Tischgemeinschaft: „Darf ich bitte aufstehen?“

Dass Familien die Grundsteine der Gesellschaft sind, ist nicht neu. Deren Kern ist aber die oft vernachlässigte Tischgemeinschaft.

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Wer Gewicht zulegen will, der isst am besten gemeinsam mit Freunden und Verwandten an einer möglichst großen Tafel. Diese Erfahrung habe ich zumindest gemacht: Alleine zu essen macht keinen Spaß, ist nur ein Bruchteil des Genusses. Selbst ein einfaches Brot mit Butter und Käse kann in Gemeinschaft ein echter Genuss sein, während es alleine eher nach einem Butterbrot schmeckt. Und wenn Essen nicht nur der Nahrungsaufnahme dient sondern auch der Gemeinschaft und dem Austausch, dann sitzt man länger und – jedenfalls geht das mir so – isst auch mehr. Dabei möchte ich direkt dazu sagen, dass ich überzeugt bin, dass die potenziell gestiegene Kalorienaufnahme aber durch das Wohlbefinden, das eine gemeinsame Mahlzeit verbreitet gesundheitlich mehr als wett gemacht wird.

In Diskussionen werde ich ab und zu gefragt – zuletzt bei einem Klassentreffen zu allen passenden und weniger passenden Gelegenheiten: Was sagt denn der Papst dazu? Und zu meinem Eingangsabsatz kann ich nun sagen: Der sieht das genau so! Also jetzt nicht wegen der Gewichtszunahme sondern bezüglich der Bedeutung der gemeinsamen Mahlzeiten, oder der „Tischgemeinschaft“, wie er es in seiner Audienz am Mittwoch nannte. Gerade die Tischgemeinschaft ist es, die uns das soziale Leben beibringt, die auf einfachsten Dingen basiert, wie die gegenseitige Rücksichtnahme oder das Teilen (Zitate hier wie im folgenden von Zenit):

Teilen und Teilen können ist eine kostbare Tugend! Das Symbol, das „Bild“ dafür ist die um einen häuslichen Tisch versammelte Familie. Das Teilen der Mahlzeit – und daher neben dem Essen auch der Zuneigung, der Erzählungen, Ereignisse … – ist eine wesentliche Erfahrung. Bei der Feier eines Festes, eines Geburtstages, eines Jahrestages versammelt man sich um einen Tisch. In manchen Kulturen wird dies auch bei einem Todesfall praktiziert, um den um den Verlust eines Familienmitgliedes Trauernden nahe zu sein.

Der Papst vergleicht die häusliche Tischgemeinschaft im Folgenen an vielen Stellen mit der Eucharistie. In diese Richtung möchte ich gar nicht gehen, sondern mich eher auf das fokussieren, was er zur Funktion dieser Gemeinschaft gesagt hat, ihre Probleme und ihre Gefährdungen. Zum Beispiel folgende prägnante Darstellung:

Die Tischgemeinschaft ist ein verlässlicher Thermometer der Gesundheit der Beziehungen: Wenn in der Familie etwas nicht funktioniert oder etwas verborgen wird, versteht man das bei Tisch sofort. Wenn eine Familie fast nie gemeinsam isst, wenn bei Tisch nicht gesprochen wird und sich die Aufmerksamkeit stattdessen auf den Fernseher oder das Smartphone richtet, so ist sie „wenig Familie“. Wenn die Kinder bei Tisch den Blick auf den Computer oder das Handy geheftet haben und einander nicht zuhören, so handelt es sich um keine Familie, sondern um eine Pension.

Das zeigt auch deutlich, wie eine funktionierende Tischgemeinschaft aussieht: Man spricht miteinander, teilt das Essen miteinander, lässt sich aufeinander ein – ist dem anderen gegenüber offen. Es ist gerade diese Offenheit füreinander, die eine Familie ausmacht (und die „Kirchenfamilie“ ausmachen sollte) und an deren Grad man feststellen kann, ob eine Familie funktioniert, etwas mechanistisch gesagt: ihren Zweck erfüllt.

Dem stehen allerdings heute mit Konsum und auch in der Familie anzutreffenden Egoismen Schwierigkeiten entgegen, die die wahre Tischgemeinschaft verhindern oder pervertieren:

Heute stehen der familiären Tischgemeinschaft aus vielen sozialen Rahmenbedingungen stammende Hindernisse im Wege. Es stimmt, dass es heute nicht einfach ist. Wir müssen Wege finden, um sie wiederzuerlangen. Bei Tisch spricht man, man hört zu. Es darf keine Stille herrschen, denn diese Stille ist nicht jene der Ordensfrauen, sondern die Stille des Egoismus; jeder ist für sich, der Fernseher oder der Computer läuft … und man spricht nicht. Nein, keine Stille. Es gilt, jene familiäre Tischgemeinschaft wiederzuerlangen, jedoch an unsere Zeit anzupassen. Die Tischgemeinschaft ist scheinbar zu einem käuflichen und verkäuflichen Objekt geworden, doch so ist sie etwas anderes. Die Ernährung ist nicht immer das Symbol eines rechten Teilens von Gütern, die jenen zu erreichen vermag, der ohne Brot und ohne Zuneigung ist. […] Wo keine Tischgemeinschaft ist, herrscht Egoismus: Jeder denkt an sich selbst. Dies umso mehr, da die Werbung den Hunger zum Verlangen nach einem Snack und zur Lust auf etwas Süßes gemacht hat. Während viele, zu viele Brüder und Schwestern, weg vom Tisch bleiben. Das ist ein bisschen schändlich!

Die Tischgemeinschaft ist also wesentlicher Bestandteil funktionierender Familien und damit auch wesentlicher Bestandteil einer Gesellschaft als Ganzen. Kein Zweifel, die Familie ist die Lehrwerkstatt für das Gesellschaftsleben – was hier nicht gelernt und praktiziert wird, wird gegenüber Fremden erst Recht nicht mehr genutzt. Damit ist nicht nur – aber auch – Höflichkeit gemeint, sondern die beschriebene Offenheit Anderen und Änderungen gegenüber. Wer gelernt hat, darauf zu achte, ob seinem Tischnachbarn Salz fehlt, der lernt auch zu sehen, ob seinem Nächsten etwas anderes fehlt.

In meinem Elternhaus haben wir – zumindest so lange, wie ich noch ein kleines Kind war – immer gemeinsam zu Mittag und Abend gegessen. Heute bin ich über den Mittag unterwegs, aber meine Frau isst mit den Kindern Mittags gemeinsam am Tisch. Es läuft vielleicht Musik aber kein Fernseher und keine Hörspiele, die ablenken. Wenn es eben geht, wird auch abends zusammen gegessen, man lässt den Tag Revue passieren und schwingt sich wieder aufeinander ein. Letzters ist gerade für die Beziehung der Kinder zu mir wichtig, der ich den ganzen Tag unterwegs bin. Ich will nicht behaupten, dass wir das immer konsequent durchziehen, aber das Ziel ist, dass erst aufgestanden wird, wenn alle fertig sind. Jedenfalls nicht, ohne dass die Kinder vorher gefragt haben: Darf ich bitte aufstehen? Das, so meinen wir, ist das Mindestmaß an Höflichkeit und Rücksichtnahme, die man dem anderen entgegenbringen sollte (wenn es auch schwierig ist, den Kindern beizubringen, dass ein „nein“ eine durchaus legitime Antwort auf die Frage ist). Am Ende, so hoffen wir, ist das auch mit kleinen Kindern, die mit einem Auge darauf schielen, gleich das Sandmännchen zu gucken und kein besonderes Interesse an Gesellschaftsgesprächen haben, eine Möglichkeit, Tischgemeinschaft zu erleben.

Heute führt das „an den Tisch ketten“ noch immer wieder zu Unmut und Geschrei. Aber wir hoffen – und sind eigentlich sicher -, dass diese Zeit des Tages in den Köpfen der Kinder als wertvolle Erinnerung erscheinen wird, wenn sie mal größer sind und vielleicht eine eigene Familie haben. Dass was sie hier lernen – vor allem noch lernen werden – werden sie sonst nirgends nachholen können.

Beitrag zuerst erschienen auf papsttreuerblog.de

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