirkungen haben. Wer die Realität politischer Entscheidungsfindung kennt, der kann sich dieser Illusion kaum hingeben. Zum einen sind politische Entscheidungen stets das Ergebnis der Kompromissfindung zwischen partikularinteressen vertretenden Gruppen und damit nie nur lösungs-, sondern stets auch verteilungsorientiert. Das führt zwangsläufig dazu, dass die Effizienz und Effektivität der Umweltregulierung leidet. Die Praxis ist voll von Beispielen, in denen Gesetze und Verordnungen mit einem ganzen Rucksack von Nebenzielen überfrachtet werden. Zum anderen reagieren die Adressaten von Umweltregulierung so gut wie nie genauso auf Vorschriften, wie es Politiker und Bürokraten von ihnen erwarten.
- Das Vorsorgeprinzip ignoriert systematisch potentielle Vorteile neuer Technologien und gewichtet die Natur stärker als den Menschen. Die Risiken des technologischen Stillstands werden ebenso beiseite gewischt, wie die Gefahren der Gegenwart. Unberücksichtigt bleibt, dass es keinen Unterschied zwischen natürlichen und künstlichen Risiken gibt, weshalb auch eine einseitige Konzentration auf vom Menschen verursachte Risiken kontraproduktiv ist.
- Indem das Vorsorgeprinzip das Beweislastprinzip zu Lasten des technischen Fortschritts und menschlicher Eingriffe in die Natur umkehrt, ohne greifbare Hinweise auf ein Risiko vorbringen zu können, vermeiden dessen Protagonisten den Aufwand selbst Belege für eine Schadwirkung finden zu müssen. Das befreit sie nicht nur vom Aufwand für den Nachweis einer Gefahr, sondern auch von der Verantwortung für die Schäden des Nichtstuns und Abwarten.
- Das Vorsorgekonflikt steht in klarem Konflikt zum konventionellen Ansatz des Risikomanagements, bei dem derjenige Haftung übernimmt, der tatsächliche Schäden verursacht und zwar in dem Maße, wie das Risiko im voraus abschätzbar war. Das Vorsorgeprinzip schließt eine Haftung für Schäden von vornherein aus und wirkt wie eine einstweilige Verfügung, ohne gerichtliche Anhörung der beteiligten Streiparteien, ohne Beweisaufnahme und ohne Übernahme der Verantwortung für die Schäden der Unterlassung einer Handlung.
Gegen dieses offensichtlich untaugliche Prinzip der Zukunftsvorsorge stellt More eine Reihe von Anforderungen, denen der von ihm Proaktivitätsprinzip genannte alternative Ansatz genügt:
- Innovationsfreiheit: Innovationen sind essentiell für die Menschheit. Die Beweislast sollte daher bei denjenigen liegen, die Restriktionen des technischen Fortschritts fordern.
- Objektivität: Umweltpolitische Entscheidungen sollten objektiv, klar strukturiert und explizit formuliert werden. Risiken sind nach dem aktuellen Stand der Forschung, nicht nach emotional beeinflussten, subjektiven Wahrnehmungen zu evaluieren. Prognosen sollten methodisch und datenseitig transparent erstellt werden und die Auswahl der Experten nach dem Prinzip konkurrierender Meinungen (Devils-Advocat-Procedure) erfolgen, um die Objektivität der Entscheidungsprozesse und Informationsgewinnung zu sichern.
- Umfassender Entscheidungsansatz: Alle zur Verfügung stehenden Alternativen sollten in der Entscheidungsfindung Berücksichtigung finden, wobei auch die Opportunitätskosten des Verzichts auf jede der Handlungsalternative mitberücksichtigt werden. Hierbei werden nicht nur unmittelbare Folgen, sondern auch abgeleitete Effekte der Entscheidung in die Bewertung einbezogen.
- Transparenz: Alle betroffenen Parteien werden in den Entscheidungsprozess involviert, wobei alle beteiligten auch die Chance haben Informationen beizusteuern.
- Einfachheit: Methoden der Entscheidungsfindung sind nicht komplizierter als unbedingt nötig.
- Priorisierung: Bekannte und bewiesene Risiken werden vorrangig reguliert, wohingegen die Bekämpfung hypothetische Risiken in ihrer Dringlichkeit zurückgestuft werden. Bei der Auswahl der Maßnahmen zur Risikoreduzierung werden Auswirkungen auf den Menschen vorrangig vor Wirkungen auf die Natur berücksichtigt, unmittelbare Folgen vor Langzeitschäden priorisiert und Problemlösungen mit der größten Erfolgsaussicht vorrangig in Angriff genommen.
- Symmetrische Risikobehandlung: Technologische Risiken werden natürlichen Risiken gleichgestellt, natürliche Risiken nicht geringer als technologische Risiken bewertet. Ebenso werden die Vorteile des technologischen Fortschritts voll anerkannt.
- Verhältnismäßigkeit: Restriktionen sind nur angemessen, wenn die betroffene Aktivität mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Probleme verursacht und die Schäden umfangreich sind. Dabei werden Nutzeffekte der zu regulierenden Aktivität ebenso ernst genommen wie die zu erwartenden Schäden. Die Folgen der Regulierung dürfen die Folgen der zu regulierenden Aktivität nicht übersteigen.
Eine Anwendung dieser Punkte auf die Hypothese von den katastrophalen Folgen der menschenverursachten globalen Erwärmung, die grüne Gentechnik oder aber die Nanotechnologie sei an dieser Stelle dem Leser überlassen. Ganz sicher ist, dass diesbezügliche politische Entscheidungen bislang nicht nach diesen Prinzipien getroffen werden.
Beitrag erschien zuerst auf: liberalesinstitut.wordpress.com
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