Von Lesermenschen und Menschenlesern

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Neologismen, wenn sie gut gemacht sind, können mich beeindrucken. Erfinde ich doch selber nur zu gerne mal welche. Moritz Müller-Wirth prägt in einem Artikel in der ¨ZEIT¨ (Nr. 33/13) über die Digitalisierung des Springer Konzerns und eigentlich der Medienwelt überhaupt dieses geniale Neologismenpaar. Die Idee ist klar. Durch die Digitalisierung der Medien geben die Leser ein Feedback an die Schreiber. Die Leser sind die Lesermenschen, diejenigen, die die Schreiber steuern sind die Menschenleser. Nichts weniger als den Untergang des Journalismus prophezeit Müller-Wirth als Ende dieser Entwicklung, denn Apps melden dem Medienkonzern, was der Leser will, der Medienkonzern speist dies dem Leser bevorzugt in die App. Leider muß man diese Befürchtung wirklich haben. Doch ist das so neu? Vor allem ist das so neu für Springer? Was macht den Bild seit über 50 Jahren anders, als dem Volk aufs Maul zu schauen und zugleich das Maul zu formen? Nichts anderes machen aber auch andere Medien, denn sie wollen ja Geld verdienen. Nur zum Spaß schreiben nicht einmal alle Blogger.

Im Hintergrund steht der hypermoralische Belehrungsanspruch des 70er- Jahre Qualitätsjournalismus, wo sich der Leser gefälligst sein Meinung am Zeitungskiosk abzuholen hatte. Ferner nehme ich einen Anklang an klassisches sozialistisches Denken wahr, das sich schon immer mit Strukturwandel schwergetan hat.

Als Konservativer tue ich mich mit Veränderungen ganz offensichtlich viel leichter, denn die Notwendigkeit von Veränderungen ist eine nicht zu leugnende Wirklichkeit. Nicht umsonst ist der Sozialismus als gesellschaftliches Prinzip an nur wenigen Jahrzehnten verweigertem Strukturwandel schlicht weggespült worden.

Der Springer Konzern leistet Pionierarbeit und wird vermutlich wie alle Pioniere viel Lehrgeld zahlen. Gut, wenn es in der Kriegskasse ist, schlecht wenn nicht, denn dann werden andere ernten, was dort gesät wird. Nun sollte keiner so naiv sein, irgendeinen Uneigennutz bei Springer zu vermuten. Daten, das ist nun einmal so, sind die Währung der Zukunft. Wer mit seinen Daten zahlt, bekommt geliefert. Vor allem Medienservice, Unterhaltung und Information sind die Güter, die im Austausch gegen Daten geliefert werden. Aus diesem Grund sollte man natürlich Medienkompetenz (aktive und passive) schleunigst zum Lehrfach in der Sekundarstufe I machen. Die Hoheit über die eigenen Daten zu behalten und selber zu entscheiden, was ich preisgeben will und was nicht, ist die Kernkompetenz für Handeln und Wandeln in den kommenden Jahrzehnten.

Man sollte wissen, was der eigene Computer unter welchen Bedingungen an Facebook, Google, Springer und Co petzt. Eine Zeitung als epup auf dem Tablet petzt nicht (bis jetzt jedenfalls), eine App hingegen schon. Will ich meine Standortangaben übermitteln, wenn ich mobil online bin? Nein, dann GPS aus. OK, Google Maps verliert dadurch an Komfort, andere Apps vielleich auch, aber für mich reicht es, wenn die Funkmasten mich verpetzen. Die Satelliten können mich mal. Wenn ich das Cookie lösche und mich auslogge liefert Google mir vielleicht andere Ergebnisse und wenn ich eine andere Suchmaschine benutze, bekomme ich noch mal andere Informationen. Da ist die Freiheit der selbstbestimmten Information noch immer gegeben. Und last not least gibt es – und wird es in Zukunft geben – Bibliotheken mit echten Büchern.

Der Journalismus wird, das ist meine feste Überzeugung, in den nächsten Jahren nicht untergehen, auch bei Springer nicht, sondern einen nie gekannten Boom erleben. Wir reden von der Informationsgesellschaft. Da braucht es die, die die Informationen dem digitalen Leser aufbereiten. Das Internet wird auch jenseits der großen Medienkonzerne immer Informationskanäle bereit stellen, die eine echte Konkurrenz darstellen. Vielleicht ist es ein nicht triviales Problem, diese Kanäle profitabel zu bekommen, doch wo Köpfe sind, da sind auch Ideen und Lösungen.

Die Menschenleser, die die Lesermenschen lesen und sie mit Fußball, Börsenkursen oder Kulturnachrichten versorgen, schrecken mich nicht. Was mich schrecken würde, wäre ein verstopfen aller Kanäle, die am Mainstream vorbei führen. Die große Masse liest Bild und hat sie schon immer gelesen und wird sie in Zukunft auf dem Handy lesen. So what.

Nicht ein Schimpfen über den Umbau eines Medienkonzerns in eine Informationskonsumshoppingmall ist das Gebot der Stunde. Lernen von Medienkompetenz und finden von Informationen jenseits des Mainstreams und am Mainstream vorbei, das muß erlernt werden. Geht das fehl, dann besteht Grund zur Sorge. Die Zugriffszahlen auf Blogs und freie Portale rechtfertigen diese Sorge jedoch bislang nicht. Sorgen wir dafür, daß es so bleibt.

Beitrag erschien zuerst auf: blog.peter-winnemoeller.de

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