Tod in Karlsruhe

Was bleibt vom 23. CDU-Parteitag in Karlsruhe in Erinnerung? Stefan Dietrich, einer der klügeren Köpfe in der FAZ, hat es auf den Punkt gebracht: „Schon ist das Fenster der Gelegenheit wieder zugeschlagen.

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 Vor und nach der Frankfurter Buchmesse stand es wochenlang sperrangelweit offen. Thilo Sarrazin hatte das Volk derart politisiert, dass nur einer hätte auf die Bühne springen und – mit oder ohne Autorisierung – die Sarrazin-Partei ausrufen müssen, dann sähe die politische Landschaft heute ganz anders aus. Der CDU-Parteitag wäre nicht zu einem Fest der Selbstvergewisserung geraten, die Grünen wären nicht an diesem Wochenende aus ihrem Höhenkoller zurück in die alte Wagenburgmentalität zurückgefallen, und die SPD würde darüber diskutieren, wie viel Fleisch von ihrem Fleische sie sich noch aus den Rippen schneiden lassen dürfe, bis von ihr selbst nur noch das Skelett übrig ist.“

Einen halben Herbst lang war über die Möglichkeit diskutiert worden, eine Partei rechts der mittigen CDU könne entstehen. Man braucht allerdings drei Dinge für eine Parteineugründung: Vorzeigbares Führungspersonal, ein ordentliches Programm und nicht zuletzt das nötige Kleingeld. Jetzt kann man nur spekulieren, dass es wohl an allem gefehlt hat. Auf absehbare Zeit bleiben Konservativen in Deutschland nur zwei Möglichkeiten: die völlige Abwendung von der (Partei-)Politik und bewusste subversive Tätigkeit innerhalb der Union. Die zweite Variante ist allerdings kein leichtes Unterfangen, und nur wenige dürften die Lust verspüren, sozusagen den Part zu übernehmen, den Eugen Drewermann einst in der katholischen Kirche in Deutschland spielte. Man sollte aber nun endlich die Hoffnung aufgeben, jemand wie Friedrich Merz sei die Lichtgestalt einer möglichen „Rechtspartei“. Der an Angela Merkel gescheiterte ehemalige Fraktionsvorsitzende „rettet“ mittlerweile lieber
Landesbanken und verdient gutes Geld. Merz ist letztlich der Scheinriese Tur der romantischen deutschen Konservativen, die noch ans Christkind und den Klapperstorch glauben. Es wird keine Sarrazin-, Merz-, Clement-, oder Koch-Partei geben. Schluss aus. Diese Illusionen dürften verflogen sein.

Eine Erkenntnis des CDU-Parteitags ist, dass Deutschland zwar ein Fünf-Parteien-System, aber keine Volkspartei mehr hat. Konservative haben keine politische Heimat mehr. Sie können sich überlegen, ob sie die Anstrengung auf sich nehmen wollen, für eine wirtschafts- und nationalliberalere FDP zu kämpfen. Also für eine FDP ohne ein wandelndes Sicherheitsrisiko wie die deutsche Justizministerin. Oder sie können sich überlegen, ob sie es noch mal mit der CDU wagen wollen, die immer noch vom Zeitgeist mitgerissen wird.

Angela Merkel kann zufrieden sein. „Mit der Wahl der neuen Spitzenriege hat die CDU eine Führung, die noch nie so sehr Merkel war. Das liegt vor allem an Ursula von der Leyen und Norbert Röttgen“, so Tina Hildebrandt in der Wochenzeitung „Die Zeit“. Mit Koch verließ in Karlsruhe ein Pseudokonservativer die Bühne, mit Beust jemand, dessen Liberalität sich vor allem in seinem Lebensstil zeigt und mit Rüttgers jemand, der daran gescheitert ist, das Soziale für die CDU als neue Arbeiterpartei zu reklamieren. Die alte Garde ist abgetreten. Mal schauen, wie lange die Parteichefin und Kanzlerin noch die auf eigene Rechnung arbeitenden neuen smarten Stars wie den NRW-Parteichef Röttgen und den umjubelten „KT Superstar“ zu Guttenberg auf Abstand halten kann. Insbesondere der Verteidigungsminister (samt seiner aparten Gattin) nutzt jedoch zur Zeit so beherzt alle Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit, dass der mediale Absturz vom Alleskönner zum Mittelmaß quasi
unvermeidlich erscheint. Nicht wenige unken, dass zu Guttenberg so hoch gejubelt wird, damit sein Fall später um so vergnüglicher zu besichtigen sein wird.

Die Auftritte von Seehofer und Guttenberg auf dem CDU-Parteitag machten auch deutlich, dass sich die Bayern mit ihrer stolzen CSU augenscheinlich darin eingerichtet haben, neben dem stärksten CDU-Landesverband NRW sozusagen die zweite Geige zu spielen. Außenpolitische Impulse vermag die CSU nicht mehr zu setzen wie einst unter Strauß, und als konservatives Korrektiv einer manchmal etwas flippigen und unsteten größeren Schwester taugt sie auch nicht mehr.

Karlsruhe bedeutete aber nicht nur den Tod für eine neue „Rechtspartei“, sondern eigentlich auch das Aus für ein christlich-liberales Bündnis, das Anspruch erhebt auf geistig-moralische Führung. Die FDP kommt bei Merkel nicht mehr vor. In Karlsruhe machte „Mutti“ noch mal klar, dass mit ihr keine Steuersenkungen drin sind. Mit einem Finanzminister, der jeglichen Mut zur Gestaltung im Steuerbereich vermissen lässt, rollt das schwarz-gelbe Bündnis immer mehr ins Abseits. Wird man bei der nächsten Bundestagswahl wieder sein Kreuzchen bei den beiden Parteien machen, weil sie mal wieder Steuersenkungen oder zumindest eine Vereinfachung des Steuersystems versprechen? Wohl kaum. Unter Schwarz-Gelb gibt es zwar einen Wirtschaftsaufschwung – doch bleibt nichts im Geldbeutel der Leute hängen, die für Gesundheit und Pflege mehr berappen sollen. So denken zumindest viele. Es scheint, dass es im deutschen Parteiensystem keine Kraft mehr gibt, die sich für die Leute einsetzt,
die den Staat am Leben halten. Alle kümmern sich nur noch darum, dass diejenigen ruhig gestellt werden, die vom Staat leben.

Die „Rheinische Post“ kam nach Karlsruhe sogar zu dem Schluss, Angela Merkel erscheine wie die „letzte Konservative“. Mit ihrer neuen Führungsmannschaft setze sie nun den personellen Höhepunkt einer seit Jahren währenden Modernisierung der Partei. Dass Volker Bouffier jetzt als stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU der letzte Mohikaner oder Hoffnungsträge – wie immer man will – der Konservativen erklärt wird, entbehrt nicht einer gewissen ironischen Note. Dass dies unter den 3.000 Delegierten zu Unmut geführt hätte, ist nicht bekannt. Die „Altherrenriege der West-CDU“ wurde geräuschlos entsorgt. Sogar Helmut Kohl war in einem fast bizarren Schauspiel in Karlsruhe wieder zu bestaunen. Er kann dem „Mädchen“ nicht mehr gefährlich sein. Auf seine alten Tage ist seine Partei daher auch wieder nett zu ihm und sonnt sich ein wenig im Glanze des Altkanzlers.

Ob die Menschen Merkels „harte“ Linie in puncto Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke, Stuttgart 21 oder Gesundheitspolitik noch abnehmen oder goutieren? Kann man es den Leuten wirklich verständlich machen, dass man einst auf dem Leipziger Parteitag wie Maggie Thatcher aufgetreten ist, in einer Koalition mit der SPD wie eine Sozialdemokratin regiert hat und nun wieder ein wenig Thatcher – sozusagen einen Hauch von Leipzig – zeigt? Aus dem 30-Prozent-Turm kommt man so mit Sicherheit nicht heraus.

Ach ja, da war noch der knappe Entscheid für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik. Im erst drei Jahre alten Grundsatzprogramm der CDU steht noch: „Wie streben ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik an“. In Karlsruhe hätten sich beinahe die Befürworter einer begrenzten Zulassung der PID durchgesetzt. Man kann nun die tolle Debattenkultur auf dem Parteitag loben. Doch was hat sich in den letzten drei Jahren so grundlegend geändert, dass die C-Partei in dieser Frage fast mit wehenden Fahnen ins andere Lager überläuft? Sieht so Berechenbarkeit bei inhaltlichen Fragen aus, die das Wesen einer christlichen Partei ausmachen? Die Frage zu stellen heißt letztlich, sie zu beantworten.

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