Systemkonkurrenz

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Staaten gegen Internetkonzerne: Größenwahn, Paradigmenwechsel oder doch nur Evolution der medialen Öffentllichkeit?

In den letzten Wochen ist eine Diskussion darüber entbrannt, welchen Einfluss das Internet, vor Allem in Gestalt großer Konzerne, auf die Menschen hat. Nicht zuletzt der Rückzug von Google aus China nach einem Angriff auf seine Server hat die Frage aufgeworfen, ob bestimmte Konzerne nicht zu viel Einfluss akkumuliert haben. Auf der anderen Seite standen dann diejenigen, die Google mehr trauen als Staaten und Regierungen.

Deutschlandradio Kultur fragte dann in seiner Sendung Breitband auch prompt ob Google und Facebook einen größeren Einfluss auf die Gesellschaft hätten als Staat und Kirche. Sollen in einem solchen Vergleich nicht zwei verschiedene Sorten Obst betrachtet werden, ist es geboten die gemeinsamen Eigenschaften und deren Charakteristik zu identifizieren.

Grundsätzlich nehmen wir an das es sich bei allen betrachteten Organisationen um gesellschaftliche Institutionen handelt. Facebook und die anderen sozialen Netzwerke sind streng genommen nichts anderes als soziale Subsysteme mit eigenem Kommunikationscode und Interaktion mit allen anderen Subsystemen, man kann auch per Faxtwittern. Diese Systeme unterliegen ebenfalls einem festgelegten Regelwerk.

Staaten sind in ihrer ersten Generation ein freiwilliger Zusammenschluss von Menschen, diese legen erstmalig ein Regelwerk fest unter dem sie sich zusammenschließen. In der zweiten Generation gelten diese Regeln immer noch, sie müssen aber eingehalten werden von Menschen die sich nicht darauf geeinigt haben. Um dieses Regelwerk nun anzupassen gibt es in Demokratien Wahlen, in Autokratien Revolution und Königsmord.

Ebenso wie die Kirche wirken Staaten aber auch auf die in diesen Organisationen lebenden Menschen zurück, bestimmte Handlungsoptionen werden aus moralischen oder ethischen Gründen verworfen. Die Systeme sind evolutionär, die Entscheidungen werden durch Repräsentanten, Abgeordnete oder Funktionäre in das System integriert. Sinkende Wahlbeteiligungen, leere Kirchen und außerparlamentarische Oppositionen lassen jedoch an der Integration der Repräsentanten in das gesellschaftliche System zweifeln. Sie bilden mittlerweile wohl ein eigenes Subsystem.

Soziale Netzwerke in ihrer Eigenschaft als soziale Systeme eliminieren die Repräsentanten. Ist man mit den Privatsphäreeinstellungen unzufrieden oder stellt das soziale System nicht mehr genug Gegenwert zum eigenen Input zur Verfügung wechselt man zu einem anderen. Durch die Auswahl seiner Freunde, Gruppen und Diskussionen bestimmt man direkt und unmittelbar sein eigenes Subsystem. Das Netzwerk stellt, wie ein ordoliberaler Staat, nur den Handlungsrahmen zur Verfügung. Die Systeme sind dennoch evolutionär, ein einmal eingeschlagener Pfad kann nur sehr schwer wieder verlassen werden.

Jeder Nutzer gestaltet sein eigenes Subsystem wie früher im räumlichen Umfeld. Gerade Facebook mit seiner Wall kreiert eine besondere Form der Onlinekommunikation. Auf der Wall sieht man was die eigenen Freunde beschäftigt, man kann ihre Gespräche verfolgen, die Fotos und die geteilten Links lassen eine von Zeit und Raum unabhängige Clique entstehen. Früher stand man im Kreis und tauschte sich aus. Heute, in Zeiten beruflicher Flexibilität „shared“ man die Dinge bei Facebook.

Insgesamt wird soziale Kommunikation zwischen den Teilen der Gesellschaft also direkter, schneller, universeller, Gremien und Repräsentanten fallen weg, die Interaktion des Nutzer manifestiert sich unmittelbar. Das verändert den Blick auch auf die anderen Systeme, die Menschen fordern eine direktere Teilhabe, nicht zuletzt der enorme Anstieg an Petitionen und Bürgerbewegungen zeigt dieses Bedürfnis.

Diese direkte Form der Teilhabe bringt die bisherigen Repräsentanten jedoch in Bedrängnis, sie verlieren ähnlich wie viele Zwischenhändler aus dem Bereich der Wirtschaft an Bedeutung, sie versuchen diese Bedeutung zurückzuerlangen indem sie Kontrolle über die Systeme etablieren wollen, sei es durch ZensurÜberwachung oder Abschaltung. Sicher, es geht dabei vordergründig um den Jugendschutz, in Italien wurden jedoch erste Forderungen laut Facebook teilweise zu sperren als sich Nutzer zustimmend zur Attacke auf Berlusconi äußerten.

Aus der direkten Interaktion in sozialen Netzwerken entstehen immer mehr Forderungen nach einer direkten Form der Demokratie, einer sogenannten flüssigen Demokratie. In dieser Form wird dann direkt und permanent abgestimmt. Die starren Regeln zur Erneuerung des Regelwerks werden verflüssigt.

Neben den Sicherheitsbedenken kommen hier aber auch noch Zugangsprobleme hinzu, jeder Mensch müsste sich dann irgendwie mit dem Internet beschäftigen. Ebenso müsste man dann spätestens eine Identitätsprüfung einführen, die Anonymität des Netzes wäre wieder dahin. Der oft befürchtete Siegeszug des Populismus wäre nur kurz ein Problem, müssten die Vertreter solcher Thesen sich doch direkt dem Abstimmungsprozess stellen.

Facebook und Google besitzen also nicht mehr Einfluss als die klassischen sozialen Systeme, durch Bereitstellung direkter Kommunikation und Interaktion beeinflussen sie jedoch die Sicht auf die anderen Systeme. Sie stellen keine Substitution dar sondern nur eine Ergänzung. Sie können auch nicht mehr sein als ein zusätzlicher individueller Kommunikationskanal, das Leben findet nun mal offline statt.

Trauen kann man den Firmen so weit wie dem Staat auch, die einen wollen Geld mit den Informationen verdienen, die Anderen im Extremfall alles kontrollieren und und einschränken. Man kann nun selbst entscheiden wer ehrlicher ist.  Vor Allem nachdem der Angriff auf Google China erst über eine Hintertür ermöglicht wurde die auf Wunsch der US-Regierung installiert wurde.

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