Ultima Ratio: Babyklappe und anonyme Geburt

Verhindern die Angebote der anonymen Kindsabgabe, dass ungewollt Schwangere ihr Neugeborenes aussetzen oder gar töten, oder verführen sie vielmehr dazu, Kinder in fremde Hände zu geben? Sind sie ethisch gerechtfertigt, weil sie Kinder retten, oder abzulehnen, da sie gegen das Grundrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung verstoßen? Ein Kommentar.

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Die Angebote anonymer Kindesabgabe (anonyme Geburt, Babyklappe und anonyme Übergabe) sind umstritten. Sie befinden sich in einer juristischen Grauzone. Nach dem Willen von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) und Politikerinnen anderer Fraktionen sollen diese Möglichkeiten nun verboten werden. Auslöser ist eine Anfang des Jahres veröffentlichte Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI); die Angebote der anonymen Kindesabgabe untersucht hat. In die Medien gelangte vor allem ein Ergebnis: Bei einem Fünftel der anonym geborenen beziehungsweise abgegebenen Kinder weiß heute niemand, was aus ihnen geworden ist. „200 Babyklappen-Kinder verschwunden“, titelte etwa die Tageszeitung „Die Welt“.

Schröder und andere plädieren für die „vertrauliche Geburt“. Demnach soll eine Schwangere verlangen können, dass die Personendaten für eine bestimmte (gesetzlich zu regelnde) Frist ab der Geburt des Kindes nur einer Beratungsstelle und nicht dem Standesamt mitgeteilt werden. Die Beratungsstelle darf diese Daten nicht an Dritte weitergeben und hat das Neugeborene beim Standesamt als „vorübergehend anonym“ zu melden. Nach Ende der Geheimhaltungsfrist soll die Beratungsstelle „die ihr bekannten persönlichen Daten der Mutter und des Vaters“ dem Standesamt nachmelden.

„Vertrauliche“ statt „anonyme“ Geburt

Die Idee hinter der „vertraulichen Geburt“: Die Mutter, die sich in einer Notlage befindet, soll die Sicherheit erhalten, dass die Geburt eine Zeit lang jenen Personen unbekannt bleibt, von denen sie Repressalien befürchtet, etwa von der Familie, vom Arbeitgeber oder von Ämtern. Wegen der Erfassung ihrer Daten wäre sie zudem für Hilfsangebote und Beratung erreichbar. Das Problem: Betreiber von Angeboten zur anonymen Kindsabgabe wenden ein, dass die betroffenen Frauen genau dies, die Datenerfassung, nicht wünschen. Der Berliner Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) kritisierte den Vorstoß von Schröder denn auch als „wirklichkeitsfremd“.

Wer sich die Rufe nach der „vertraulichen Geburt“ genau anschaut, kann sich nur schwer des Eindrucks erwehren, hier werde das Recht auf Informationen absolut gesetzt. Dass das Recht auf Informationen über die genetische Herkunft wichtig ist, steht außer Frage. Unbestritten sollte aber auch sein, dass das Lebensrecht über diesem steht. Der Erhalt von Leben sei stärker „als das Wissen um die eigene Herkunft“, sagt die Caritas. Das Recht auf Informationen über die eigene Abstammung kann nämlich nur wahrgenommen werden, wenn zuvor das Recht auf Leben gewahrt wurde. Auch kann ein Subjekt nur dann ein Rechtssubjekt sein, wenn es lebt! Das Recht auf Leben ist das Fundament, auf dem alle anderen Rechte aufbauen.

Retten Babyklappen leben?

Die zentrale Frage der Debatte um die Angebote anonymer Kindsabgabe ist denn auch eine andere: Werden durch sie Leben gerettet? Gegner meinen, Frauen, bei denen die Gefahr bestehe, dass sie ihr Neugeborenes töten oder aussetzen, würden durch die Angebote überhaupt nicht erreicht. Die These der Lebensrettung durch diese Angebote sei „lediglich spekulativ“ und durch „keinerlei empirische Erkenntnisse“ gestützt.

Dem ist entgegenzuhalten, dass die These, Angebote anonymer Kindesabgabe retteten kein Leben, genauso spekulativ ist. Dies liegt in der Natur der Sache: Es lässt sich mit den Mitteln der Empirie weder beweisen, dass die Angebote Leben retten, noch nachweisen, dass sie keine Leben retten. Ob Frauen, die ihre Kinder anonym abgeben oder gebären, bei einem Nichtvorhandensein solcher Angebote ihr Neugeborenes ausgesetzt oder getötet hätten, lässt sich nicht feststellen, da die Fragestellung an sich schon hypothetisch ist.

Nicht wünschenswert, aber vertretbar

Auch die besagte DJI-Studie gibt auf diese Frage keine Antwort. Sie gehört eben zu den Fragen, die sich nicht beantworten lassen. Wir können nicht wissen, welches Schicksal die Kinder ohne diese Angebote ereilt hätte. Es lässt sich nicht ausschließen, dass die Angebote anonymer Kindesabgabe tatsächlich helfen „menschliches Leben zu schützen und den leiblichen Müttern in ihrem schweren Gewissenskonflikt beizustehen“, wie es der Berliner CDL-Landesvorsitzende Stefan Friedrich formuliert.

Wer die bestehenden Möglichkeiten verbietet, stuft letztlich das Recht auf Informationen über die Abstammung höher ein als das Lebensrecht. Weil erstens das Lebensrecht über dem Recht auf Wissen um die eigne Herkunft steht und weil es sich zweitens niemals widerlegen lassen wird, dass die umstrittenen Angebote Leben retten, sollte der Staat eine Situation aushalten, die nicht wünschenswert, aber vertretbar ist. Anonyme Geburt, Babyklappe und anonyme Übergabe müssen als Ultima Ratio weiter toleriert werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.f1rstlife.de.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Matthias Lochner

Gerade für diese Babys sind Babyklappen oder die anonyme Übergabe eine lebensrettende Option.

Gravatar: Das Gregorle

Und was ist mit ungewollten babys die garnicht im Krankenhaus geboren werden?

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