Volksentscheide in den Bundesländern

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In den letzten Jahren waren die Bundesländer Schauplatz zum Teil spektakulärer Auseinandersetzungen  im Vorfeld direktdemokratischer Entscheidungen. Die Bundeshauptstadt etwa war die Bühne für zwei Initiativen, die in einem von bürgerlicher Seite angestoßenen Volksentscheid mündeten. Beide Volksentscheide gingen verloren: Die Abstimmung zum Erhalt des Flughafens Tempelhof und der Versuch Religionsunterricht gleichberechtigt neben dem Ethikunterricht als Angebot an den Berliner Schulen durchzusetzen. In beiden Fällen verfehlte die Zahl der Ja-Stimmen das notwendige Quorum von einem Viertel der Stimmberechtigten. Im Falle der Abstimmung über die Initiative Pro Reli verfehlte diese sogar die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Besonders bei der ersten Abstimmung handelte es sich auch um den Versuch ein Zeichen gegen den Rot-roten Senat zu setzen. Beide Volksabstimmungen waren mit einer starken Emotionalisierung und auch politischen Polarisierung verbunden, ging es doch über den konkreten Anlass hinaus um weltanschauliche Fragen. Im Falle der Abstimmung über den Flughafen Tempelhof schien das Für und Wider auch die Deutung der Geschichte des Kalten Krieges und der Rolle West-Berlins als Bollwerk der Freiheit zu betreffen. Und bei der Abstimmung über Pro Reli spielte die grundsätzliche Haltung zum Verhältnis von Religion und Staat eine Rolle. Beide Volksabstimmungen hatten aber auch den Effekt, dass die Auseinandersetzungen mit der Entscheidung ein jähes Ende fanden.

 

Erfolgreich waren hingegen die Initiativen in Bayern zum Rauchverbot und in Hamburg gegen die Verlängerung der Grundschulzeit. Nach der Niederlage bei den Landtagswahlen in Bayern lockerten CSU und FDP das Rauverbot. Daraufhin wurde aus Reihen der ÖDP  ein Volksbegehren „Für echten Nichtraucherschutz“ in die Wege geleitet. 1,3 Millionen Bürger unterschrieben den Antrag, was weit über den erforderlichen 950000 Unterschriften lag, so dass der Weg für die Volksabstimmung frei war.  Die Initiative wurde von SPD und Grünen unterstützt, wohingegen die CSU sich nach ihren negativen Erfahrungen im bayerischen Landtagswahlkampf neutral verhielt. Bei den Wahlen waren schließlich 9,4 Millionen Wahlberechtigte aufgefordert über das Rauchverbot abzustimmen. Die Wahlbeteiligung betrug schließlich 37,7 Prozent.  Bei der Wahl stimmten 61 Prozent der Wähler dafür, dass das Rauchen in Gaststätten, Kneipen und Bierzelten ausnahmslos verboten werden sollte. Dieser Erfolg der Initiative löste eine Debatte über mehr direkte Demokratie aus. Politiker aus den Reihen von SPD und Grünen traten für mehr direkte Demokratie auf Bundesebene ein. Darunter die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und der Fraktionschef der Grünen Jürgen Trittin. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth forderte sogar einen Volksabstimmung über die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Der Generalsekretär der SPD Baden-Württemberg wollte die PKW-Maut und die Wehrpflicht zur Wahl stellen und der CSU-Generalsekretär Fragen der EU-Erweiterung. Grundsätzlich wollte also fast jeder die Themen zur Wahl stellen, bei denen er sich eine Mehrheit bei den Bürgern erhoffen konnte. Diese gewisse – man muss es wohl so bezeichnen – Scheinheiligkeit im Umgang mit der Demokratie, bestätigte sich auch in der Debatte, die auf die zweite wichtige direktdemokratische Abstimmung im Jahr 2010 folgen sollte.

 

Seit Dezember 2008 sind Volksentscheide in Hamburg verbindlich. Sollen ihre Ergebnisse korrigiert werden, so muss eine neue Volksabstimmung angesetzt werden. Die Initiative „Wir wollen lernen“ nutzte diese Chance direkter Demokratie um einen Teil der vom schwarz-grünen Senat angesetzten Schulreform zum Scheitern zu bringen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommentierte die Findung und Organisation dieser spontanen basisdemokratischen Bewegung so: „Was der Initiative dabei gelang, nötigt Respekt ab. (…) Die Initiative bekam genug Geld gesammelt. Sie fand für ihre Bewegung einen griffigen, eingängigen Namen. Und sie schaffte es, dass in Hamburg selbst in den Kneipen auf einmal über Schulpolitik diskutiert wurde.“

Im November 2009 legte die Initiative 184500 Unterschriften vor.  Die erforderliche Mindestzahl lag nur bei 61834 Stimmen.  Für die Beibehaltung der vierjährigen Grundschule, für die sich die Initiative „Wir wollen lernen“ eingesetzt hatte, stimmten 276304 Bürger. Nur 218065 von insgesamt 1,3 Millionen Bürgern, die zum Volksentscheid aufgefordert worden waren,  stimmten für das Modell der sechsjährigen Primarschule, für das sich alle im Parlament vertretenen Parteien ausgesprochen hatten. Das Ergebnis enttäuschte vor allen die Grünen, die sich für mehr direkte Demokratie eingesetzt hatten. Dieser Umstand ließ deutlich zu Tage treten, dass direkte Demokratie in der Regel dann besonders lautstark gefordert wird, wenn ihre Protagonisten glauben ihre politischen Anliegen auf diese Weise durchsetzen zu können. Immer wenn das Volk sich gegen die Absicht der politischen Protagonisten entscheidet, kommen bei den politischen Entscheidungsträgern Zweifel über die Richtigkeit der Forderung nach direkter Demokratie auf. Gerarde auf der linken Seite des politischen Spektrums war man über die Hamburger Wahlentscheidung enttäuscht. Hatten sich doch auch die Grünen immer wieder für Basisdemokratie ausgesprochen, jetzt wurde das Lieblingsprojekt der Öko-Partei in Hamburg per Volksentscheid gestoppt. Gegenüber dem Deutschlandradio äußerte der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir, das Manko der direkten Demokratie sei, dass gerade diejenigen, die über mehr Geld und damit über einen besseren Medienzugang verfügten und deshalb die direkte Demokratie besser nutzen könnten als andere.  Die linke taz stellt zu dieser Debatte im Lager der Grünen, die aber die gesamte Haltung gegenüber der direkten Demokratie betrifft,  treffend fest: „Ob einem gefällt, was Politiker so entscheiden, hängt vom jeweiligen Standpunkt ab. Wenn etwa, wie jetzt in Hamburg, selbst die CDU gegen die Mehrheit der Bevölkerung eine progressive Bildungspolitik vertritt, mag man das begrüßen und über das blöde Volk stöhnen. Wenn hingegen selbst die Grünen gegen die Mehrheit der Bevölkerung Bundeswehreinsätze mittragen, mag man das kritisch sehen – und sich einen Volksentscheid wünschen. Wer aber die Form der Demokratie von ihrem Ergebnis abhängig macht, hat ihren Sinn nicht verstanden.“

Wie diese Volksentscheide auf Landesebene in jüngster Zeit zeigen, hängt der Enthusiasmus für das Instrumentarium der direkten Demokratie stark von der strategischen Einschätzung ab, ob diese die eigene politische Ausgangslage verbessern oder verschlechtern. Erfolge für die eigene Agenda gehen in der Regel mit einer positiveren Bewertung einher. Niederlagen hingegen nähren die Skepsis. Diese Erwägungen im Entscheidungsprozess für mehr direkte Demokratie werden sich nie ganz ausblenden lassen, grundsätzlich sollte aber die Entscheidung darüber aber nicht von Einzelfällen abhängig sein, sondern davon, ob man dem Instrument grundsätzlich positive Wirkungen für die Demokratie zuspricht, das Land und die Beteiligung der Bürger zuspricht.

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Dieser Beitrag erschien zu erst auf dem Blog des Liberalen Instituts Denken für die Freiheit

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