Urheberrechte vor Vernunft

In Seoul steht ein geheimes Abkommen auf dem Programm, das unser Internet extrem beschränken würde. Die EU ist mit dabei.

Veröffentlicht:
von

ACTA, das Handelsabkommen gegen Fälschung (Anti-Counterfeit Trade Agreement); geht zur Zeit in Seoul in die nächste Runde, und im Mittelpunkt steht (mal wieder) das Internet. Hierbei ist bezeichnend, wie sehr sich die internationale Versammlung von Unternehmensinteressen leiten lässt. Ebenso ist bezeichnend, dass alle Gespräche und Planungen unter absoluter Geheimhaltung stattfinden, und nur durch Lecks überhaupt teilweise bekannt wird, was beschlossen werden soll. Organisationen wie die Electronic Frontier Foundation werden natürlich weder befragt noch in die Beschlüsse eingeschlossen.


Fälschung im Internet bedeutet natürlich Urheberrecht, und den herausgekommenen Informationen nach groteske Forderungen.
Was also steht auf dem Programm der Zusammenkunft? Kann man den Lecks glauben (siehe obigen Link oder auch hier); folgendes:


Mitgliedsstaaten müssen Internethaftung für Dritte in ihre Gesetzgebung aufnehmen. Das bedeutet, dass der Internetprovider dafür haften soll, wenn jemand urheberrechtlich geschützte Inhalte über sie verbreitet, oder auf ihren Servern lagert. Portale wie Pirate Bay argumentieren bspw. auch so, dass sie die Inhalte nicht liefern, sondern nur vermitteln. Diese Argumentation wirkt dann nicht mehr. Dritte haften für die Vergehen anderer? Das klingt nicht sehr gut durchdacht. Aber es kommt noch schlimmer. Denn wenn man diese Haftung einschränken will, dann muss man beim Rest mitmachen. Und da gehts dann los.


Internetprovider sollen in die Pflicht genommen werden, Inhalte präventiv auf Urheberrechtsverstöße zu prüfen. Das bedeutet, dass bspw. Youtube jedes einzelne hochgeladene Video zunächst auf Verstöße prüfen müsste. Blogs müssten jeden einzelnen Kommentar erst auf gefährliche Links überprüfen, ebenso Forenbetreiber. Was ist mit Internetchats? Sind die dann überhaupt möglich? Selbst wenn Chats keine Gefahr droht, so könnte sich eine Plattform wie Youtube gar nicht ein genügen großes Heer an Anwälten leisten, um Videos zu prüfen, noch wäre es so einfach und komfortabel wie jetzt, Videos hochzuladen.


Durch die präventive Prüfung würden die Rechtsabteilungen dieser Provider anschwellen und die Kosten für Urheberrechtsinhaber stark abnehmen – die Kosten würden auf die Provider abgewälzt.


Eine weitere Vorschrift wäre nicht nur die Beteiligung an Sperrlisten, wie sie die Bundesregierung ja bereits vertraglich von den großen deutschen Providern errungen hat, sondern ein Einverständnis zu Protokollen, die nach Benachrichtigung über mögliche (!) Urheberrechtsverstöße den Internetzugang sperren. Arbeiten Sie mit dem Internet? Bekommen Sie dort nützliche Informationen? Kommunizieren sie dort mit Freunden? Passen Sie besser auf, dass niemand in Ihrem Haushalt in den Verdacht der Urheberrechtsverletzung kommt, oder sie werden von ihren Freunden, den Informationen oder ihrem Lebensunterhalt abgeschnitten – ohne Verhandlung, ohne Widerspruchsrecht, ohne Beweise. Die ip-Adresse muss einfach drei Mal gemeldet werden.


Schließlich sollen auch der Bruch von Kopierschutz bzw. die Geräte, einen digitalen Schutz zu umgehen, verboten werden. Auch für legale Zwecke und bislang ohne Rücksicht darauf, ob dieser Kopierschutz die Benutzung des Eigentums einschränkt – wenn sich kopiergeschützte CDs nicht auf allen Geräten abspielen lassen, wenn ein Portal, das die gekauften Inhalte auf dem Rechner freigibt, nicht mehr existiert und dadurch die Dateien unbenutzbar werden oder auch in anderen Fällen und Beispielen aus den letzten Jahren.


Das Kopiergerät hat das Buch nicht zerstört. Die Videok

<script src="system/tinymce/jscripts/tiny_mce/themes/advanced/langs/en.js" type="text/javascript"></script>

assette hat Fernsehen nicht zerstört. Musikkassetten nicht die Musikbranche, und das Internet zerstört nicht Hollywood. Ebensowenig werden die Verlagsriesen und ihre, wie es aussieht, politischen Erfüllungsgehilfen rund um die Welt unsere Kultur zerstören. Aber man muss zugeben, dass sie ihr Bestes tun, um ja jede Erwähnung und Verwendung ihrer Inhalte, die nicht von ihnen selbst kommt, auszuradieren, und wenn sie darüber pleite gehen.


Wie viel Kreativität in Mash-Ups steckt, ist egal. Dass Fan-Videos Werbung für Musik *und* Film oder Fernsehen machen, ist egal. Dass Raubkopierer wieder und wieder als die Gruppe identifiziert werden, die mehr Geld für Musik oder Filme ausgeben, ist egal. So weit kennen wir das schon.


Bedingungsloses Entfernen von möglichen Verstößen hat aber noch andere Folgen. Uri Geller versuchte, ein Video, in dem er beim Tricksen erwischt wurde, aufgrund angeblicher Urheberrechtsverstöße zu entfernen, um nur ein Beispiel zu nennen, wo diese Ausrede benutzt wurde, um kritische Öffentlichkeit auszuschließen oder abzuwehren. Internetsperren für IPs kann in Zeiten von professionellen Ebay-Verkäufern und zunehmender Internet-Einbindung von Arbeitsplätzen ebenso schwerwiegende Folgen haben – ohne entsprechende Absicherungen.


Unternehmergeist wird durch die Voraussetzung, alle Inhalte vorab prüfen zu müssen, auch stark eingeschränkt. Laut YouTube werden jede Minute Inhalte von 20 Minuten hochgeladen, rund um die Uhr. Wie soll das alles geprüft werden? Unmöglich. Und doch etwas, was sich ein Entrepreneur überlegen muss.


Wenn ACTA so auseinandergeht, schaffen sie eine möglicherweise langfristige Einschränkung von Gesellschaft und Wirtschaft, ein Statement für Stagnation und schließlich einen schönen Beweis dafür, dass Sachverstand, Freiheit und Vernunft bei Unternehmensinteressen zurückstehen muss.


(kreuzgeschrieben auf Derangierte Einsichten)

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: schmitt

Diese Leute wollen wohl, dass die Piratenpartei den nächsten Bundeskanzler stellt.Vi

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang