Syrien und Sotschi: Krieg im Zeichen der Ringe?

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Startschuss für Obamas nächsten Schachzug

Die Geographen der Antike sprachen noch vom lacus lemanus, wobei das lateinische „lacus“ wie auch das keltische „lemanus“ „See“ bedeutet – eine überflüssige sprachliche Doppelung also, zu viele Worte für zu wenig Inhalt. Heute wird der See zwischen Lausanne, Genf und dem französischen Thonon-les-Bains schlicht Genfer See genannt. Doch aufgeblähte Sprachkonstruktionen, rhetorische Finten und viel heiße Luft zieht das Gewässer auch im Hier und Jetzt noch magisch an. Gut 25 Kilometer von Lausanne entfernt beginnt am heutigen Mittwoch die Syrien-Konferenz „Genf 2“ in Montreux.

Im Vorfeld hatte sich UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon dem Druck aus dem amerikanischen Außenministerium gebeugt und Regierungsvertreter aus dem Iran ausgeladen. Grund für die Ausladung sei die Weigerung der iranischen Machthaber gewesen, eine syrische Übergangsregierung mit Beteiligung der Opposition zu unterstützen. Zuvor hatten auch der US-Super-Verbündete Saudi-Arabien und syrische Oppositionelle mit einem Boykott der Konferenz gedroht. Für Assad fällt mit dem Iran ein wichtiger, auch militärisch unterstützender, Verbündeter bei den Verhandlungen aus.

Die russische Regierung bedauerte Ban Ki-Moons Entscheidung: „Das ist natürlich ein Fehler“, sagte Außenminister Sergej Lawrow. „Aber es ist keine Katastrophe.“ Schließlich sei nach seiner Auffassung keine Besprechung der Frage über die Möglichkeit des Regimewechsels in Syrien vorgesehen: „Die russisch-amerikanische Initiative sieht kein Prinzip des Regimewechsels vor. Diese Initiative ruft auf, die Konferenz durchzuführen, damit einen direkten Dialog zwischen den syrischen Seiten zur vollständigen Erfüllung des Genfer Kommuniqués beginnt“, sagte Lawrow. Er hängt die gesamte Veranstaltung damit weitaus tiefer als westliche Regierungen und ihre angeschlossenen Funkhäuser, die seit dem Wochenende kein anderes außenpolitisches Thema mehr zu kennen scheinen.

Zeitlich mal wieder perfekt abgestimmte Munition für ihr Sperrfeuer lieferte vor allem der Bericht eines geheimnisvollen „Caesar“, dem angeblich übergelaufenen Militärpolizisten aus Syrien. Einmal mehr präsentierte sich stolz der britische „Guardian“ als publizistische Enthüllungsplattform und schrieb, dass dieser eigenhändig rund 55.000 Bilder von 11.000 toten Häftlingen aus syrischen Gefängnissen geschossen haben will. 55.000 Fotos! 11.000 Häftlinge! Welch bravouröse Mammutleistung eines vereinzelten Widerspenstigen mitten in der Höhle des Löwen!

Doch Fragen bezüglich der Durchführbarkeit eines solchen Unterfangens oder der Redlichkeit des anonymen Photographen gehen unter im Vorkriegszirkus. Schließlich stuften die Juristen Desmond de Silva, früherer Chefankläger des Kriegsverbrechertribunals für Sierra Leone, Geoffrey Nice, Ankläger im Prozess gegen den früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic, und David Crane, der den liberianischen Präsidenten Charles Taylor angeklagt hatte, die Aussagen des Überläufers schon längst als authentisch ein. Das muss reichen. Auch für einen Krieg.

In ihrem Bericht ließen sie keine Zweifel zu, keine Fragen offen und sparten nicht mit den notwendigen Reizwörtern. So schrieben sie detailliert über grausame Foltermethoden und „Tötungen im industriellen Ausmaß“ durch die Regierung Baschar al Assads. Elektroschocks, Schläge mit Stangen und Hungertote seien in syrischen Gefängnissen an der Tagesordnung. „Direkte Beweise“ gebe es nun für die Schicksale der vielen verschwundenen Syrer. Ohne Umschweife wurde das Material selbstverständlich an alle notwendigen Regierungsstellen dieser Welt weitergeleitet. Pünktlich vor der Abreise gen Montreux lag es auch allen Konferenzteilnehmern vor.

Nun sehen die bis über beide Ohren überschuldeten Kriegstreiber aus Übersee wieder Land. Nach der angeblichen Attacke Assads mit Sarin-Gas gegen die eigene Bevölkerung am 21. August 2013, die schon den ersten genaueren Blicken nicht standhielt – Warum Sarin-Gas im Häuserkampf einsetzen? Warum wiesen die Betroffenen nicht alle Symptome einer Sarin-Gas-Verletzung auf? Warum wurden nur an vereinzelten Punkten im betroffenen Gebiet Rückstände des Gases gefunden? – wird dieser Bericht nun wohl den Startschuss für den nächsten Schachzug der USA auf dem globalen Schachbrett gegen Syrien, gegen den Iran und letztendlich vor allem gegen Russland bedeuten.

Nicht die vermuteten Menschenrechtsverletzungen in Syrien stehen im Fokus der selbsternannten Weltpolizei. Nein. Im verzweifelten Kampf gegen die eigene Schuldenlawine und gegen aufstrebende Machtblöcke winkt der Showdown. Der russische Bär soll gereizt werden, solange die größte Kriegsflotte aller Zeiten noch zu schwimmen vermag. Denn ist diese erst in den Fluten des Papiergeldes versunken, wird es eng für Obama und seine Militärberater.

Doch Putin hat aus dem Libyen-Desaster gelernt. Einknicken ist keine Option mehr. Und Angst vor Amerikas Kriegern erscheint ihm unangemessen. In einem Dringlichkeitsmemorandum warnte er vor wenigen Wochen die US-Regierung, mit einem „massiven Militärschlag“ gegen Saudi-Arabien zu antworten, falls die NATO-Staaten Syrien angreifen würden. Heute noch soll die Drohung der Saudis gegenüber Russland Bestand haben, während der kommenden Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi mittels tschetschenischer Terroristen, welche unter saudischer Kontrolle stehen, für „Tod und Chaos“ zu sorgen. Im vergangenen Jahr soll der der saudische Prinz Bandar bin Sultan, aufgrund seiner hervorragenden Kontakte zu neokonservativen Kreisen in den USA auch Bandar Bush genannt, diese Botschaft persönlich überbracht haben, wie der britische „Telegraph“ einst berichtete.

Für Putin steht daher schon seit geraumer Zeit fest, wer bei den vergangenen Terroranschlägen von Wolgograd die Fäden zog. „Wir werden den Verbrechern keine weiteren Gelegenheiten zur Durchführung ihrer Aktionen geben, denn unsere Antwort wird schon bald die Landkarte des Nahen Ostens verändern.“ Grundlage für Putins Überzeugung ist ein Report des Chefs des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB Alexander Bortnikow, der den Bericht des „Telegraph“ zu bestätigen scheint. Nach seiner Einschätzung wurde einer der Anschläge von einem Terroristen verübt, der zuvor Mitglied einer von Saudi-Arabien unterstützten Terrorgruppe in Syrien gewesen sein soll.

Doch die USA wollen anscheinend Krieg um jeden Preis. Und die NATO-Schreiberlinge trommeln fleißig mit. Zweifel an den Sicherheitsmaßnahmen in Sotschi gebe es, so der „Spiegel“. „Und zwar längst nicht mehr nur bei den Athleten, die teils sogar schon private Schutzfirmen angeheuert haben. Sondern auch im US-Kongress und im Weißen Haus selbst.“ Dass weiterhin natürlich das Gastgeberland für die Sicherheit der Olympioniken zuständig ist, will man in den Redaktionsstuben nicht wahrhaben. Putin wolle trotz aller Bedenken und Unwägbarkeiten nicht mit den Amerikanern kooperieren. „Dann hat er es eben nicht anders verdient!“, raunt es zwischen den Zeilen.

Ohne Absprache wird das US-Militär also laut „CNN“ „bis zu zwei Kriegsschiffe und mehrere große Transportflugzeuge im Schwarzen Meer auf Abruf“ halten. Sie sollen US-Bürger bei Bedarf evakuieren, „falls die Russen um Hilfe bitten“, so ein Pentagon-Sprecher. In der dazugehörigen Reisewarnung des US-Außenministeriums wird neben Großveranstaltungen auch vor einer mangelhaften medizinischen Versorgung in Russland gewarnt und das Bild eines humanitären Einsatzes in einer Drittwelt-Krisenregion gezeichnet. Dass Putin vor allem auch keine CIA-Agenten in und um Sotschi sehen will, kann CIA-Vizedirektor Michael Morell kaum fassen: „Die wollen nicht zugeben, dass sie nicht die komplette Kontrolle haben und etwas Hilfe gebrauchen könnten.“ Und auch die eingebettete Journaille wird nervös. Der Fernsehsender „NBC“ hatte fast ein Milliarde Dollar für die exklusiven Übertragungsrechte hingelegt. Vorsichtshalber wird der Sender nun auch viele kriegserfahrene Reporter nach Sotschi schicken. Auf ihre Erfahrung aus dem Irak und aus Afghanistan, gewonnen Seite an Seite mit US-amerikanischem Kriegsgerät, bauen die Nachrichtenmacher.

In Montreux stehen die Zeichen heute schon auf Sturm. Erster Funkenflug: Die „FAZ“ skandalisiert kurz nach Eröffnung der Gespräche, Syriens Außenminister Walid al Muallim habe für einen „Eklat zu Konferenz-Beginn“ gesorgt, sich nicht an die vorgeschriebene Redezeit gehalten und statt zehn mehr als 20 Minuten lang gesprochen. Solch kleinkarierte Attacken könnten letzten Endes die Hölle auf Erden einläuten. Putin wird nicht wanken. Seine rote Linie heißt Syrien. Komme, was wolle. Barack Obama nahm das Schwert in die Hand. Er muss es ablegen – oder zuschlagen.

Beitrag erschien zuerst auf: ef-magazin.de

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