Stillen ist wesentlich

Anruf von einer jungen Mutter, die zu unserem Freundeskreis gehört und vor einigen Wochen ihr erstes Kind geboren hat,- mit bekümmerter Stimme:

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Ihr kleiner 2 Monate alter Sohn sei seit einigen Tagen sehr unruhig geworden. Er schreie unentwegt über viele Stunden lang. Ich frage zurück: "Aber stillen Sie Ihr Kind denn nicht? Sie haben sich doch sicher vor seiner Geburt informiert, nicht wahr?" "Ja", antwortet die verzweifelte Mutter, "aber ich habe eben nicht genug Milch. Ich habe meinen Hausarzt gefragt, er hat mich darüber informiert, dass trotz des hervorragenden Gewichts dem Kind meine Nahrung eben nicht reiche und ich mit der Flasche zufüttern müsse. Außerdem möge ich das Kind nicht allzu nahe halten. Besser sei es, den Kleinen in einem anderen Raum zu platzieren, um ihn vor Verwöhnung und allzu starker Bindung zu bewahren. Er müsse doch die Erfahrung machen: In dieser Welt liefe nun einmal nichts nach seiner Nase. Wenn er dann einige Nächte lang geschrien habe, passe er sich an, und alle hätten ihre Ruhe."

Viel Information und weitere Beratungen wurden nötig, um zu erreichen, dass die junge Familie sich diesen veralteten Pflegevorschriften entwand, und nun ein vollgestilltes glücklich zufriedenes Kind besitzt.

Diese Geschichte ist kein Einzelfall. Erstaunlicherweise ist Informiertheit über den Umgang mit dem Säugling noch im Jahr 2016 Mangelware. Wie kann das sein?

Seit fast 50 Jahren habe ich mich tausendfach bemüht, die Bedeutsamkeit des ersten Lebensjahres für die Charakterentwicklung des Menschen öffentlich bekannt zu machen - mit manchem Erfolg - dann mit dem Ergebnis, dass bei jungen Eltern Freude an ihrem Himmelsgeschenk Kind Realität werden konnte.

Inzwischen hat in den letzten Jahrzehnten eine entsprechende Forschung hundertfältig die Erfahrungen aus der Praxis bestätigt: Der Umgang mit dem Neugeborenen, besonders im ersten Lebensjahr, ist ein höchst bedeutsames Tun, denn ob hier richtig oder falsch gehandelt wird, hat oft lebenslängliche Auswirkungen. In der Frühphase des Kindes konstituiert sich nämlich sein Gehirn - und zwar vorrangig durch Einprägung seiner Erfahrungen mit der Umwelt. Eine dem Neugeborenen angemessene Umgangsweise ist deshalb von allergrößter Bedeutsamkeit. Mittlerweile bestätigen die Fakten mit Studien über Studien aus aller Welt durch vergleichende wissenschaftliche Langzeitarbeiten die Erfahrungen aus der Praxis. Die Studie von zwei der renommiertesten britischen Forschungs­institute resümiert z. B. 2013: "Kinder, die gestillt wurden, haben eine um 25 Prozent größere Chance, im späteren Leben sozial aufzusteigen, als ungestillte Kinder." (1)

 

Im gleichen Jahr fand ein israelisches Forschungsteam den Zusammen­hang zwischen Flaschenkindern und ADHS: "ADHS tritt deutlich seltener auf bei Kindern, die im ersten Halbjahr ihres Lebens oder darüber hinaus gestillt wurden." Und: "Stillen ist seit langem bekannt für seine positiven Auswirkungen auf die Entwicklung, die Gesundheit und den Schutz vor Krankheit von Kleinkindern. Jetzt haben wir einen weiteren Vorteil des Stillens über drei Monate und deutlicher noch über sechs Monate und länger identifiziert" (2)

2015 belegt eine brasilianische Studie, dass Muttermilch einen Einfluss auf den IQ der Babys hat - unabhängig vom sozialen Status der Eltern. (3)

Dem fügt eine US-Studie 2014 hinzu: "Nicht nur haben gestillte Kinder im ersten Lebensjahr einen Vorsprung bei den Gehirnleistungen, sondern dieser Vorsprung bleibt auch in späteren Jahren erhalten." (4)

Und selbst die WHO muss nachlegen und empfiehlt eine über das erste Lebensjahr hinausgehende Stillzeit des Kindes. (5)

 

Aus diesen und vielen weiteren elementar wichtigen Ergebnissen lässt sich nicht nur die Bedeutsamkeit eines angemessenen Umgangs mit dem Neugeborenen erkennen: Die Vorgehensweise bei seiner Pflege entscheidet weitgehend sogar über ein erfreuliches oder spannungsreiches Schicksal in seinem späteren Leben. Entweder entwickelt sich ein kraftvoller, gesunder Charakter oder ein Mensch mit Unsicherheiten, lebenslänglichen Minderungen seiner Belastbarkeit, mit Aneinanderreihungen von Lebens­schwierigkeiten, anfangs mit motorischer Unruhe, ADHS, Bettnässen, Adipositas, Aktivitätsatrophie, etc.,manchmal sogar schließlich mit einem Scheitern in verzagter Depressivität. Die Masse der Forschungen mit solchen eindeutigen Ergebnissen lassen sich in dieser Mail nicht aufführen, doch sie sind heute mühelos aus dem Internet herunterladbar.

 

Aber weder eine Regierung, noch Gesundheitsämter in den technizistischen Ländern ziehen aus der Eindeutigkeit dieser Ergebnisse Schlüsse, um durch Information und Erleichterung der jungen Familien konstruktive Konsequenzen zu ziehen.

 

Es zeigt sich infolgedessen, dass dieser Fall aus Südostdeutschland keines­wegs ein Einzelfall ist. Ein Praktiker wie ich kann über die Ratschläge, die den Müttern dann sogar nicht nur von Schwiegermüttern, sondern oft sogar noch heute von Ärzten gegeben werden, nur bekümmert sein. Denn es geht um eine so gewichtige Lebensentscheidung, zu der nichts weiteres nötig ist als ein erznatürliches Verhalten der das Baby Betreuenden. Schon die neurologische Fötalforschung beweist, dass eine Bindung des hilflosen Neugeborenen an die Frau, die es ausgetragen hat, bereits vor der Geburt hormonell und hirnmäßig bereitet wird. Zielhaft erwartet das Kind trotz all seiner Unreife vor allem: Sicherheit, Sättigung und Empathie durch die Person, in deren Arme es nach seiner Geburt gelegt worden ist. Auf die Bedürfnisse des neuen Erdenbürgers wird die Mutter interessanterweise beim Stillen - zusätzlich durch das Kuschelhormon Oxytocin - geradezu programmiert. Sie bekommt so den Anstoß, das Befinden des Kindes zu erlauschen und sich danach auszurichten. Der Vorgang selbst bedarf nur der ungeschriebenen Vorschrift einer optimalen Versorgung des Kindes durch ein Naturgesetz, das für alle höheren Säugetiere gilt: Durch Gestillt-werden kann eine elementare Gefühlssicherheit des Kindes erworben werden, die es mit einer Fülle von Lebenskraft ausstattet. Dass dafür die Leibnähe mit der Mutter und ein Gestillt-werden nach Bedarf die Vorbedingung für ein Easy-going lebenslänglich ist, wissen aber mitten in Europa ungezählte Mütter immer noch nicht - ja, oft nicht einmal, dass z. B. die Erstmilch, das Colostrum, ihrem gestillten Kind über Monate hinweg Immunschutz gegen Krankheiten gewährt. Und erst recht wissen oft sogar die beratenden Fachleute nicht, dass die Brust jeder Mutter umso mehr Nahrungsfülle produziert, je öfter der Vorgang dazu angeregt wird. Wie bei jeder Kuh ist die dem Kind sofort nach der Geburt bereitgestellte Nahrung in ihrer Brust eine Sache von Angebot und Nachfrage und darüber hinaus das dem Menschenkind absolut Angemessene - ein allein zu diesem Zweck bereit gestelltes, direkt auf das jeweilige Kind zugeschnittenes Geschenk des Schöpfers!

Gesellschaftlich befinden wir uns nun in einer Situation, in der jeder Bauer über diese schlichten Naturvorgänge informiert ist. Er weiß, dass eine optimale Qualität und Quantität seiner Tiere nur erreichbar ist, wenn ihre Milchquelle immer wieder bis auf den letzten Tropfen entleert und öfter gemolken wird. In Bezug auf den Menschen will man dieses Erfolgsrezept bis heute im Allgemeinen nicht annehmen! Ja, der Mensch hat zwar Erhebendes von der Natur abgelauscht und eine Technik entwickelt, mit der er zum Mond fliegen kann, aber er vermag nicht einmal, einer Vielzahl von Kindern zu einer gesunden Lebensentwicklung und damit zu Leistungsfähigkeit auch für die Gesellschaft zu verhelfen! Wie elend kurzsichtig ist das - für das Glück in der eigene Familie ebenso, wie für eine gedeihliche Gesellschaft mit Zukunft! Für Hunde und Katzen wird das geschafft, aber immer noch nicht für das Kostbarste: für die menschliche Nachkommenschaft! Doch selbst die Liebe, die den Menschen erst zum Menschen macht, bedarf der Einprägung der frühen, der direkten Liebeserfahrung in sein Gehirn, um zum bindungsfähigen Steuerzahler werden zu können.

 

(Anmerkung:

Wenn nun aber die Voraussetzungen für ein gesundes Aufwachsen fehlen, kann manches Kind dennoch seelische Gesundheit entfalten. Es ist tröstlich zu wissen, dass tiefe Liebeskraft sich auch über Entfaltungsbedingungen hinwegsetzen und wunderbarerweise seelische Gesundheit erwirken kann.)

 

Doch sicherer ist praktisches Wissen, und dieses gibt es: Die Stillliga (La Leche Liga e.V.) gibt in allen Einzelheiten Rat, ebenso wie meine Bücher von "Erziehen lernen" bis "Geheimnis Gehirn", sowie unser Verein Verantwortung für die Familie e.V., u.a.

Geben wir doch endlich dem Natürlichen, dem von Gott Gewollten Raum!

 

(1) A. Sacker et al., Breast feeding and intergenerational social mobility: what are the mechanisms? Archives of Disease in

Childhood adc.bmj.com/content/early/2013/04/24/archdischild-2012-303199.full.pdf+html, Juni 2013

 

(2) Aviva Mimouni-Bloch et al., Breastfeeding May Protect from Developing Attention- Deficit/Hyperactivity Disorder,

Medicine, April 2013

 

(3) Lancet Glob Health., 3: e199-e205, 2015

 

(4) J. Huang et al., Breastfeeding and trajectories of children's cognitive development, Developmental Science

onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/desc.12136/abstract, Januar 2014

 

(5) WHO/UNICEF Initiative "Babyfreundlich", April 2013

 

Eine Korrektur zum letzten "Meves aktuell": Die Horebsendung zur Apokalypse findet nicht am 20.02., sondern am 28.02. um 20.00 Uhr statt.

Beitrag zuerst erschienen auf christa-meves.eu

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Klaus Kolbe

Stillen ist wesentlich!
Das kann jungen Frauen nicht oft genug gesagt werden, liebe Frau Meves.
Eigentlich etwas Natürliches, Selbstverständliches, das den jungen Frauen/Müttern leider durch Feminismus, Genderismus, Mode-Ideale (durch Stillen verschandele man sich den Busen usw.) aberzogen wurde.

Nur ein wenig auf die innere Stimme hören, dann paßt es wieder!

Und über solcherlei Ratschläge:

»Außerdem möge ich das Kind nicht allzu nahe halten. Besser sei es, den Kleinen in einem anderen Raum zu plazieren, um ihn vor Verwöhnung und allzu starker Bindung zu bewahren. Er müsse doch die Erfahrung machen: In dieser Welt liefe nun einmal nichts nach seiner Nase. Wenn er dann einige Nächte lang geschrieen habe, passe er sich an, und alle hätten ihre Ruhe.«

kann man nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen – da fehlen einem die Worte!

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