Verlagswesen und Marktwirtschaft

Warum bezahlen Verlage Musiker_innen und Autor_innen mitunter so schlecht? Müssten sich nicht bessere Angebote "von selbst" ergeben?

Veröffentlicht:
von

Kürzlich hatte ich eine Diskussion mit einem Bekannten über die Problematiken des Urheberrechts und des Vorgehens der großen Verlage bzw. Studios. Dabei ging es um bestehende Vertragspraktiken, um die Preisgestaltung von physischen und elektronischen Produkten und dem Anteil, den Künstler daran haben, um Vorgehen gegen (vermeintliche) Internetpiraten und auch um die Gesetzesinitiativen zur Internetkontrolle ("Three Strikes"), um verlängertes Urheberrecht und um den Vorschlag, eine Kulturflatrate einzuführen.

Dabei hatte mein Bekannter eine interessante Frage: »Wenn es doch die Nachfrage nach vernünftigen Verträgen für Künstler gibt, oder die Nachfrage nach einer Möglichkeit, mit verkürztem Urheberrecht zu publizieren (bspw. nach fünf Jahren in die Public Domain überzugehen), warum gibt es dann keine Firmen, die das anbieten?« Mit anderen Worten kann das Problem der schlecht bezahlten Künstler oder des exzessiven Urheberrechts so problematisch nicht sein, denn ansonsten würden viele Künstler_innen andere Lösungen wünschen, und wo viele Leute eine Lösung wollen, schafft der Markt eben diese Lösung. Weil es diese aber nicht gibt, gibt es nicht genug Leute, und daher kein Problem.

Was mir spontan schwer fiel zu widerlegen, will ich hier noch mal versuchen.

Die Frage verkennt zunächst einmal die Situation, wenn auch leicht. Denn gerade im Musikgeschäft gibt es ja unabhängige, kleine Labels, die bessere Verträge als die fast schon legendär einseitigen der großen Studios anbieten. Es ist auch für Musiker_innen inzwischen eher selbstverständlich, über Mund-zu-Mund-Propaganda im Internet Fans zu suchen und zu finden und eine der großen Pluspunkte der sog. Major Labels – den Zugang zu Medienkanälen für Werbung – damit zumindest teilweise auszustechen.

In der Verlagsindustrie sieht es noch etwas anders aus. Hier konsolidieren sich die Verlage gerade erst zu einem de-facto-Oligopol, weil Harper Collins, Random House, Penguin und Simon & Schuster die Verlagslandschaft praktisch unter sich aufteilen, dies aber, weil der Name der aufgekauften Verlage beibehalten wird, in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Im Musikgeschäft gibt es diese Konzentration schon lange genug, um kleinen Unternehmer_innen Lücken zu eröffnen.

Aber die Frage zeugt auch von einem verfehlten Verständnis von Marktreaktionen. In einem perfekten Markt wäre fraglos ein Verlag zu finden, der die eingesessenen Häuser unterbietet. Leider funktioniert das in einem realistischen Markt nicht mehr.

Zunächst haben die großen Verlagshäuser eben die Medienmacht, um die Aufmerksamkeit von Autoren über Werbung zu steuern. Ein kleiner Verlag, der bessere Konditionen anböte, müsste sich im Gegensatz dazu erst einmal auszahlen und dann langsam über Mundpropaganda wachsen. Dagegen spricht aber, dass große Verlagshäuser eben auch die Macht besitzen, ihre Bücher prominent bei den großen Ketten auszustellen und die Bücher generell in jedem Standort unterzubringen. Kleinere Verlage müssen darauf hoffen, dass Leser_innen gezielt nach ihren Büchern suchen, wobei die geringere Werbemöglichkeit zum Tragen kommt.

Nun könnte man argumentieren, dass diese Möglichkeit, Produkte prominent zu platzieren, eben ein Wesenszug der großen Verlage ist, für den mit schlechteren Konditionen bezahlt wird. Dann wäre die Marktwelt weiter in Ordnung. Das würde aber wieder beinhalten, dass es für Autoren wirklich die Möglichkeit gäbe, eine freie Vertragswahl zu treffen und sich eben bewusst auch gegen diese Marktmacht zu entscheiden. Dem ist aber, selbst wenn man keine hierarchischen Verknüpfungen von Verlagen und Verkaufsstellen betrachtet, nicht so.

Auch sind Verlage keinesfalls so kompetent aufgestellt, dass sie ihr Geld völlig zurecht bekommen. Vielmehr müssen Autore_innen mehr und mehr Marketingaufgaben übernehmen – Lesereisen auf eigenen Antrieb, die Internetpräsenz ist selbstverständlich –, und die Verlage zeigen sich eher hilflos

<script src="system/tinymce/jscripts/tiny_mce/themes/advanced/langs/en.js" type="text/javascript"></script>

, mit den systemischen Änderungen, die das Internet erzwingt, umzugehen. In typischer Monopolistenmanier (Oligopolistenmanier?) wird das alte Geschäftsmodell ausgequetscht.

Autor_innen sitzen hier in der Zwickmühle, selbst wenn sie die Zeichen der Zeit erkennen. Denn fatalerweise glaubt man in der Bevölkerung, dass ja wohl jeder ein wenig schreiben könne. Der Buchmarkt ist ohnehin schon auf dem Weg zum reinen Eventmarkt, bei dem die Qualität der Produkte weniger zählt als ihre Vermarktbarkeit – so, wie es im Mainstreammusikmarkt schon längst der Fall ist. Hier können unabhängige Künstler aber über das Internet andere Wege gehen, die Autore_innen aufgrund der gerade erst erscheinenden neuen Generation der E-Book-Lesegeräte noch nicht offensteht, und die Tatsache, dass elektronische Bücher in der Regel zu einem ähnlichen Preis wie das physische Produkt verkauft werden, verschärft die Sache eher noch.

Der Buchmarkt ist, wie der Musikmarkt auch, ein reiner Käufermarkt, betrachtet man die Seite der Aquisition: es gibt unzählige Autor_innen, die auf den Rowling- oder Funke-Effekt hoffen, und Verlage benötigen allenfalls eine Handvoll hochwertiger Autore_innen für ihr Portfolio, der Rest kann mit Durchschnittskost und Eventware gefüllt werden. Sich mit übermäßigen Forderungen unbeliebt zu machen kann also fatal für die Karriere von Autore_innen sein, gerade wenn er keine Ausweichmöglichkeit hat; ohne die Vertriebswege der großen Verlage muss man dazu noch mit den Büchern konkurrieren, die im Eigenverlag oder nur über das Internet herausgegeben werden – ein großer Haufen literarischen Mists, in dem eine Nadel nicht zu finden ist.

Zu guter Letzt gibt es dann noch bei Verlagen keine explizite Rangfolge, d.h. es gibt keinen wirklichen Karriereweg wie noch in anderen Berufen. Jede_r Autor_in hofft darauf, erfolgreich genug zu sein, selbst mit den schlechten Konditionen ein Auskommen zu haben. Diese Hoffnung und der Traum, vom Schreiben leben zu können, sind untrennbar damit verbunden, einen Verlag zu finden. Auch dadurch sind sicher so einige Autor_innen bereit, schlechtere Konditionen einzugehen.

Oligopolistische Verlagsstrukturen und Marktmacht, die es unabhängigen Verlagen erschwert, gefunden zu werden; systemische Eintrittshindernisse durch bestehende Vertriebsstrukturen, die das Internet (noch) nicht umgehen kann; eine Überzahl von auf den Markt drängenden Autor_innen und gleichzeitig keine Notwendigkeit von literarischer Qualität für die Verlage; der Traum von und die Hoffnung auf Erfolg – all das wirkt zusammen, um eben nicht den Marktausgleich zu schaffen, der in der Theorie eigentlich geschaffen werden sollte.

Und so ist das Verlagswesen für Autor_innen und Musiker_innen zu einem großen Teil nichts anderes als ein weiterer Niedriglohnsektor – nur, dass hier niemand einen Mindestlohn fordert, sondern Autoren noch diese seltsame Hamburger Erklärung unterschreiben.

(crossposted bei Derangierte Einsichten)

 

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Patrick Pricken

Etwas verspätet, aber ich bemühe mich darum, geGenderte Sprachformen zu verwenden. Ich werde in Zukunft möglichst versuchen, neutrale Mehrzahl zu benutzen (Publikum, Leserschaft, usw.), wenn das der Lesbarkeit hilft.

Leider ist mein "Buchladen an der Ecke" pleite gegangen, Jens. Bis dahin war ich aber treuer Kunde. Jetzt bin ich eher Gladstone.

Gravatar: Gladstone

Ich finde die Frage. ob der Autor die Innen-Form verwendet ziemlich irrelevant. Eine inhalbliche Debatte finde ich interessanter.

Gravatar: Wobbegong

Das Dingens mit dem _ ist doch nur ein Witz oder sollte sich nun auch freiewelt.net zum LinkInnentum/Link_nnen bekehrt haben?

Kleiner Tip an das AutorI_n: echte Frauen finden gegenderte TypI_nnen nicht scharf, sondern so cool wie verfilzte Wollunterwäsche.

Wer bei Alphaweibchen Eindruck schinden will, sollte nichts von deren Gewäsch beim Nominalwert nehmen.

Gravatar: Gracián

Herr "schmitt", bin auch Ihrer Meinung.

Gravatar: schmitt

alles ganz interessant, aber bitte unterlassen sie doch diese autor_innen-schreibweise

Gravatar: Jens

Eines der größten Probleme ist sicher, dass es für kleine Verlage auf &#8222;normalen&#8220; Weg fast unmöglich ist, bei Thalia, Hugendubel und Weltbild in die Regale zu gelangen. Kaufen nur noch Idealisten im &#8222;Buchladen an der Ecke&#8220; ein?

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang