Staatsverschuldung und Demokratie

In der Debatte über die Insolvenz Griechenlands und die angebliche Notwendigkeit, diesem Euro-Staat durch Steuergelder aus der EU eine riesige Finanzhilfe zu gewähren (obwohl die EU-Verträge einen solchen Schritt verbieten!); fehlt eine Frage, die man nicht nur im Falle Griechenlands, sondern auch bezüglich vieler anderer hochverschuldeter Staaten stellen muß: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Demokratie und chronisch extremer Staatsverschuldung? Kann es sein, daß demokratische Staaten gar nicht anders können, als sich chronisch zu überschulden?

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In dieser allgemeinen Form wird man die Frage nicht mit Ja beantworten können, denn es gibt immerhin eine Reihe von Demokratien, die nur gering verschuldet sind, weil sie jedes Jahr nur so viel Geld ausgeben, wie sie an Steuern und andere Quellen einnehmen. In manchen Fällen, wie beispielsweise in Kanada, gab es sogar eine erfolgreiche Umkehr in der Finanzpolitik. Dieser überschuldeten Demokratie gelang eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung.

Es ist also im Prinzip möglich, daß eine stark verschuldete Demokratie zur Finanzpolitik des braven Familienvaters zurückkehrt, der nicht mehr Geld ausgibt, als er auf dem Konto hat. Aber diese Fälle sind leider selten. Viel häufiger sehen wir demokratische Staaten, die zwar davon sprechen, ihren Schuldenberg reduzieren zu wollen, es aber in der Realität einfach nicht schaffen. (Man denkt an den Alkoholiker oder Raucher, der täglich seine Sucht aufgeben will …)

Warum eigentlich nicht? Dafür werden vielerlei Gründe genannt. In Deutschland war es die staatliche Vereinigung von 1990, die eine ungeheure Menge Geld kostete, weil das kommunistische Ostdeutschland keine moderne Infrastruktur hatte und industriell weitgehend ein Schrotthaufen von veralteten Industrieanlagen war. Die Arbeitsproduktivität war gering, die kommunistischen Staatsschuld jedoch exorbitant. Nun gut, kann man sagen, das ist ein historischer Sonderfall. Aber was ist mit Frankreich, das den Großteil seiner Staatsschulden unter dem sozialistischen Staatspräsidenten Mitterrand aufbaute, ohne irgendeinen besonderen historischen Grund? Warum konnten dies Schulden unter den konservativen Nachfolgern nicht reduziert werden? Warum stiegen Sie noch?

Oder nehmen wir die USA, deren Staatsschuld unter dem konservativen Ronald Reagan massiv anstieg, dann während der Clinton-Jahre erfreulicherweise sank, aber unter George Bush Junior wieder schwindelerregende Höhen erreichte, aus denen die Obama-Administration keinen Abstieg findet. Die teuren Kriege im Irak und in Afghanistan reichen nicht aus, um diese Misere zu erklären. Weitaus größere Auswirkungen hat die Weltfinanzkrise seit dem Herbst 2008, die ja hauptsächlich eine gigantische amerikanische Finanzkrise ist und von dort so viele andere Staaten in Mitleidenschaft zieht! Aber als sich dieser Kollaps ereignete, litten die US-Staatsfinanzen bereits seit Jahrzehnten an einer chronischen Krankheit, für die das exorbitante amerikanische Defizit der Zahlungs- und Handelsbilanz ein nicht zu übersehendes Syndrom bildet.

Liegt das Problem also an den schlechten Leistungen der Volkswirtschaft, die nicht genug Steuergeld produziert? Im Fall der USA spielt das gewiß eine Rolle, aber es bleibt gleichwohl die Frage, warum sich die USA fortwährend mehr Ausgaben erlauben, als ihre Volkswirtschaft an Leistung hervorbringt.

Nach meiner Vermutung liegt das Problem im politischen System der Demokratie, wie es heute praktiziert wird. Die demokratischen Wähler zwingen ihre Politiker fortlaufend, sie mit ihrem eigenen Steuergeld zu bestechen (jawohl bestechen!). Und wenn nicht genug Geld in der Kasse ist, zapft man den Kapitalmarkt an. Gewählt werden nur Parteien und Politiker, die den Wählern mehr Geld aus der Staatskasse versprechen als andere. Wer glaubhaft eine Konsolidierungspolitik der Staatsfinanzen verspricht, scheitert am Wähler. Im Vergleich zu diesem Systemkonflikt spielen alle anderen Faktoren kaum eine Rolle. „It’s the people, stupid!“ -- So könnte man Bill Clintons alten Wahlslogan abändern, denn das grundlegende Problem sind nicht die Politiker oder die Banken oder die Globalisierung oder die isländischen Vulkane, sondern wir -- die Wähler.

Einen wesentlichen Grund erkannte der deutsche Ökonom und Finanzwissenschaftler Adolph Wagner bereits im 19. Jahrhundert. Er sprach vom „ehernen Gesetz der wachsenden Staatstätigkeit“. Wagner, der als politisch Konservativer für einen Ausbau der Staatsaufgaben in den Bereichen Sozialpolitik und Innovation plädierte (man bezeichnete ihn als „Staatssozialisten“); hielt den kontinuierlichen Anstieg der „Staatstätigkeit“ für eine gute Sache. Aber dieser Mann plädierte zugleich gegen eine Populärdemokratie, die jedem Staatsbürger das gleiche Wahlrecht gibt. Das heißt, er glaubte an die vernünftige Ausgabenpolitik eines Obrigkeitsstaates.

Wagner starb im Jahr 1917, ehe es in den meisten Industriestaaten ein vollständig demokratisches Wahlrecht gab. Deshalb kannte er nur moderne Staaten, die vor 1914 (also in Friedenszeiten!) etwa 10-15 Prozent des BIP durch die Staatskassen schleusten. Heute sind wir bei 50-60 Prozent, und das im tiefsten Frieden! (Denn die „kleinen“ Kriege in Afghanistan und anderswo fallen finanziell wenig ins Gewicht.)

Wofür werden diese Mittel verwendet? Zum Teil für die Personal- und Pensionskosten im öffentlichen Dienst. Aber die höchsten Steigerungsraten finden wir bei den Transferzahlungen für Arbeitslose und Arme, für die öffentlichen Gesundheitssysteme und für die Altersversorgung. Hinzu kommen die Steuergeschenke für mittlere und hohe Einkommen und schließlich die Zinsen für die Staatsschuld. Die Steuergeschenke gehen an politisch einflußreiche Minderheiten mit besten Verbindungen zur Politik (und cleveren Steuerexperten). Doch hinter den exorbitanten Transferzahlungen steht der Mechanismus der Demokratie: Wir wählen Euch nur, wenn wir unseren „gerechten“ Anteil an den öffentlichen Ausgaben bekommen. Das ist die Devise.

Im Mittelpunkt steht das fatale Wort von der Gerechtigkeit („soziale Gerechtigkeit“, „Gerechtigkeit der Generationen“, „gerechte Verteilung zwischen arm und reich“ – und wie die vielen politischen Formeln sonst heißen mögen). Weil keiner akzeptiert, was der politisch-ideologische Gegner für „gerecht“ hält, wird von einer Wahl zu anderen immer mehr Geld verteilt, auch wenn es in der Staatskasse gar nicht vorhanden ist.

Was bedeutet das für unsere aktuelle Lage? Ich vermute, daß Griechenland und einige andere europäische Demokratien (vor allem im südlichen Europa) von dieser chronischen Krankheit der Staatsfinanzen besonders stark betroffen sind, weil sie im Vergleich zu ihrem wirtschaftlichen Wohlstand viel zu wenig Steuern einnehmen (und keine üppigen Bodenschätze oder anderen Geldquellen haben). Diese Staaten sind weder fähig noch willens, die Reichen und die Wohlhabenden „angemessen“ (nämlich effizient) zu besteuern. Aber machen wir uns nichts vor! Die fatale Schere zwischen demokratischen Ansprüchen und der realen Leistungsfähigkeit der Staatskassen ist in beinahe allen hochentwickelten Anspruchsgesellschaften die gleiche. Überall wollen die Wähler von ihren Politikern bestochen werden, obwohl nicht genug Geld vorhanden ist.

In diesem Sinne sind wir alle Griechen – wenn auch prozentual etwas weniger als die echten Hellenen am südlichen Rand Europas.

 

 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Freigeist

@Ebenherz
Haben Sie schon mal eine Immobilie gebaut?
Wenn ja, dann wissen Sie, welche Menge an Vorschriften man einhalten muss. Es wird sogar die Dachform nebst Dachneigung zwingend vorgeschrieben. Über all diesem Ärger könnten einem die Haare ausfallen. Der Bürger lässt sich dies alles gefallen, trotz Demokratie, dies ist unglaublich. Wir brauche eine Entmistung unserer Vorschriften und in den Schulen mehr Aufklärung über wirtschaftliche Zusammenhänge um populistische Politiker zu demaskieren. Der Fall Griechenland hilft derzeit vielleicht zu besseren Einsichten in der trägen Bevölkerung.

Gravatar: P.S.

Dieser ganze organisierte Schwachsinn bricht zusammen.

Aber vielleicht kapieren´s die Leute dann mal:

a) Es gibt keine Demokratie in Deutschland

Deutschland hat nicht mal eine Regierung, nur eine Verwaltung. Siehe

GG Art. 133

Der Bund tritt in die Rechte und Pflichten der Verwaltung des Vereinigten
Wirtschaftsgebietes ein.

b) Es gibt kein ewiges Wirtschaftswachstum auf einem beschränkten Planeten

Das Schuldgeldsystem hat nur einen Sinn.
Die Bevölkerung maximal auszuplündern ohne dass sie es merken.
Sie merken nicht mal dass sie sich dabei selbst zerstören.

Gravatar: Ebenherz

Ich stimme Ihnen zu, und moechte es drastischer ausdruecken. Die meisten Menschen koennen Zusammenhaenge gar nicht erkennen, und duerfen doch waehlen. Das ist fatal.
Um diese blinde Herde, die nur dem gut gefuellten Trog hinterher laeuft, hat sich eine Art Staats-Industrie entwickelt. Die Parteien in diesem staendig wachsenden Betrieb beschaeftigen sich hauptsaechlich mit dem Problem der Verteilung von Geldern. In dieser Frage kann man die CSU nicht mehr von der Linkspartei unterscheiden. Wie Werte entstehen sollen, kuemmert scheinbar niemanden mehr.
Der Staat unterbaut sich selbst mit immer mehr Verwaltung, auf deren riesiger Flaeche Steuergelder versickern ohne Chance auf den geringsten Mehrwert.
Dies alles weniger um den Verwaltunsaufwand bewaeltigen zu koennen,- das ist allenfalls der vorgeschobene Grund. Vielmehr hat der einmal entfesselte Staat die Neigung sich auszubreiten und seine Kontrolle staendig zu erweitern. Das verfestigt die darueberliegenden Strukturen und bildet ein Fangnetz fuer hoehere Beamte, wenn sie einmal fallen sollten.
Der Buerger wird geknechtet von diesem Apparat, so wie er auch Almosen von ihm empfaengt.
So ist das Leben ueberschaubar. Wozu Ideen und Eigeninitiative.

Gravatar: Otto

@ Adolescent

Hervorragend. Zwei Dumme, ein Gedanke.
Das Buch, das Sie erwähnen, ist die deutsche Übersetzung des Titels von Hans-Hermann Hoppe, den ich nannte.

Gravatar: Adolescent

Ein hervorragender Artikel!
Ich kann jedem, der sich näher für das Problem interessiert nur das Buch "Demokratie, der Gott der keiner ist" ans Herz legen.

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