Trotz Wikileaks - Nichts Neues in Nahost

Warum die Veröffentlichungen keine erhöhte Kriegsgefahr bedeuten / Irans Nuklearanlagen nachhaltig gestört

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Für Kenner der Verhältnisse im Vorderen und Mittleren Orient enthielten die Veröffentlichungen von Wikileaks in der Substanz nichts Neues. Das gilt auch für die Betroffenen selbst. Die Iraner wissen sehr wohl, was sie von den Saudis zu halten und zu erwarten haben und die arabischen Potentaten am Golf schätzen ihren Nachbarn am anderen Ufer auch realistisch ein – und zwar schon seit Jahrhunderten. Das Nationalepos der Perser bezeichnete die arabischen Nachbarn als „Eidechsen fressende Nomaden“ und die schiitischen Nachfolger haben zu den rassistisch anmutenden Vorurteilen allenfalls noch einige religiöse hinzugefügt. Auf der anderen Seite betrachten gerade die Saudis als Anhänger der strengen sunnitischen Glaubensrichtung des Wahabismus die Erben Alis, des Vetters und Schwiegersohns des Propheten Mohammed, als Abtrünnige vom orthodoxen islamischen Glauben, eben als Söhne der Shiat Ali, der Partei Alis. Daher auch der Name Schiiten. Die Spaltung geht also auf die frühislamische Geschichte zurück und ist seither auch nie überwunden worden. Sie hat sich auch theologisch vertieft und die Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten sind deutlich größer als die zwischen Katholiken und Protestanten. Sie haben sich zu traditionellen Animositäten und einer misstrauischen Haltung gegenseitig verfestigt.

Der Sturz des Schah und die expansiv-religiöse Politik der Mullahs hat die Animositäten in Feindschaft verwandelt. Die Emire und Prinzen fürchten den Aufruhr der schiitischen Minderheiten am Golf. Das umso mehr seit die Mullahs nach der Atombombe und damit nach der Vorherrschaft in der Region streben. In Riad, Dubai oder Doha zweifelt man nicht daran, dass das Regime in Teheran diese Vorherrschaft auch nutzen würde, um die Sunniten zu unterdrücken. Man hält es nicht für ausgeschlossen, dass die Mullahs die Bombe auch gebrauchen würden, gegen Israel sowieso aber unter Umständen auch gegen Riad. Das legen jedenfalls die Veröffentlichungen von Wikileaks nahe. Die großen amerikanischen Zeitungen widmen diesem Aspekt lange Artikel und heben die Doppelbödigkeit der Öl-Monarchien hervor: Öffentlich ein niedriges Profil und keine Kritik am Iran, hinter verschlossenen Türen dagegen wird mit Amerikanern und Israelis Tacheles geredet. Iran dürfe auf keinen Fall in den Besitz der Atombombe gelangen. Das geht soweit, dass man den Israelis und Amerikanern die Benutzung von Flugplätzen gestatten würde für Angriffswellen gegen die Nuklearanlagen im Iran.

Die Veröffentlichungen von Wikileaks reichen bis Februar diesen Jahres. In der Zwischenzeit ist das militärische Nuklearprogramm der Iraner weitgehend zum Erliegen gekommen. Das geht aus einem aktuellen vertraulichen Bericht des Direktors der IAEO, der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien, Yukiya Amano hervor. Bei einer Inspektion am 16. November in der Anlage von Natanz habe man festgestellt, dass die Zentrifugen für die Anreicherung von Uran nicht mehr funktionierten. Der Bericht hat neun Seiten und wurde an die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates übergeben. Man weiß zwar nicht, ob die Zentrifugen heute wieder funktionierten, aber doch, dass die Unterbrechung nur die Fortsetzung einer langen Reihe von Pannen in den sensiblen Anlagen ist und dass die Iraner derzeit nicht in der Lage sind, die Anreicherung über 60 Prozent hinauszutreiben. Das reicht jedoch nicht für den Bau von Atombomben. Hinzu kommt die Zerstörung der geheimen Raketenbasis Imam Ali im Oktober, zahlreiche Sabotageakte und die Lieferung defekter Ersatzteile sowie die Sanktionen, die die Lieferung von rüstungstauglichen Maschinen und Material unterbinden.

Trotz all dieser Schwierigkeiten ist es den Iranern immerhin gelungen, seit 2007 insgesamt 3,18 Tonnen schwach angereichertes Uranium zu gewinnen. Damit ließen sich zwei Atombomben herstellen, wenn man das Material weiter anreichern könnte. Hier nun trat der Computerwurm Stuxnet auf den Plan. Er scheint regelrecht gewütet zu haben. Nach Ansicht deutscher und amerikanischer Experten ist seine Wirkung durchaus mit einem Luftangriff auf die Nuklearanlagen zu vergleichen. Der Bericht der IAEO bestätigt diese Einschätzung. Bei einer Anhörung vor dem US-Senat präzisierte der zeitweilige Direktor des Zentrums für Cybersicherheit, Sean McGurk, dass die „vernichtende Wirkung von Stuxnet alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt“. Eine Cyber-Attacke gegen ein Kontrollsystem könne durchaus auch physische Schäden verursachen und das sei ja auch im Fall Iran geschehen. Weitere geladene Experten bestätigten, dass nur wenige Fachleute auf der Welt in der Lage seien, ein so komplexes Programm wie Stuxnet zu produzieren. Es sei offensichtlich auf die Zerstörung von Zentrifugen konstruiert worden. Das könne unter anderem dadurch geschehen, indem Stuxnet im Kontrollsystem die Geschwindigkeit der Umdrehungen der Zentrifugen über das für das Material erträgliche Maß hinaus erhöhe und die Maschinen so zum Zerreissen bringe. Stuxnet produziert sozusagen „Kolbenfresser“ in den Zentrifugen. Das könne aber auch über chemische Prozesse geschehen, indem Stuxnet die Temperaturen in den Zentrifugen manipuliere, so daß bestimmte Substanzen ihre Eigenschaften veränderten und einzelne Teile der Maschinen regelrecht zerfrässen.

Sowohl die Amerikaner als auch die Israelis haben inzwischen Spezialeinheiten an Informatikern ausgebildet, die zu solchen Cyber-Attacken fähig sind. Ob sie in Aktion getreten sind, ist Geheimsache und wird vielleicht irgendwann einmal von Wikileaks offenbart. Die New York Times zitiert aus dem Material der Online-Plattform immerhin den Hinweis in einem Diplomatenbericht, wonach das Mullah-Regime über Raketen verfüge, deren Reichweite und Schnelligkeit über das bisher bekannte Mass hinausgingen. Das wird die Golfstaaten beunruhigt und vielleicht zu der Zerstörung der Raketenbasis Imam Ali geführt haben. Seit dieser Zerstörung Mitte Oktober scheint das Nuklearprogramm zu einem Stillstand gekommen zu sein. Zwar betonen iranische Stellen immer wieder, dass das Programm planmäßig verlaufe und dass auch die Schäden von Stuxnet längst beseitigt seien. Aus anderen Quellen ist jedoch zu vernehmen, dass die Verwirrung innerhalb des Regimes andauere und dass sogar etliche vermeintliche Nuklear-Spione hingerichtet worden seien. Darunter seien auch Wissenschaftler, deren Aufgabe es gewesen war, Computerattacken abzuwehren.

Für den Generalstabschef der US-Streitkräfte, Admiral Mike Mullen, steht es außer Zweifel, daß das Regime in Teheran auch weiterhin versuchen wird, die schiitische Bombe herzustellen. Mullen unterhält gute persönliche Beziehungen zu den Saudis und zu den Israelis. Er dürfte manchen der Prinzen und Emire beruhigt haben. Unter ihnen auch den mutmasslichen Nachfolger von König Abdallah, Prinz Nayyaf. Nayyaf ist kein Reformer und traut den Schiiten so ziemlich alles zu. Für ihn sind die Veröffentlichungen von Wikileaks kein Problem, solange Israelis und Amerikaner es schaffen, das Mullah-Regime einzuhegen und zu schwächen. Das gilt nicht nur für die Atombombe, sondern auch für den Kampf gegen den Terror, zum Beispiel im Jemen. Dafür ist Riad auch bereit, Druck auf Damaskus auszuüben. Darüber ist in den Wikileaks-Dokumenten noch nichts zu lesen. Sicher aber ist, dass die heimliche Allianz zwischen Israel, den USA und den Golfstaaten, Saudi-Arabien sowie Jordanien und Ägypten mittlerweile so solide auf dem Fundament gemeinsamer Sicherheitsinteressen steht, dass die jüngsten Veröffentlichungen sie nicht erschüttern werden. Dafür sind auch die Aktionen in den letzten Monaten zu erfolgreich für diese Allianz verlaufen. Notfalls kann man immer noch mit klassischen Mitteln (Flugangriffe) die Gefahr bannen. Der Unsicherheitsfaktor ist der Iran selbst. Das Regime ist unberechenbar und es ist schon möglich, dass es über schiitische Vasallen im Libanon oder am Golf oder auch über die Hamas versucht, den nun offenen Gegnern zu schaden. Eine reale Kriegsgefahr aber besteht nach Einschätzung der Experten in Washington und Tel Aviv aber nicht.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Hans von Atzigen

Geradezu Wohltuend einen Sachlich nüchternen Beitrag zu lesen.
Inwiweit Alianzen in Nahost verlässlich sind muss meines erachtens jedoch offen Bleiben.Das grösste Problem und Fundamentalgefahr sind die Massen an Menschen die mehr schlecht als recht leben Müssen.Geraten diese Massen ausser Kontrolle wird die allgemeine Lage explosief bis unkontrolierbar.
Die wiki Veröffentlichungen sind substanziell soweit bekannt doch eher Pinaz.
Die nervös fast Panische Reaktion der USA stimmen doch eher nachdenklich ist das noch die USA der stolze Sieger des Kalten Krieges?
Oder nicht eher eine Ökonomisch schwer angeschlagene Suppermacht die zusehend nervös reagiert.
Der Westen sollte sich darauf einstellen das die USA nur noch bedingt ihre Verpflichtungen wahrnehmen können.
Oder unter dem Druck von Ereignissen über oder unterreagieren.

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