Stalins Mord in Katyn- und das Nachspiel von 1940 bis heute

Das Kapitel Katyn ist, was die juristische Seite betrifft, abgeschlossen. Gegen eine, auch noch so fragwürdige, Entscheidung des EMGH in Straßburg ist kein Einspruch mehr möglich. Aber die politische und moralische Diskussion wird weiter gehen.

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Es war eines der größten Kriegsverbrechen im zweiten Weltkrieg, aber es ist weder im europäischen Bewusstsein verankert, noch wurde den Angehörigen je eine Wiedergutmachung zuteil. Dafür hat zuletzt eines der höchsten europäischen Gerichte, das EMGH in Straßburg gesorgt. Damit hat Europa, das gern die europäischen Menschenrechtsnormen als globales Modell verstanden wissen will, sich selbst ein Armutszeugnis ausgestellt. Wie will man Vorbild sein für die Welt, wenn man die eigenen Normen nicht einhält, wenn es politisch opportun erscheint?

Der Fall Katyn bleibt eine schwärenden Wunde am Körper Europas, die erst heilen wird, wenn die volle Verantwortlichkeit für dieses Verbrechen vom Rechtsnachfolger der stalinistischen Sowjetunion übernommen wird.

Die Fakten sind erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Im Frühjahr 1940 ließ Stalin mehr als 20 000 polnische Offiziere, Unteroffiziere, Beamte, Feuerwehrmänner im nach dem Hitler- Stalin- Pakt sowjetisch besetzten Ostpolen verhaften und in diverse Lager sperren. Einige Monate später wurden diese Menschen auf Beschluss des Politbüros der KPdSU hingerichtet und in Massengräbern verscharrt. Von den wenigen Überlebenden weiß man, dass die Totgeweihten bis zum Schluss nichts von ihrem Schicksal ahnten. Erst am Rande des Grabes realisierten sie, was ihnen bevorstand und leisteten zum Teil Widerstand. Bei Exhumierungen wurden Menschen gefunden, die an Armen und Beinen gefesselt waren.

Mehr als ein halbes Jahrhundert verbreitete die sowjetische Führung erfolgreich die Lüge, die Polen wären Opfer einer nationalsozialistischen Gräueltat gewesen. Die ehemaligen Verbündeten der Sowjetunion, die schon im Krieg die Wahrheit erfuhren, Churchill und Roosevelt, stellten diese Geschichtsfälschung nie in Frage. Während des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses ließen sie sogar zu, dass der sowjetische Chefankläger Wehrmachtsoffiziere wegen der Verbrechen in Katyn anklagte. Es kam allerdings zu keiner Verurteilung, denn die Argumentation der Sowjets stand auf zu wackligen Füßen.

Die Geschichtslüge blieb dagegen erfolgreich bestehen. Die Akten mit den genau dokumentierten Ereignissen blieben geschlossen bis in die Ära Gorbatschow. Erst nachdem  Boris Jelzin an die Macht kam, wurden dem damaligen polnischen Präsidenten Lech Walensa im Oktober 1992 Dokumente zu Katyn übergeben, darunter ein Schreiben von Geheimdienstschef Berija an Stalin, in dem er die Ermordung der polnischen Offiziere vorschlägt. Mehr als 50 Jahre hatte es gedauert, bis die Rechtsnachfolger der Sowjetunion bekannten, dass die polnischen Offiziere vom NKWD hingerichtet wurden. Der russische Militärstaatsanwalt eröffnete 1992 sogar ein Verfahren, in dem die näheren Umstände untersucht werden sollten. Aber bereits ein Jahr später wurden diese Untersuchungen faktisch eingestellt, bis im Jahr 2005 das Verfahren offiziell beendet wurde. Mehrere Versuche von Memorial, andere Gerichtsverfahren zu erzwingen, scheiterten. Zuletzt urteilte das EMGH in Straßburg, dass Russland nicht verpflichtet werden kann, ein Katyn- Verfahren wieder aufzunehmen.

Es ist das große Verdienst von Peter Johnsson, Historiker, Journalist und Autor des Buches „Stalins Mord in Katyn“, alle verfügbaren Quellen ausgewertet und nicht nur die Umstände des Massenmordes, sondern auch die Geschichtslügen, die sich um dieses Verbrechen herumranken, genauestens untersucht und beschrieben zu haben. In all ihren makaberen Details ist es eine Geschichte, die Fragen nach dem laxen Umgang mit der historischen Wahrheit, auch in der Europäischen Union, aufwirft.

Das Kapitel Katyn ist, was die juristische Seite betrifft, abgeschlossen. Gegen eine, auch noch so fragwürdige, Entscheidung des EMGH in Straßburg ist kein Einspruch mehr möglich. Aber die politische und moralische Diskussion wird weiter gehen. Johnsson resümiert: „Katyn handelt von einem überlegten, durchdiskutierten und politisch beschlossenen und deshalb protokollierten Massenmord. Katyn handelt deshalb...vom menschlichen Zynismus in der Politik. Katyn handelt auch von Gleichgültigkeit in der Politik...die im Grunde auf Unmoral baut. Etwas, was André Glücksmann...den passiven Nihilismus genannt hat.“

Ein totalitärer, hasserfüllter  Machtpolitiker und seine Nachfolger konnten mit unmoralischer Unterstützung demokratischer Machtpolitiker Europa über ein halbes Jahrhundert über ein Verbrechen belügen und vermeiden, dass die Frage nach der Verantwortung in den Korridoren der Macht gestellt wird.

So lange sich Europa nicht klar zum Unrecht und seiner Unmoral bekennt, wird der Fall Katyn nicht abgeschlossen werden können.

Peter Johnsson: Stalins Mord in Katyn, Berlin 2015

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Hansi

Tja, was für ein Gegensatz zum Prozess gegen Halbtote in der BRD wie jetzt in Rostock.
Und in einem irrt Frau Lengsfeld. Es sind deutsche Wehrmachtsoldaten als angebliche Verantwortliche in Moskau gehängt worden.

Im Winter 1945/1946 fand im damaligen Leningrad ein Prozess gegen mehrere deutsche Offiziere statt, denen man das Massaker in Katyn im April/Mai anhängte.

Bei dieser Prozess-Farce wurden folgende Offiziere der Wehrmacht zum Tode durch den Strang verurteilt: Karl Hermann Strüffling, Heinrich Remmlinger, Ernst Böhm, Eduard Sonnenfeld, Herbard Janike, Erwin Skotki, Ernst Gehrer.

Gravatar: Gernot Radtke

@ Klaus Kolbe
.
Ich habe von deutschen 'Katyns' gesprochen - in Anführung, weil natürlich auch ich weiß, daß historisch nicht alles in einen Topf geworfen werden kann. Mord ist allerdings Mord, und da hätten die Griechen, Italiener oder Franzosen sicher auf einige Lokationen zu verweisen, an denen sich der deutsche Mordfuror ausgetobt hat. Und wenn Sie dann die KZs noch hinzunehmen - ach du lieber Gott! - Mir ging es in meinem kleinen Beitrag aber gar nicht so sehr um die Schandtaten der Vergangenheit und wer sie alle begangen hat, sondern darum, sich sensibel (auch) gegen (aufkommenden) Totalitarismus zu machen, denn nur in ihm sind solche monströsen Verbrechen wie die von Katyn und nicht nur von Katyn möglich.

Gravatar: Klaus Kolbe

@ Gernot Radtke am 02.12.2015 um 12.36 Uhr

Es wäre doch mal ganz interessant und sehr aufschlußreich, von diesen „so vielen deutschen ,Katyns‘ in ganz Europa“ zu erfahren, Herr Radtke.

Die sogen. Wehrmachtsausstellung sollte abschreckendes Beispiel genug sein. Die schamlosen Fälschungen, von jungen polnischen Historikern aufgedeckt und publik gemacht, sollten bekannt sein.

Darf ich Ihnen einmal Folgendes zur Kenntnis geben:

„Mit Greuelpropaganda haben wir den Krieg gewonnen ... Und nun fangen wir erst richtig damit an! Wir werden diese Greuelpropaganda fortsetzen, wir werden sie steigern bis niemand mehr ein gutes Wort von den Deutschen annehmen wird, bis alles zerstört sein wird, was sie etwa in anderen Ländern noch an Sympathien gehabt haben, und sie selber so durcheinander geraten sein werden, daß sie nicht mehr wissen, was sie tun. Wenn das erreicht ist, wenn sie beginnen, ihr eigenes Nest zu beschmutzen, und das nicht etwa zähneknirschend, sondern in eilfertiger Bereitschaft, den Siegern gefällig zu sein, dann erst ist der Sieg vollständig. Endgültig ist er nie. Die Umerziehung (Reeducation) bedarf sorgfältiger, unentwegter Pflege wie englischer Rasen. Nur ein Augenblick der Nachlässigkeit, und das Unkraut bricht durch, jenes unausrottbare Unkraut der geschichtlichen Wahrheit.“

Das sagte Sefton Delmer, der ehemalige britische Chefpropagandist, nach der Kapitulation 1945 zu dem deutschen Völkerrechtler Prof. Grimm (Die Propaganda der Alliierten wird durch den Überleitungsvertrag Art. 7.1 als OFFENSICHTLICHE TATSACHEN vom "deutschen' Strafrecht geschützt.)

Gravatar: Jürg Rückert

Zwischen 1948 und seinem Tod 1953 soll Stalin gezielt Juden ermorden lassen haben. Die Zahl dürfte bei 800 000 liegen. Als gelernter Deutscher würde ich sagen "etwa eine Million ...".
Wo ist diese Million abgeblieben?
Warum spricht niemand darüber, nicht einmal Juden?

"So lange sich Europa nicht klar zum Unrecht und seiner Unmoral bekennt ..."

Gravatar: Chakravartin Serapis

Selbstverständlich müssen die Angehörigen der Opfer des Massakers von Katyn entschädigt werden. Dies gilt aber für alle Opfer ungesühnter Verbrechen jedweder Art. Man denke nur an das armenische Volk, welches seit 100 Jahren die Leugnung des spätosmanischen Völkermords ertragen muss.
Eigenartig ist aber dennoch warum die Militärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation sich der Ermittlungen angenommen hat.
Russland ist formal-juristisch betrachtet nicht der Rechtsnachfolger der UdSSR, sondern der "Fortsetzerstaat".

Gravatar: Gernot Radtke

75 Jahre nach dem furchtbaren Verbrechen - mehr als eine Gedenkstätte in Katyn und eine historisch seriöse Aufarbeitung sowjetischer Verbrechen wird wohl nicht mehr möglich sein. Deutsche können da allerdings nur schlecht in der ersten Reihe des Weltgewissens voranmarschieren. Es gibt ja so viele deutsche ‚Katyns‘ in ganz Europa. Was man aber auf jeden Fall tun kann, ist, auf die Gefahren des Totalitarismus aller Spielarten hinzuweisen, unter denen die Katyns dieser Welt überhaupt erst möglich werden. Da mag man den ein oder anderen Gedenktag in Europa noch einführen oder bestehende neu akzentuieren. Wichtiger erscheint mir, überall und beharrlich zu warnen, wenn Staaten anfangen, in totalitäre Monster zu mutieren, die sich an keinerlei Verfassung und Recht mehr halten und dies auch noch mit einem Totalitarismus der Menschenfreundlichkeit begründen. – Gut, daß Sie, verehrte Frau Lengsfeld, darauf und auf ein gutes Buch dazu hingewiesen haben.

Gravatar: Gerd Müller

Das ist aber nicht die ganze Wahrheit.

Auch die damalige DDR hat großen Anteil an der Aufrechterhaltung der Katyn-Lüge !

Mein Vater z.B. war von Anfang bis zum Ende als Berufssoldat beim sogen. Ostfeldzug dabei.

Er war auch bei den Exhumierungen der Opfer von Katyn, durch die Wehrmacht zugegen .......

Schon als mein Bruder und ich noch Kinder waren, haben wir, natürlich unter Auflage strengster Geheimhaltung, von ihm erfahren was sich dort ereignet hatte.

Natürlich schwiegen wir auch bis nach der "Wende" darüber, denn wir mußten ja 1953 schon einmal mit erleben, wie unser Vater grundlos und unschuldig zu einer hohen Zuchthausstrafe verurteilt wurde.
Später konnte man dieses Urteil nicht mehr aufrecht erhalten und mußte ihn frei lassen.

Aber hätten wir als Kinder in der DDR (für mich immer noch Ostzone) davon gesprochen, wäre das Schicksal meiner Eltern und auch von uns Kindern besiegelt gewesen.

Gewußt von diesem Verbrechen haben unzählige Menschen in Ost und West, denn bereits 1940 hatte die Wehrmacht davon berichtet und 1943 sogar im Kino die „Deutsche Wochenschau“.

Siehe hier:
https://www.youtube.com/watch?v=2kzn8eLv5Ow

Und so schwiegen alle die im Osten davon wußten über 40 Jahre lang, weil politischer Machtmissbrauch, Denunziation, menschenverachtende Ideologie und Duckmäusertum jeden Andersdenkenden massiv bedrohten.

Aber warum schwieg der Westen .................

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