Systemfehler Relotius

Ein SPIEGEL-Redakteur, der Fake News streut – was wäre schlimmer als eine solche Schlagzeile für die etablierte Medienlandschaft? Die Hamburger Redaktion hatte eine Woche Vorlauf, um auf den größten anzunehmenden Unfall zu reagieren, der dem Qualitätsjournalismus geschehen kann. Seit letztem Donnerstag wussten die Kollegen von Claas Relotius, dass eines ihrer vielversprechendsten Talente es mit der Wahrheit nicht immer so genau nahm.

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Wer mit Comics hantiert, die gegen den US-Präsidenten gerichtet sind, den der Spiegel wie einst Franz Josef Strauß dämonisieren will, tut gut daran, die Story vom Verschrotter des demokratischen Sturmgeschützes schnell zur Story des Märchenerzählers umzumünzen, der mit allen Sanktionen der Presseinquisition rechnen muss.

Dabei sind es herrliche, bunte, lebendige Märchen, die uns Relotius erzählt. Tausendundeine Nacht lässt im „Kinderspiel“ grüßen, wo Relotius vor der syrischen Kulisse eine Geschichte erzählt, die Scheherazade im Palast des Schahriyar gesponnen haben könnte. Denn auch Relotius war eine Scheherazade: die Prinzessin und der Redakteur erzählten beide um ihr Leben. Beiden war der Tod gewiss. Denn wenn Scheherazade die Hinrichtung durch den König fürchtete, dann Relotius durch die Journalistenwelt. Wir wissen mittlerweile, dass ihn nicht so sehr der Ehrgeiz trieb, als die Angst. Angst darum, nicht an seine Erfolge anknüpfen zu können. Wer dreimal den Journalistenpreis gewinnt, ist verdammt dazu, es auch ein viertes Mal zu tun – sonst verliert man den Anspruch von Esprit, Witz, Originalität. Relotius durfte weiterleben, aber vom persischen Despoten dazu verdammt, seine Geschichte fortzuführen. Der Despot: das sind die anspruchsvollen Vertreter der Juries, die Hengste in der Manege der Pressewelt, die Edelfedern, die Crême de la Crême. Erzähl uns noch eine Geschichte Claas – oder verlässt dich das Talent bereits mit 33 Jahren?

Es sollen hier nicht die gesamte Causa aufgerollt wird. Der Spiegel tut sein Möglichstes, um transparent zu wirken. Schonungslos schildert Ullrich Fichtner in einem gewaltigen, langen und ebenso lesenswerten Bericht die Schindluder, die Vergehen, die Mogeleien, die Märchen, die Lügen, die Schlampigkeiten und damit den Fall eines Journalisten, dessen größtes Vergehen darin bestand, nicht das brotlose Autorendasein gewählt, sondern auf der Yacht des hohen Qualitätsjournalismus angeheuert zu haben, wo die Lorbeeren nah und das Prekariat des freien Journalisten fern ist. Der Spiegel bemüht sich um Schadensbegrenzung, zeigt, wie ernst er es mit der Dokumentation nimmt. Kein Zweifel wird daran gelassen: wir erfahren von einem jungen Journalisten, der tief stürzt, der gebeichtet, gestanden hat, dessen Büro seit Montag geräumt ist, der gekündigt hat. Der tiefste Fall vom Podest der medialen Anerkennung: nur einen Tag nach der letzten Preisverleihung fliegt der Schwindel auf.

Der Spiegel schreibt selbst aus dieser Story noch eine Story. Nur, dass Relotius diesmal nicht Autor, sondern Thema ist. Und die Story ist so gut, dass man auch hier wieder an eine Fiktion glaubt.

Was hat dieser großartige Betrüger den Schah an der Nase herumgeführt! Weil er in der amerikanischen Provinz keine interessanten Leute findet, erfindet er welche, samt eines Ortsschildes, das Mexikaner vor dem Betreten warnt. In Mississippi trifft er den einzigen Arzt des gesamten Bundesstaates, der Abtreibungen durchführt und früher bekennender Lebensschützer war. Er begleitet auf mehreren Zeitschriftenseiten eine Amerikanerin, die sich bei Hinrichtungen als Zeugin zur Verfügung stellt, geht dabei auf jede Regung, jede Sentimentalität ein – obwohl er die Dame nur 20 Minuten getroffen hat. Eine Bürgerwehr an der mexikanisch-amerikanischen Grenze besucht er erst gar nicht, um dann ein Zerrbild anti-amerikanischer Reflexe zu liefern. Er erfindet Figuren, Biographien, Dialoge, Handlungsstränge. Und immer spielt Musik eine Rolle: ob im Hintergrund gespielt, gesummt oder gesungen.

Se non è vero, è ben trovato! Wenn es nicht wahr ist, so ist es gut erfunden! So gut, dass die Etablierten den Mozart der Reportage mit Preisen, Lob, Anerkennung überhäuften. Relotius blieb dabei eher zurückhaltend, fast demütig. Vielleicht weil er beschämt war; vielleicht weil er wusste, dass er jetzt dazu verdammt war, eine größere, bessere, wunderbarere Geschichte erzählen zu müssen. Eine, die den Geschmack seines Publikums traf, damit sein Kopf nicht doch noch durch den orientalischen Thronsaal rollte. Obwohl Relotius kein politischer Überzeugungstäter war, musste er nicht nur den Ton und den Kitsch des linksliberalen Lagers treffen, sondern auch dessen natürliche Belange in Sachen sozialer Justiz.

Spannend also, dass Relotius damit zitiert wird „krank“ zu sein, er und nur er allein für all das schuldig, was geschehen ist. Eigenverantwortung, plötzlich. Und „kriminelle Energie“! Wo doch diese Thematik ein sonst urlinkes Thema bedient: die Gesellschaft ist schuld. Der Druck vonseiten der Vorgesetzten, die nicht nach Information, sondern nach „Geschichten“ gieren. Das Verlangen danach, das eigene Weltbild bestätigt zu sehen und im Weltbild bestätigt zu werden. Ein Klima, bei dem es gilt, ebenso auf Linie zu sein wie auch zugleich unbedingt „Neues“ liefern zu müssen.

Der Spiegel ist Mittäter. Die Juroren sind Mittäter. Der gesamte mediale Komplex ist Mittäter. Sie deformieren und degenerieren diejenigen, die entweder im Sud des unteren Journalistenprekariats landen, oder mit Lüge und Betrug ihre Beiträge anreichern. Damit sie angenommen werden. Damit sie nicht in der Masse versinken. Relotius ist kein Einzelfall, wie man ihn hinstellen möchte. Er ist die süße Frucht an einem verfaulten Baum, die durch ihren Einfallsreichtum und ihre Originalität auffiel. Vor 700 Jahren hätte Relotius eine erfolgreiche Karriere als begnadeten Fälscher gemacht; bei den vielen gefälschten Schriften kam ihm sein Kollege Moreno nur in einem Fall auf die Spur, die Entlarvung aller übrigen Werke sind auf sein Geständnis zurückzuführen. In einem anderen Kosmos waren diese Geschichten jedoch wahr: weil sie für ihre Klientel die Wahrheit bedeuteten, weil sie glaubhaft waren, weil es Zeugen gab, weil sie eine Ideologie abstützten, welcher die Presse bis heute mehrheitlich anhängt.

Relotius hatte Erfolg, weil er genau wusste, wie das „System“ funktionierte. Was verlangt wurde. Was nicht weiter ins Gewicht fiel, wenn die Geschichte stimmte. Wie man jahrelang geräuschlos Stories zusammenschreiben konnte, ohne nur einen Tag zu recherchieren. Dass es keiner bis zuletzt bemerkte, spricht für Relotius – und gegen die Journalistenwelt, die sich jetzt distanziert, statt zu begreifen, was die Scheherazade unserer Zeit getan hat: sie hat den Schahryas dieser Welt das Unrecht aufgezeigt, das sie selbst in Gang setzten.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Karl Brenner

Die Presse hat die Aufgabe die Politik von Merkel zu stützen

Gravatar: Manuel Cortes

Ich glaube heute keiner Zeitung mehr denn vorher müsste man eingehender darüber nachdenken, was ist Wahrheit und was ist Lüge.
Wegen der Quote wird uns allen jeden Tag ein Märchen nach dem anderen erzäht und saubere Recherche ist doch viel zu aufwendig, da schreibt man lieber von anderen Zeitugnen ab und füllt somit das Blättli.
Themen, die vor Monaten oder gar Jahren einmal aktuell waren werden heute erneut veröffnetlicht und viele User merken es nicht einmal.
Zur Entspannung um wieder einmal zu schmunzeln, kann man das lesen aber glauben, niemals.

Gravatar: Peter Marquardt

Der Spiegel ist ein Lügenblatt, genau wie BILD, Tichys Einblick, WELT und Freie Welt. Dass die Menschen sich immer noch auf eine Seite schlagen und ihre idealistischen Kleinkriege führen wie Kinder, zeigt nur, wie erschreckend wenig hinterfragt und selbst gedacht wird. Natürlich wollen die Leute irgendwas glauben, aber mit anzusehen, wie hier die Lügen der Freien Welt in den Kommentarspalten nachgeplappert werden, ist keinen Deut besser als die Selbstbeweihräucherung der linken Mainstream-Medien. Nutzvieh.

Gravatar: Vetterli

Der Spiegel, ist die Erwartungshaltung, und Leute wie dieser Relotius, erfüllen diese.

Gravatar: Ruth

Und nun noch eine Affinität zu Karl May: (Spenden)betrug. Man darf gespannt sein, was er seinem Vorgänger wohl noch so alles abgeschaut hat - falls dergleichen weiterhin publik wird.

Gravatar: Hans von Atzigenh

Das der Spiegel innzwischen nur noch ein Schatten dessen ist was er einmal war. Das weiss der kritische Medienkonsument schon lange.
Die Sache, logo ein weiterer Tiefschlag.
Der wahre Sünder ist nicht dieser Relotius, grins, warum?
Der wahre Sünder ist die Geschäftsleitung und der Chefredaktor, DIE wollen NICHT wahre Geschichten, sondern schöne, mundgerecht geschriebene Geschichten, die sich gut verkaufen.
Einen offensichtlich begnadeten Romanschreiber in einem Nachrichten und Reportagen- Magazin zu beschäftigen, das ist der blanke Unsinn, ein Megaschuss
in den Ofen in die eigenen Beine, es bleiben nur noch Fragezeichen.
Sollte dieser Relotius dieses Portal lesen?
Kleiner Tip.
Schreib Deine eigene Geschichte als Buch, Lacher
dieses mal die Wahrheit und nix als die Wahrheit.
Danach grins deine offenbar grosse Stärke leben,
und ausleben, Romane schreiben.
Wünsche Glück und Ervolg.

Gravatar: Osama bin Lämmchen

Dieser Mann hat nicht einfach nur gelogen. Er hat böswillig anständige Menschen zu Monstern geschrieben und gleichzeitig ebenfalls im Grunde anständige Menschen dazu angestiftet die angeblichen Monster zu bekämpfen. Er hat ein politisch motiviertes Narrativ vom bösen Rechten, guten Linken, armen Flüchtling und friedlichen Islam etabliert und verstärkt. Das hat er nicht ohne die preiswerte Zustimmung seiner "Wertegemeinschaft" getan und er ist mitnichten der einzige Falschfahrer auf dieser Autobahn. Die vielen Preise, die er von seiner Wertegemeinschaft abgeräumt hat, belegen nur, dass er eines der Sturmgeschütze ist. Der Hinweis, er habe sich nur dem gesellschaftlichen Druck gebeugt, ist Augenwischerei, denn diesem Druck sind alle Journalisten ausgesetzt und dennoch gibt es echte Journalisten. Die Junge Freiheit und viele ehrbare Journalisten und Blogger, die gegen Lügner und Märchenerzähler anschreiben, belegen diese Behauptung. Ich glaube im Übrigen kaum, dass der Mann das Geld, das er mit seinen Lügen verdient hat, ebenso wie die Preise zurück gegeben hat. Vielmehr glaube ich, dass ihm das Sudelblatt aus Selbsterhaltungstrieb sein freiwilliges Bauernopfer vergoldet hat. Das allerdings kann ich nicht belegen und deshalb bleibt es eine Behauptung.

Gravatar: Michael Holz

<Der Spiegel ist nicht mehr, oder war es eigentlich noch nie, das "Sturmgeschütz der Demokratie".
Er ist die Stalinorgel des linken Wahns.>

Erdö, das haben Sie sehr gut formuliert "... die Stalinorgel des linken Wahn."

Zur DDR-Zeit kam es in der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit zu einem Disput, wie man eine Falschmeldung, heute würde man Fake dazu sagen, in der westlichen Welt am sichersten und schnellstens verbreiten könnte. General Markus Wolf war folgender Meinung: "Am besten durch den Spiegel. Die schlucken alles, was nur einen Hauch von Abweichung zur DDR.Norm zeigt."

Kurz nach der Wi(e)dervereinigung hatte ich es einmal gelesen. Es kann sein, dass auch ein anderer Stasigeneral diese Meinung vertrat oder das Gremium sich nach der Debatte darauf geeinigt hatte, den Siegel dafür als "nützliche Idioten nach Lenin, zu nutzen.

Auf alle Fälle, der Spiegel war damals wie heute für jede Schweinerei gut genug.

Gravatar: Ruth

Wunderbarer Kommentar, Herr Gallina ! Jedoch: "vor 700 Jahren Karriere als begnadeter Fälscher" ? Etwas kürzer gegriffen: er hätte ein zweiter Karl May werden können. Vielleicht wird's ja noch was, ich wünsche es ihm.

Gravatar: Erdö Rablok

Ich bin seit 47 Jahren Spiegelleser.
Seit langem ein freudloser, eigentlich nur noch aus Gewohnheit.
Mich wundert nicht, dass die Auflage immer mehr zurückgeht.
Der Spiegel ist nicht mehr, oder war es eigentlich noch nie, das "Sturmgeschütz der Demokratie".
Er ist die Stalinorgel des linken Wahns.
Ich lese auch die Junge Freiheit. Hier kann ich Qualitätsjounalismus konstatieren .

Gravatar: Zyniker

Ach liebe leut... in einer postfaktischen Welt in der Tatsachen verhandelbar und Wahrheiten flexibel sind ist doch so ein bisserl geflunkere im Sinne der Mainstreammeinung und der Quote pups...

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