Ukraine: Freude, Depression, Hoffnung

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, wie es in der Ostukraine nach dem Waffenstillstand weitergeht. Beide deprimieren, so sehr man sich auch freut, wenn dort vorerst niemand mehr umkommt.

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Die eine Möglichkeit: Der Waffenstillstand führt zu einem dauerhaften Einfrieren der Situation, damit also zu einem Teilerfolg des russischen Angriffskriegs. Die andere Möglichkeit: Die Waffenruhe hält (wieder) nur kurz. Das bedeutet weiteres Blutvergießen. Das bedeutet: Russland will noch mehr erobern.

Ich weiß schon: Manche glauben noch immer ernsthaft an Putins Lügen, dass dort eh nur urlaubende und verirrte Soldaten der russischen Armee gekämpft haben, die dort zufällig Panzer und Raketenwerfer gefunden haben. Wenn jemand das auch heute noch ernstlich glaubt, dann haben auch die unzähligen Gegenbeweise keinen Sinn. So wie etwa auch bei jenen, die meinen, dass einst Polen den Reichssender Gleiwitz überfallen haben.

Trotz dieser deprimierenden Perspektiven gibt es langfristig vielleicht doch auch Hoffnung. Denn Faktum ist, dass sich Russland zuletzt friedfertiger gegeben hat als davor. Dafür gibt es zwei mögliche Motive: Zum einen könnten das nur die üblichen Schalmeienklänge sein, die Russland immer ausstößt, wenn die EU Sanktionen vorbereitet. Sollte es also wieder nur um eine neuerliche Finte Moskaus gehen, dann wird der russische Vormarsch wohl bald weitergehen.

Aber zunehmend scheint ein anderes Motiv relevant zu werden: Die Stimmung in Russland ist am Kippen. Zwar ist dort weiterhin die große Mehrheit von der Propaganda überzeugt, dass jeder slawisch sprechende Mensch heim in Putins Reich will. Damit sind natürlich eben auch die in der Ukraine gemeint. Und jene, die das nicht wollen, müssen „Faschisten“ sein.

Aber fast kein Russe will Krieg, will für dieses Ziel sterben. Trotz aller Geheimdienst-Drohungen gegen die betroffenen Familien lässt sich in Russland nicht mehr der Tod von vielen in den Ukrainekrieg gezwungenen Wehrpflichtigen geheim halten. Auch in Russland ist das Internet eingekehrt und berichtet über diese Toten und damit über die russische Teilnahme am Krieg. Auch in Russland gibt es ein paar unabhängige Internet-Seiten (die elektronischen und gedruckten sind freilich von Putin alle gleichgeschaltet worden). Der KGB kann nicht mehr wie in den Zeiten einstiger Allmacht jede Schreibmaschine kontrollieren.

Noch wichtiger: Auch in Russland sind die Eltern mutiger geworden. Sie lassen nicht mehr verschreckt und widerspruchslos wie einst ihre Söhne (von denen sie heute ja auch meist nur einen haben) in Kriege hetzen.

Nicht nur das macht Hoffnung. Es ist auch klar, dass die Sanktionen wirksam sind. Man vergleiche etwa Russlands Verhalten bei der jetzigen Aggression in der Ukraine mit dem bei den früheren in Transnistrien, Südossetien und Abchasien. Damals hat sich Russland noch nicht die Mühe gemacht, seine Feldzüge und Eroberungen als Kämpfe anderer darzustellen. Der Unterschied: Damals hat es keine westlichen Sanktionen gegeben.

Freilich ist es absurd zu glauben, Sanktionen wären sofort wirksam. Aber die Welt ist heute so verwoben, dass mit Sanktionen belegte Länder diese jedes Jahr mehr spüren und zunehmend darunter leiden. Man schaue nach Rhodesien, man schaue nach Südafrika: Beide Länder haben zwar einst lange behauptet, die weltweiten Sanktionen nicht zu spüren. Aber am Ende haben sie unter deren Druck doch nachgeben müssen. Das sieht man auch in der Gegenwart: Die wachsende Kompromissbereitschaft des Iran ist ganz eindeutig eine Folge der dort zunehmend spürbarer werdenden Sanktionen. Obwohl der Iran – so wie Russland – behauptet, die Sanktionen wären irrelevant.

Wenn man nicht die Geduld verliert, besteht also durchaus die Hoffnung, dass sich Russland eines Tages anders verhalten wird. Entscheidend ist, dass Europa konsequent bleibt, dass es einen langen Atem hat und das Ziel nicht aus den Augen verliert.

Weiterlesen auf: andreas-unterberger.at  

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