Sterbehilfe: Um Himmels Willen, Nein!

Am 6.11. soll der Bundestag über Vorschläge zur Regelung der Sterbehilfe entscheiden. Ist das unser Ernst, eine Entscheidung dieser Tragweite zu delegieren?

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Krisenzeiten sind Erntezeiten! Und je größer die Krise ist, umso leichter ist es, die Ernte einzufahren, die man über Monate und Jahre gesäht hat. So scheint es auch mit der anstehenden Beschlussfassung des deutschen Bundestages zur Sterbehilfe am 6. November auszusehen. Es ist von heute aus noch eine Woche hin, bis über diese wegweisende moralische Frage entschieden wird, und in den Medien ruht der See ganz still. Da wäre es ein Leichtes, Gesetzesentwürfe durchzubringen, die möglicherweise eine Mehrheit im Parlament haben, aber weder verassungskonform noch ethisch vertretbar sind. Huschhusch, schnell durch damit, es reicht, wenn am nächsten Freitag die Tagesschau über das Ergebnis berichtet.

Dabei geht es um fundamentale Fragen über den Wert des Lebens. So fundamental, dass ich – das muss ich zugeben – mich an das Thema bislang nicht mal herangetraut habe. Umso schwerwiegender, dass nun ein Parlament darüber entscheiden soll, ohne das bislang eine intensive gesellschaftliche Debatte darüber stattgefunden hätte. Wo ist der „Brennpunkt“, wo sind die Talkshows, die das Thema bearbeiten? Wo sind die Schwerpunktthemen im Fernsehen – da beschäftigt man sich lieber mit „Heimat“, weil es gerade so schön heimelig in die Flüchtlingsthematik passt. Dabei geht es hier um Leben und Tod – auch Ihren!

Die Frage, die die Bundestagsabgeordneten per Abstimmung beantworten sollen, ist, inwieweit Menschen am Ende ihres Lebens oder einer auskurierten, nicht mehr heilbaren Krankheit, bei einem selbst gewünschten Selbstmord unterstützt werden dürfen. Dazu liegen vier Gesetzentwürfe vor, von denen drei nach Einschätzung von Verfassungsrechtlern nicht verfassungskonform sind, während der dritte, der sich für ein klares Verbot der Sterbehilfe und eine Intensivierung der Sterbebegleitung und Palliativmedizin einsetzt, voraussichtlich keine Mehrheit finden wird. Das Gespenst, dass ein Parlament in einer solchen Frage ohne intensive gesellschaftliche Debatte entscheidet, wird also noch dadurch gruseliger, dass es am Ende womöglich das Bundesverfassungsgericht sein könnte, dass darüber entscheidet – noch unabhängiger von der Debatte, was für den Lebensschutz ein Vorteil sein kann, aber für die gesellschaftliche Grundstimmung zu dem Thema auch verheerend.

Der klarste und christlichste Vorschlag ist also der der Abgeordneten Dörflinger, Hüppe und Sensburg, der für ein klares Verbot der Sterbehilfe eintritt. Dabei geht es aber nicht um ein Nein zur Sterbehilfe sondern um ein Ja zu einer humanen Sterbebegleitung: Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord sollen grundsätzlich verboten sein, betroffene Menschen aber in Hospizen und mit moderner Palliativmedizin zu einem natürlichen Tod begleitet werden. Es gilt der Satz, der in diesem Zusammenhang auch von Kirchenvertretern geäußert wird: Der Mensch soll an der Hand, nicht durch die Hand eines anderen Menschen sterben.

In den anderen Gesetzesvorlagen (verbunden mit den Namen von erstens Brand und Griese, zweitens Hintze, Reimann und Lauterbach und drittens Künast, Sitte und Gehring), die Sterbehilfe erlauben wollen geht es konsequenterweise nicht nur um den Suizig unheilbar Kranker sondern um den Selbstmord allgemein. Im von Künast, Sitte und Gehring eingebrachten Vorschlag wird nur die gewerbsmäßige Hilfe zum Selbstmord verboten. In allen anderen Fällen darf demnach der Selbstmord unterstützt werden, auch wenn keine Krankheit vorliegt. Im Vorschlag der Abgeordneten Brand und Griese wird unter sonst gleichen Bedingungen jede geschäftsmäßige Hilfe zum Selbstmord verboten, also soweit sie auf Wiederholung angelegt ist, wie bei Sterbehilfevereinen, auch wenn sie nicht gewerbsmäßig tätig sind. Erschreckend ist in meinen Augen insbesondere der Vorschlag der Abgeordeten Hintze, Reimann und Lauterbach, bei dem letztlich jede Sterbehilfe erlaubt ist, wenn sich der Selbstmordwillige aus freiem Willen dazu entschieden hat.

Man könnte sich nun fragen, was denn ein Liberaler gegen eine freie Willensentscheidung einzuwenden hat? Es stellt sich aber die Frage, inwieweit ein Mensch eigentlich wirklich frei entscheidet, der Selbstmord begehen möchte. Ist er wirklich frei oder eingeschränkt durch die Umgebung und die Umstände? Argumentiert wird oft mit unerträglichen Schmerzen, vor denen man sich selbst bzw. den Anderen bewahren will. Unbekannt sind dabei nicht selten die Möglichkeiten der Palliativmedizin, die weitgehend in der Lage ist, auch schwerste Krankheiten ohne Schmerzen zu durchleben. Auch die Angst, alleine und hilflos zu sterben kann im Hintergrund des Sterbewunsches stehen – aber das ist ebenfalls im Grunde keine freie Entscheidung sondern eine Konsequenz der Entscheidung von Menschen aus dem Umfeld. Patrick Sensburg, der Mitautor des Vorschlags zu einem Sterbehilfeverbot, beschreibt die Situation genau richtig: „Diejenigen, die übrigens vom höchsten Maß der Selbstbestimmung im Suizid ausgehen, werden feststellen müssen, dass der Suizident nach den vorliegenden Gesetzesentwürfen maßgeblich vom Willen Dritter abhängt, also sie die letztliche Wahl haben.“

Darüber hinaus muss man auch die Botschaft beachten, die man als Gesetzgeber und als Gesellschaft aussendet, wenn man Sterbehilfe und Sterbebegleitung gleichberechtigt nebeneinander stellt. In dem Fall wird sich letztlich irgendwann die Frage der Wirtschaftlichkeit stellen. Auch hier ist das Argument von Sensburg treffgenau: „Der Patient, der sich für die Lebenserhaltung mit großem Aufwand entscheidet, wird dann den Angehörigen und der Gesellschaft gegenüber begründungspflichtig, wie dies in den Niederlanden beispielsweise bereits der Fall ist.“ Die Verteidiger der Sterbehilfe behaupten, mit der begrenzten Freigabe der Sterbehilf sei kein weiterer Weg präjudiziert – die Entwicklung in den Niederlanden und der Schweiz mit „Sterbeparties“ und ähnlichem straft solche Argumente Lügen.

Prof. Dr. Christian Hillgruber, der für eine Anhörung im Bundestag ein Gutachten verfasst hat, kommt daher zu folgendem Ergebnis:

Drei von vier der in der Debatte um Sterbehilfe vorgelegten Gesetzentwürfe tragen der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben und die Würde jedes Menschen nur ungenügend Rechnung. Eine Beschränkung des Verbotes der Sterbehilfe auf geschäftsmäßige oder organisierte Fälle, wie es der Entwurf von Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) vorsieht, wird dieser staatlichen Schutzpflicht nicht gerecht. Vielmehr bestehen gerade auch im engeren familiären Umfeld des Sterbenskranken Abhängigkeiten und Erwartungshaltungen, die die stets prekäre freiverantwortliche Entscheidung am Lebensende strukturell gefährden.

Die Gesetzentwürfe von Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Die Linke) einerseits sowie Peter Hintze (CDU) und Carola Reimann (SPD) andererseits, die ärztliche Suizidbeihilfe unter bestimmten Voraussetzungen legalisieren und so das in 10 von 17 Ärztekammerbezirken geltende Verbot außer Kraft setzen wollen, sind mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf diesem Gebiet bereits formell verfassungswidrig. Aber auch materiell bestehen durchgreifende Zweifel daran, ob durch eine gesetzlich näher ausgestaltete Organisation der Suizidbeihilfe bei Künast und Sitte dem verfassungsrechtlich gebotenen Autonomie- und Lebensschutz ausreichend Rechnung getragen werden kann.

Diesem hohen Schutzgut genügt hingegen der Gesetzentwurf von Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger (beide CDU), der ein umfassendes Verbot der Suizidbeihilfe vorsieht. Ein solches Verbot, mit dem die Rechtsordnung gegen die Selbsteinschätzung des Lebensmüden um der Menschenwürde willen daran festhält, dass das Leben unter allen Umständen ein erhaltenswertes Gut darstellt, ist nicht nur verfassungskonform, sondern verfassungsrechtlich sogar geboten.

Schauen wir noch mal auf den Katechismus, dessen diesbezügliche Abschnitte es sich in Gänze zu lesen lohnt, sieht man auch aus dieser Sicht, welche Konsequenzen für einen Katholiken zu ziehen sind:

2276 Menschen, die versehrt oder geschwächt sind, brauchen besondere Beachtung. Kranke oder Behinderte sind zu unterstützen, damit sie ein möglichst normales Leben führen können.

2277 Die direkte Euthanasie besteht darin, daß man aus welchen Gründen und mit welchen Mitteln auch immer dem Leben behinderter, kranker oder sterbender Menschen ein Ende setzt. Sie ist sittlich unannehmbar.

Eine Handlung oder eine Unterlassung, die von sich aus oder der Absicht nach den Tod herbeiführt, um dem Schmerz ein Ende zu machen, ist ein Mord, ein schweres Vergehen gegen die Menschenwürde und gegen die Achtung, die man dem lebendigen Gott, dem Schöpfer, schuldet. Das Fehlurteil, dem man gutgläubig zum Opfer fallen kann, ändert die Natur dieser mörderischen Tat nicht, die stets zu verbieten und auszuschließen ist.

2278 Die Moral verlangt keine Therapie um jeden Preis. Außerordentliche oder zum erhofften Ergebnis in keinem Verhältnis stehende aufwendige und gefährliche medizinische Verfahren einzustellen, kann berechtigt sein. Man will dadurch den Tod nicht herbeiführen, sondern nimmt nur hin, ihn nicht verhindern zu können. Die Entscheidungen sind vom Patienten selbst zu treffen, falls er dazu fähig und imstande ist, andernfalls von den gesetzlich Bevollmächtigten, wobei stets der vernünftige Wille und die berechtigten Interessen des Patienten zu achten sind.

2279 Selbst wenn voraussichtlich der Tod unmittelbar bevorsteht, darf die Pflege, die man für gewöhnlich einem kranken Menschen schuldet, nicht abgebrochen werden. Schmerzlindernde Mittel zu verwenden, um die Leiden des Sterbenden zu erleichtern selbst auf die Gefahr hin, sein Leben abzukürzen, kann sittlich der Menschenwürde entsprechen, falls der Tod weder als Ziel noch als Mittel gewollt, sondern bloß als unvermeidbar vorausgesehen und in Kauf genommen wird.

Die Betreuung des Sterbenden ist eine vorbildliche Form selbstloser Nächstenliebe; sie soll aus diesem Grund gefördert werden.
(Hervorhebungen durch mich)

Der eine oder andere mag meinen, dieser Beitrag sei allzu trocken geraten bei einem so emotionalen Thema. Das ist Absicht: Ich wollte an dieser Stelle lediglich die Fakten in gebotener Kürze und notwendiger Breite darstellen. Dass in dieser Hinsicht für mich nur eine Entscheidung des Bundestages legitim sein kann, und dass ich mich frage, wie Abgeordnete von Parteien, die das „C“ im Namen tragen, ernsthaft auf den Gedanken kommen können, Sterbehilfe sei eine gute Idee, sollte sich danach von selbst verstehen.

Meine eigentliche Botschaft ist aber eine andere: Wie kann man auch nur annähernd annehmen, dass eine gesetzgeberische Entscheidung dieser Tragweite keine gesellschaftlichen Auswirkungen hat? Wie kann man – um das derzeit im Vordergrund stehende Thema aufzugreifen – von Menschen erwarten, sich in unsere Kultur einzugliedern, wenn man die Entscheidung über derart fundamentale Fragen über den Wert des Lebens und den Umgang mit dem Tod, den Abgebordneten des Bundestages überlässt – ohne intensive Diskussionen im Vorfeld? Welche Allmachtsphantasien treiben die Vertreter der gesetzgebenden Gewalt in Deutschland, dass sie meinen, am 6.11. in dieser Weise über Leben und Tod entscheiden zu können? Ich unterstelle keinem Vertreter der anderen Positionen schlechte Absichten, sie meinen vermutlich, das Richtige vorzuschlagen und zur Entscheidung vorzulegen. Aber welche Hybris steckt eigentlich hinter den Vorschlägen und dem Willen, deratige moralische Fragestellungen durch ein Gesetzgebungsverfahren zu lösen?

Zuerst erschienen auf papsttreuerblog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Thomas Friedrich

@Adorján Kovács:

"90% derer, die Suizid überlebten, wiederholen ihn nicht, d. h. sie haben das Problem ausgestanden."

Diese Zahl habe ich oft gelesen, aber keinen Beleg gefunden. Man sollte außerdem bedenken, dass ein Mensch nach einem missglückten Suizid in der Psychiatrie landet, also in einem hochgradig manipulativen Umfeld, wo ihm von allen Seiten eingebläut wird, dass er einen Fehler gemacht hat und froh sein muss, noch am Leben zu sein. Wie viel es aussagt, wenn ihm anschließend der Mut zu einem weiteren Versuch fehlt, ist fraglich. Gäbe es eine vergleichbare Beeinflussung in Richtung Suizid, dann würden Sie zweifellos bestreiten, dass es sich um eine freie Entscheidung handelt.

Im Übrigen bin ich für eine Wartefrist und für (ergebnisoffene) Beratungesgespräche vor dem assistierten Suizid. Vermutlich würde man damit sogar den einen oder anderen irrationalen Affektsuizid, der andernfalls auf den Gleisen geendet hätte, ganz vermeiden. Auch Dignitas berichtet immer wieder, dass gerade das Wissen um die Möglichkeit, notfalls gehen zu können, vielen Menschen neuen Lebensmut gibt.

"Es geht hier zwar um die unrettbar Kranken, doch werden durch Erlaubnis der Mittäterschaft Schleusen geöffnet, die nicht zu schließen sind."

Die "Mittäterschaft" ist seit dem späten 19. Jahrhundert legal. Ihr Schleusenargument ist also wenig überzeugend.

"Nein, die Norm sollte nicht von der Gewohnheit vorgegeben werden, sondern, so wenig das denen gefällt, die Freiheit mit Beliebigkeit verwechseln, von ethischen Vorstellungen."

Ich finde es immer interessant, wenn "liberal" angestrichene Rechtskonservative erklären, dass "echte Freiheit" auf keinen Fall mit Beliebigkeit, sprich Selbstbestimmung verwechselt werden darf.

Was ist denn die exquisite Freiheit, die Sie meinen? Ich verstehe unter Freiheit die Möglichkeit, tun zu können, was ich will. Und der einzige limitierende Faktor, den ich anerkenne, ist die Freiheit anderer Menschen.


@H. Roth:

"Zu ihrem letzten Kommentar, dass die Kirche den Suizid ablehnt, aber die Todesstrafe befürwortet hat, ist anzumerken: beides dient dem Schutz des Lebens. Die Todesstrafe gab es für Menschen, die aufgrund ihres Verhaltens zu einer Lebensgefahr für ihre Mitmenschen geworden waren."

Im England des späten 18. Jahrhunderts wurden 220 (!) verschiedene Delikte mit dem Tod bestraft. Auch in anderen christlichen Ländern war die Todesstrafe nicht auf Mord und Totschlag beschränkt. Bis zur Aufklärung stand sie praktisch überall auf Häresie und Ketzerei. So viel zur Pro-Life-Geschichte des Christentums.

Gravatar: H.Roth

@ Thomas Friedrich

Zu ihrem letzten Kommentar, dass die Kirche den Suizid ablehnt, aber die Todesstrafe befürwortet hat, ist anzumerken: beides dient dem Schutz des Lebens. Die Todesstrafe gab es für Menschen, die aufgrund ihres Verhaltens zu einer Lebensgefahr für ihre Mitmenschen geworden waren. Das Leben dieser Mitmenschen galt es zu schützen.
Heute erleben wir gerade von der Linken Ideologie ein anderes Extrem: der Mörder wird bestmöglich verschont, das Schwache und Kranke soll aber getötet werden. Man darf nicht vergessen, dass diejenigen, die sich am meisten über die (gerechte) Todesstrafe empören, gerade die sind, die jetzt die Legalisierung der Sterbehilfe fordern.

Gravatar: Adorján Kovács

@Thomas Friedrich
Vielen Dank für die Replik, doch kann ich ihr nicht zustimmen. Wer Suizidabsichten äußert, ruft in der Regel nach Hilfe, um sich NICHT umbringen zu müssen. 90% derer, die Suizid überlebten, wiederholen ihn nicht, d. h. sie haben das Problem ausgestanden. Hätte man ihnen beim Selbstmord helfen sollen, damit es auch wirklich klappt? Es geht hier zwar um die unrettbar Kranken, doch werden durch Erlaubnis der Mittäterschaft Schleusen geöffnet, die nicht zu schließen sind. Ich bin nach wie vor der Meinung: Wer sich töten will, soll das bitte selbst tun und nicht andere mit hinein ziehen.
Sie führen das positive Recht an, demzufolge Mittäterschaft straffrei sei. Das ist ja gerade das Problem. Verfassungsrechtler argumentieren oft damit, dass Menschen ihr Verhalten in der Breite geändert hätten und nun das Recht an diese Normalität „angepasst“ werden müsste. Demnach ist Recht beliebig. Z. B. ist in einer Gesellschaft, die Juden oder Christen oder wen auch immer hasst und verfolgt, dieses Verhalten normal und, wenn man der Argumentation folgt, dann sollte das Recht diese Normalität widerspiegeln. Nein, die Norm sollte nicht von der Gewohnheit vorgegeben werden, sondern, so wenig das denen gefällt, die Freiheit mit Beliebigkeit verwechseln, von ethischen Vorstellungen. Wenn Sie mit vielen Bürgern es normal finden, dass Ärzte töten sollen, egal ob mit Einverständnis, dann ist das trotzdem nicht richtig. Es ist Zeichen einer glaubens- und lebensmüden Gesellschaft, deren Taumeln wir gerade erleben.

Gravatar: H.Roth

Danke, Herr Honekamp, ihr Artikel ist sehr wichtig. Es ist erschreckend, dass der Bundestag mal eben - so ganz nebenbei - über Leben und Tod entscheidet. Ob vorher darüber in der Bevölkerung diskutiert wird oder nicht, ist der Regierung erstens nicht wichtig, und würde zweitens auch keinen Einfluß auf die Abstimmung haben. So kann man mal wieder nur hoffen und bangen...

Über Leben und Sterben zu bestimmen, darf niemals in der Macht des Menschen stehen. Und schon gar nicht in der Macht einer Regierung, die eine sehr menschenfeindliche Ideologie umsetzen möchte. Eine solche Gesetzgebung würde eine Lawine lostreten, die ungeahnte Dimensionen annehmen kann.

"In Würde sterben" beinhaltet etwas anderes als eine Giftspritze. Aus persönlicher Erfahrung mit einem nahen Angehörigen, der über viele Monate hinweg in seinem Haus bis zum letzen Atemzug liebevoll umsorgt wurde, kann ich sagen, dass mir dieses "Leidenszimmer" eher wie eine Kapelle, eine stille, friedliche und meist auch fröhliche Oase erschien, in dem ich mehr gelernt habe, als an allen anderen Orten dieser Welt.

Genausowenig, wie man entscheiden kann, ob man geboren werden möchte - oder nicht - darf man darüber entscheiden wann und wie man stirbt. Dass jeder Mensch einmal sterben muss ist eine unvermeidliche Tatsache. Entscheidend ist: was kommt danach?

"Es ist jedem Mensch gesetzt, einemal zu sterben,danach aber das Gericht" Die Bibel, Hebräerbrief 9,27

Gravatar: Thomas Friedrich

@Adorján Kovács:

"Niemand hat etwas dagegen, wenn jemand sich selbst das Leben nimmt."

Natürlich hat der Staat etwas dagegen. Jeder Mensch, egal wie alt oder krank, der Suizidabsichten äußert, muss damit rechnen, in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie zu landen. Der Staat kann es offenbar nicht ertragen, dass jemand ihm freiwillig auf diese Weise den Rücken kehrt.

"Das steht doch jedem frei und mit Ausnahme der akut ab Hals Gelähmten ist auch jede(r) dazu in der Lage."

Ohne die nötige Substanz ist es nicht einfach, sich auf eine sichere, menschenwürdige und die öffentliche Ordnung nicht störende Weise das Leben zu nehmen. Natürlich kann jeder sich unter den Zug werfen, und "dank" unserer Prohibitionskultur tun das jedes Jahr etwa eintausend Menschen. Wenn Sie das besser finden...

"Aber in einem Land, das mit Schreibtischtätern Erfahrung hat, sollte das Ausfüllen eines Rezeptes für den Suizid nicht als "Hilfe", sondern als Tat beurteilt werden, als Mord. "

Das ist natürlich Unsinn. Als Mord wird die Beihilfe zum Suizid in keinem Staat gewertet, nicht mal dort, wo eine Strafbarkeit besteht.

Wenn der Mensch sich selbst gehört, dann darf er auch über sein Ende bestimmen. Und wenn er über sein Ende bestimmen darf, dann kann die Beihilfe zu dieser legitimen Handlung kein Unrecht sein.


Was die kirchliche Haltung betrifft: Sollte es nicht nachdenklich stimmen, dass die Kirche den Suizid schon immer verurteilt, aber die Todesstrafe bis ins 20. Jahrhundert ausdrücklich befürwortet hat? Auch das Töten im Krieg war nie ein grundsätzliches Problem. Die christliche Ablehnung des Suizids steht also nicht in der Tradition einer unbedingten Lebensbejahung, sondern in der Tradition von Paternalismus und Obrigkeitsdenken.

Gravatar: Papsttreuer

Da ich aufgrund mancher Kommentare vermute, dass die Leser nicht alle bis zum Ende meines Beitrags durchgedrungen sind, würde ich den letzten Absatz gerne noch mal wiederholen. Vielleicht macht der klarer, worum es mir geht - nicht in erster Linie um ein Verbot, sondern um das Infragestellen einer gesetzgeberischen Kompetenz:

"Meine eigentliche Botschaft ist aber eine andere: Wie kann man auch nur annähernd annehmen, dass eine gesetzgeberische Entscheidung dieser Tragweite keine gesellschaftlichen Auswirkungen hat? Wie kann man – um das derzeit im Vordergrund stehende Thema aufzugreifen – von Menschen erwarten, sich in unsere Kultur einzugliedern, wenn man die Entscheidung über derart fundamentale Fragen über den Wert des Lebens und den Umgang mit dem Tod, den Abgebordneten des Bundestages überlässt – ohne intensive Diskussionen im Vorfeld? Welche Allmachtsphantasien treiben die Vertreter der gesetzgebenden Gewalt in Deutschland, dass sie meinen, am 6.11. in dieser Weise über Leben und Tod entscheiden zu können? Ich unterstelle keinem Vertreter der anderen Positionen schlechte Absichten, sie meinen vermutlich, das Richtige vorzuschlagen und zur Entscheidung vorzulegen. Aber welche Hybris steckt eigentlich hinter den Vorschlägen und dem Willen, deratige moralische Fragestellungen durch ein Gesetzgebungsverfahren zu lösen?"

Ich danke vor allem Ihnen, Frau Kaiser, für Ihr Zeugnis. Wenn Sie mich fragen, wie ich reagiert hätte, muss ich eingestehen: Ich weiß es nicht, ich war bislang noch nicht in der Situation, in die ich aber vermutlich noch kommen werde. Gesetzgeberische Verfahren benötigen dafür so etwas wie "Standardsituationen", an denen sie sich orientieren können. Und diese Standardsituation gibt es nicht, weshalb die meisten Gesetze, nicht nur in diesem Thema, Konsequenzen haben, die man nicht absehen kann - so entstehen zigtausende Seiten Steuergesetze. Während es bei denen aber nur um Geld geht, geht es hier um Leben und Tod - da meine ich, sollte man sehr vorsichtig sein, den Gesetzgeber entscheiden zu lassen, der nach Mehrheiten heute so und morgen vielleicht anders entscheiden würde.

Gravatar: Peter Schaefer

Da sind sie wieder, die Gespenster des freien Willens zum eigenen Tod, die ohne mit der Wimper zu zucken, andere dazu verpflichten wollen, sie umzubringen, weil sie selber zu feige dazu sind. Nicht nur zu feige zu leben, sondern auch noch zu feige zu sterben.
Um dann trotzdem noch den eigenen Willen zu bekommen, wird der dadurch entstehende soziale Druck auf Schwächere einfach billigend in Kauf genommen oder direkt geflissentlich ignoriert.
Im Nachhinein läßt sich auch viel Hineininterpretieren, aber ob der Vater von Frau Kaiser sich denn tatsächlich freudig in halbwegs gesundem Zustand umgebracht hätte, steht in den Sternen und die Erfahrung sagt deutlich NEIN, das hätte er nicht getan.

Gravatar: Adorján Kovács

@Freigeist, Thomas H., Thomas Friedrich, W. Bretschneider, Helene Kaiser
Niemand hat etwas dagegen, wenn jemand sich selbst das Leben nimmt. Das steht doch jedem frei und mit Ausnahme der akut ab Hals Gelähmten ist auch jede(r) dazu in der Lage. Aber in einem Land, das mit Schreibtischtätern Erfahrung hat, sollte das Ausfüllen eines Rezeptes für den Suizid nicht als "Hilfe", sondern als Tat beurteilt werden, als Mord. Dazu dürfen sich Ärzte niemals hergeben, schon gar nicht rechtlich gebilligt. Ich habe deshalb vor längerer Zeit vorgeschlagen, gesellschaftlich ehrliche Wege zu gehen und den Beruf des Henkers wiederzubeleben. Damit wäre eine behördlich genehmigte Person gegeben, die Menschen vom Leben zum Tode befördert.

Gravatar: Freigeist

Die Damen und Herren in Berlin können beschließen, was sie wollen. Ich mache was ich will. Das Parlament hat mir diesbezüglich nichts zu sagen, gar nichts. Und ein Papst hat mir schon lange nichts mehr zu sagen. Märchenerzählung wirkt bei mehr und mehr Menschen nicht mehr "Gott sei Dank" :-))

Gravatar: Thomas H.

noch etwas Herr Honekamp: ich hasse die diktatorische katholische Kirche, diese ist für mich nichts besser als Scientology oder islamische Extremisten. Die katholische Kirche will Menschen vorschreiben, wie sie zu leben und zu sterben haben. Aber die Inquisition wird dabei geflissentlich ausgeklammert. Kirche und Religion sind meiner Ansicht dazu da, die Menschen zu knechten und wie Sklaven zu behandeln.

Gravatar: Thomas H.

Herr Honekamp, Ihre rechtskonservative Bevormundung können Sie sich sparen, ganau wie die 35 CDU/CSU Politiker, die jede Form der Sterbehilfe verbieten wollen. Aber sterbende Flüchtlinge aus Syrien scheinen Ihnen und den genannten CDU/CSU Politikern egal zu sein, denn warum setzen Sie und die genannten CDU/CSU Politiker sich nicht dafür ein, das syrische Kriegsflüchtlinge aus der Türkei per Schiff nach Deutschland gebracht werden? Sind sterbenskranke deutsche Bürger, die unbedingt sterben wollen für Sie mehr wert als syrische Kinder? Im Gegenzug muss die Armutseinwanderung aus den Balkanstaaten, einigen afrikanischen Staaten und ehemaligen Sowjetrepubliken durch eine Gesetzesänderung verboten werden und die Armutseinwanderer sofort ohne jede Ausnahme abgeschoben werden. Auch die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Rumänen, Bulgaren, Polen usw. muss sofort wieder beendet werden und die Sozialleistungen für arbeitslose Rumänen, Bulgaren, Polen und sonstige Osteuropäer müssen schnellstmöglich eingestellt werden!

Gravatar: Thomas Friedrich

Wie schön, dass der Autor mit den Katechismus-Zitaten den Beweis liefert, dass er sein Denken an Rom delegiert, und seinen privaten (Aber)Glauben als hinreichende Grundlage für allgemeine Verbote betrachtet. Im Endeffekt fordert er, dass mein persönliches Sterben sich nach seiner irrationalen Ideologie richtet. Diesen Gefallen werde ich ihn allerdings nicht tun. Die nötige Substanz für meinen Abgang habe ich seit Jahren in der Schublade.

Im Übrigen:

"Wie kann man – um das derzeit im Vordergrund stehende Thema aufzugreifen – von Menschen erwarten, sich in unsere Kultur einzugliedern, wenn man die Entscheidung über derart fundamentale Fragen über den Wert des Lebens und den Umgang mit dem Tod, den Abgebordneten des Bundestages überlässt"

Eine Liberalisierung der Sterbehilfe würde bedeuten, dass jeder nur über den Wert seines eigenen Lebens entscheiden darf. Und das ist ja der wesentliche Unterschied zwischen den Befürwortern und den Gegnern der Sterbehilfe: Der Befürworter mischt sich nicht in das Leben der Andersdenkenden. Ich habe nichts dagegen, dass der Autor auf den sogenannten "natürlichen Tod" wartet. Von mir aus kann er sich auch an Frau Gonxha Bojaxhiu orientieren und in den letzten Wochen auf Schmerzbehandlung verzichten (was aus meiner Sicht eigentlich konsequent wäre: wenn wir den "natürlichen Sterbeprozess" akzeptieren müssen, warum dann nicht auch die natürlichen Schmerzen, die dazugehören?). Dagegen sind es die Gegner der Sterbehilfe, die sich in das Leben anderer Menschen einmischen und erst zufrieden sind, wenn jeder so stirbt, wie sie es für moralisch richtig halten.

"Aber welche Hybris steckt eigentlich hinter den Vorschlägen und dem Willen, deratige moralische Fragestellungen durch ein Gesetzgebungsverfahren zu lösen? "

Wie soll man Sie denn sonst lösen? Durch ein Gottesurteil? Oder sollen alle Staaten der Welt die Befugnis für biopolitische Entscheidungen direkt an den Vatikan übergeben?

Im Übrigen finde ich es witzig, mit welcher Ausdauer eine Seite namens "Freie Welt" seit Monaten Propaganda gegen Freiheit und Selbstbestimmung todkranker Patienten macht. Chapeau!

Gravatar: Wolfgang Bretschneider

Frau Kaiser, Sie beschreiben das Grauen, dass ihr Vater erleiden musste sehr anschaulich. Ich habe ebenfalls das schreckliche Sterben einer 85jährigen Freundin 6 1/2 Jahre begleitet. Was Herr Honekam hier schreibt, ist blanker religiöser Fanatismus. Nicht Menschlichkeit sondern sture Durchsetzung von Dogmen ist sein Anliegen - koste es was es wolle. Dabei ist ihm, wie seinen Glaubensbrüdern Sensburg. Dörflinger und Hüppe, jedes Mittel recht Andersdenkende zu verunglimpfen, sie als Mörder dar zu stellen.Was sie anstreben ist nicht Menschlichkeit sondern Folter! Die Zeiten des Mittelalters will ich nicht wieder zurück haben.Ein Mensch, der unheilbar Krank ist, muss in einem Rechtsstaat auch das Recht haben seine Leiden zu beenden!

Gravatar: Helene Kaiser

Mein Vater konnte vor 12 Jahren weder leben noch sterben. Herzinsuffizienz, Wasser in der Lunge, Leber und Magen desolat (aufgrund der vielen Medikamente), kein Hunger, kein Durst, keinen Lebenswille.
Die Ärzte sagen uns, gleichgültig welche der vielen Leiden meines Vaters gelindert würde, es ein anderes Krankheitsbild drastisch verschlechtert würde.
Mein lag 1 Jahr im Sterben – im Kopf vollkommen klar – schaute mich immer wieder an und fraget mich: „Wie lange dauert es noch, ich kann nicht mehr, ich will das das zu Ende geht.“ Zuletzt kam er in ein Pflegeheim – meine Mutter schaffte die Betreuung nicht mehr – um dort noch 6 Wochen zu vegetieren. Die Betreuung war grotten schlecht und Silvester vor 12 Jahren wurde er NUR mit einem Unterhemd bekleidet ins Krankenhaus gebracht um dort zu sterben.
Ich denke er hätte sich sehr gerne das letzte seiner Lebensjahre erspart, wenn er eine legale Möglichkeit gehabt hätte !

Gravatar: Adorján Kovács

Herr Honekamp, ich habe diverse Artikel zu dieser Frage geschrieben und bin mittlerweile zu der Einsicht gelangt, dass das Leben in Deutschland an seinem Beginn und an seinem Ende nichts mehr wert ist, weil es ökonomisch unproduktive Perioden sind. Die "Freiheits"-behauptung ("Mein Bauch gehört mir", "Mein Tod gehört mir") ist reine Ideologie. In der Zeit zwischen Beginn und Ende soll ein Leben zuvörderst der maximalen Rendite dienen, weshalb der nächste Schritt die Kinderarbeit sein wird, davon bin ich überzeugt..

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