Ukraine: Fliegende Wunderwaffe?

Die Propaganda läuft auf Hochtouren. Nicht nur die transatlantischen Gazetten erreichen Höchstform. Auch russische Systemschreiberlinge geben alles im Kampf um Meinungen und Stimmungen.

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Wladimir Fjodorow von der im Jahr 1993 verstaatlichten Nachrichtenagentur RIA Novosti berichtete am 21. April 2014, ein russischer Bomber des Typs Su-24 (NATO-Codename: „Fencer“) habe das elektronische Gefechtsführungssystem Aegis auf dem US-Zerstörer Donald Cook lahmgelegt, kurz nachdem dieser das Schwarze Meer erreicht habe. Der unbewaffnete Bomber sei zu diesem Zweck „mit dem neuesten funkelektronischen Bekämpfungskomplex namens Chibiny ausgestattet“ gewesen. Urplötzlich seien auf dem US-Kriegsschiff alle Bildschirme des Aegis ausgefallen. Die Raketen des Zerstörers hätten keine Zielzuweisung mehr beziehen können. Währenddessen habe die Su-24 ein dutzendmal das Schiffsdeck überflogen, Kampfkurven vollführt und Raketenangriffe imitiert. Den US-Matrosen sei es nicht gelungen, Aegis wieder zu starten. Die USS Donald Cook sei gänzlich kampfunfähig geblieben.

Pawel Solotarjow, stellvertretender Direktors des Instituts für USA und Kanada der Akademie der Wissenschaften Russlands, freute sich gegenüber RIA Novosti über diesen „peinlichen Moment“: „Es handelte sich um eine recht originelle Demonstration. Ein Frontbomber ohne jegliche Bewaffnung, jedoch mit Apparaturen für die funkelektronische Niederhaltung der Funkmessmittel des Gegners an Bord, trat gegen einen Zerstörer an. Jener war mit dem modernsten Luft- und Raketenabwehrsystem ausgerüstet.“

Zahlreiche Blogs in der westlichen Hemisphäre nahmen diese Meldung begeistert auf und berichteten, die USS Donald Cook habe schnellstens einen Hafen in Rumänien angelaufen. Dort hätten 27 Besatzungsmitglieder ihr Entlassungsgesuch eingereicht, weil sie nicht weiter ihr Leben aufs Spiel setzen wollten. Die Matrosen seien zutiefst demoralisiert worden. RIA Novosti prophezeit derweil eine düstere militärische Zukunft für das transatlantische Imperium. Perspektivisch würden alle russischen Flugzeuge mit Chibiny ausgestattet. „Unlängst hat das System die fällige Prüfung bei einer Kriegsübung auf einem Versuchsfeld in Burjatien absolviert. Nach allem zu urteilen, müssen die Tests erfolgreich gewesen sein, da nun beschlossen wurde, das System unter äußerst realitätsnahen Bedingungen zu erproben.“

Doch wie hoch ist der Wahrheitsgehalt dieser Meldung? Kommen wir zu den technischen Fakten.

Aegis ist und bleibt eine reine Datenverarbeitungssoftware, die Radar-Sensoren eines Kriegsschiffes und seine Waffensysteme über Datenbanken und Server vernetzt. Auf diesem Weg können tausende Ziele gleichzeitig beobachtet und analysiert sowie die von ihnen ausgehenden Bedrohungen analysiert werden. Dutzende dieser Ziele können nach Reihenfolge ihrer Priorität sortiert und, auch vollautomatisch, mit der Hauptwaffe bekämpft werden. Fällt Aegis aus, ist der Zerstörer in keinem Fall wehrlos, so wie es Fjodorow andeutete. Seine Waffensysteme sind lediglich in ihrer Orientierungsfähigkeit eingeschränkt.

Wie kann eine Datenverarbeitungssoftware wie Aegis nun lahmgelegt werden? Zum Einen könnte der Software eine nicht mehr händelbare Zahl von Zielen vorgelegt werden. Fraglich erscheint, ob die Software einer einzelnen Su-24 hunderttausende von virtuellen Zielen emulieren und per Radarsignatur ausgeben könnte. Zum Anderen könnte ein Virus die Aegis-Software lahmlegen. Dieser müsste zunächst erst eingespeist werden. Abgesehen von einer russischen Sabotage-Aktivität an Bord der USS Donald Cook könnte dies nur durch ein Radarsignal geschehen. Allerdings existiert keinerlei bekannte Methode, ein solcherart schädliches Radarsignal zu modulieren. Zuletzt bleibt ein elektromagentischer Puls als Möglichkeit übrig, die gesamte Elektronik eines Kriegsschiffes lahmzulegen. Es ist jedoch fraglich, ob ein solcher EMP-Generator an Bord der Su-42 zum Einen stark genug wäre, zum Anderen nicht auch erheblichen Schaden an dem russischen Bomber selbst hinterlassen würde.

Und zu guter Letzt stellt sich natürlich die Frage, wie russische Soldaten, geschweige denn Wladimir Fjodorow und RIA Novosti, erkannt haben wollen, dass das Aegis-System der USS Donald Cook überhaupt ausgefallen ist. In der offiziellen Pressemeldung des Pentagons bekräftigte Colonel Steve Warren, dass das Schiff während des Vorfalls zu keinem Zeitpunkt in ernsthafte Gefahr geraten sei.

Es ist nur ein kleines Häppchen aus dem brodelnden Topf vor der Krim. Doch abermals wird deutlich: Die Rivalen plustern sich auf. Das Säbelrasseln wird lauter. Die Propaganda zynischer. Die Lügen dreister. Auch auf der russischen Seite.

Beitrag erschien auch auf: ef-magazin.de

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Jan Naundorf

Welches der Schlagworte paßt nicht zum Thema?
Schlagworte: Bomber, Chibiny, Gefechtsführungssystem Aegis, Pawel Solotarjow, Schwarzes Meer, Su-24, USS Donald Cook, Wahrheitsgehalt, Wladimir Fjodorow

Schon hier wird eine Lüge suggeriert...
Im folgenden Kommentar wird durch gekonnte Rhetorik dem Leser der Eindruck vermittelt, daß sich durch irgendwelche Blogs die Nachricht aufplusterte und dadurch einen geringeren Wahrheitsgehalt habe. Der Artikel erschien aber im Ganzen gerade 11 Tage nach dem Vorfall.
Achso, die offizielle Stellungnahme des Pentagons ist somit auch nur ein geringer Wahrheitsgehalt zuzuschreiben, wenn es dort lautet "dass das Schiff während des Vorfalls zu keinem Zeitpunkt in ernsthafte Gefahr geraten sei."...
mehr brauch man nicht zu sagen und unterschätzt mir die Innovationsfähigkeiten der Russen nicht ;)

Gruß Jan

Gravatar: Wilfried Schuler

Das Beste ist der Schluß.

"Auch auf der russischen Seite"

Lügt denn die NATO/US/BRD ? Nie von gehört.

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