Totgeschwiegen

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2014 war nach vielen Jahren wieder ein Todesopfer linker Gewalt zu beklagen – kaum jemand nahm Notiz.

Nürnberg. 12. Juli 2014. Ein türkischstämmiger Mann wird am Hauptbahnhof von zwei Deutschen angegriffen und so schwer verletzt, dass er wenige Tage später an den Folgen verstirbt. Fälle wie dieser lösen – zu Recht – immer wieder Wellen der Betroffenheit aus. Es folgen Parlamentsdebatten, Lichterketten, zahllose Berichte über die Zunahme rechter Gewalt und am Ende steht die Aufstockung der Fördermittel für „Gegen-Rechts“-Initiativen. Im Nürnberger Fall blieb das große Echo allerdings aus, denn die Täter waren keine Fremdenfeinde, Neonazis oder Rechtsextremisten – sie waren linksorientierte Punks.

Die Tatumstände lassen vermuten, dass das Opfer unter einer seelischen Störung litt: In Nürnberg gibt es eine starke linke Szene. Selbst Hardcore-Neonazis kommen hier nicht auf die Idee, mit einer „nachgemachten“ Reichskriegsflagge antisemitische Parolen auf dem Hauptbahnhof zu rufen – noch dazu allein. Der 41jähre war offensichtlich hilfebedürftig. Doch statt ihm zu helfen und die Polizei oder den Rettungsdienst zu verständigen, handelten die 33 und 20 Jahre alten Linksaktivisten nach der Maxime „Antifa heißt Angriff“. Sie versuchten, dem Mann die Fahne zu entreißen, und als dies nicht gelang, schlug einer der Täter dem 41jährigen mit der Faust gegen den Kopf. Der Getroffene sank bewusstlos zu Boden und lief blau an. Die Angreifer ließen das Opfer in diesem Zustand zurück und flüchteten mit der geraubten Fahne. Wenig später wurden sie von der Polizei gefasst. Das Opfer fiel ins Koma und verstarb einige Tage später an den Folgen des Übergriffs. Im Januar 2015 verurteilte das Landgericht Nürnberg den Haupttäter zu sieben Jahren Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge.

Der Täter hat den Tod des Opfers nicht gewollt. Doch das Problem an dem Sachverhalt liegt nicht in der Tragik des Einzelfalls, sondern im generellen Umgang der gesellschaftlichen Elite mit linksmotivierten Straftaten. Obwohl es nahezu täglich zu Übergriffen kommt, gibt es keine nennenswerten gesellschaftlichen Initiativen dagegen. Stattdessen hält es ein Großteil der Bevölkerung mittlerweile für legitim, Veranstaltungen aus dem konservativen und rechten Spektrum zu stören, anzugreifen oder zu verhindern. Linke Straftaten werden verleugnet, relativiert und verniedlicht. Zwei Wochen vor der Tat in Nürnberg hatte Bundesfamilienministerin Schwesig das Programm der Vorgängerregierung gegen Linksextremismus verworfen, weil das Problem ihrer Meinung nach „aufgebauscht“ sei. Seitdem betragen die Mittel zu Linksextremismusprävention nicht einmal ein Prozent der Mittel für die Rechtsextremismusprävention.

Das Interesse am Tötungsdelikt von Nürnberg blieb gering. Unmittelbar nach der Tat berichteten zwar einige überregionale Medien, was jedoch vor allem an dem Kuriosum lag, dass es sich bei dem Opfer vermeintlich um einen „Neonazi mit Migrationshintergrund“ handelte. Als der 41jährige schließlich verstarb, berichteten nur einige Nürnberger Lokalzeitungen – genauso wie über den anschließenden Gerichtsprozess. Wäre die Tat nicht mit einem Halbsatz in der Statistik über Politisch Motivierte Kriminalität erwähnt worden – sie wäre wohl völlig unter den Tisch gefallen.

Der Tod des 41jährigen ist ein Einzelfall, aber im selben Jahr wurden sieben weitere versuchte Tötungsdelikte aus dem linken Spektrum gezählt. Die Zahl der Gewaltdelikte hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Wer angesichts dessen immer noch die Auffassung vertritt, das Problem linker Gewalt sei „aufgebauscht“, dem ist nicht zu helfen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Amanda Ehrlich

Naja, alle Tassen im Schrank hatte der Typ sicher nicht.

Gravatar: Thomas Rießler

Sie haben sich wohl einen kleinen, makaberen Scherz auf Kosten dieses toten Mannes erlaubt, wenn Sie bei ihm eine „seelische Störung“ diagnostizieren, weil er in Nürnberg mit einer Reichskriegsflagge herumgelaufen ist. Sie stellen es so dar, als ob jeder wissen müsste, dass es in Nürnberg eine starke linke Szene gibt. Wenn sich nun jemand in seinem Handeln nicht von dieser Erkenntnis beeinflussen lässt, mag dies im Neusprech als mangelnde „soziale Intelligenz“ bezeichnet werden, dass jemand aber so weit geht, dieses Verhalten auf eine „seelische Störung“ zurückzuführen, ist eine gesteigerte Form der Verunglimpfung.

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