SPD-Spitzenkandidat Albig steckt in der Zwickmühle

Nord-SPD zwischen Glücksspiel-Moral und Steuer-Moneten

Veröffentlicht:
von

So ist das, wenn man sich auf dünnem Eis bewegt: Man überschätzt die Tragfähigkeit des ohnehin glatten Eises, bricht schnell einmal ein und kämpft dann bei Eiseskälte verzweifelt um Halt. Den sucht die SPD in Schleswig-Holstein derzeit vergebens, auch weil sich sogar bei den Genossen manchmal jeder selbst der Nächste ist.  

 

Seit Jahren bekämpft die Partei mit ihrem Fraktionsvorsitzenden Ralf Stegner im Landtag vehement die von der schwarz-gelben Landesregierung mittlerweile verabschiedete Modernisierung des Glücksspielgesetzes mit einer kontrollierten Marktöffnung und der Erlaubnis von Online-Wetten und Online-Poker. Anders als für den neuen Glücksspielstaatsvertrag der übrigen 15 Bundesländer (E-15) liegt für das Kieler Modell längst die Notifizierung der Europäischen Kommission vor. Und Unternehmen der Branche sind auf Basis des neuen Gesetzes, das zum 1. März 2012 in Kraft tritt, dabei, im Land zwischen den Meeren Niederlassungen zu gründen - und lassen damit ihren Ankündigungen vom Frühjahr, genau dies nach der Verabschiedung des Glücksspielgesetzes durch den Kieler Landtag zu tun, Taten folgen. Dabei profitieren auch die heimischen Sportvereine von der neuen Gesetzgebung: bwin beispielsweise ist ab 2012 offizieller Teampartner des THW Kiel, das Stadion des traditionsreichen VfB Lübeck trägt künftig den Namen „PokerStars.de Stadion an der Lohmühle“. Und genau hier brach das Eis für die SPD: Wolfgang Baasch, Landtagsabgeordneter der Sozialdemokraten und zugleich Aufsichtsrat des Lübecker Viertligisten, spricht zwar selbst von zwei Herzen, die in seiner Brust schlagen, gleichwohl muss er sich den Vorwurf der Doppelmoral gefallen lassen. Baasch habe, so FDP-Frontmann Wolfgang Kubicki am Rande der Landtagsdebatte zu den Gefahren der Geldwäsche durch ein neues Glücksspielgesetz, ihn aktiv um Unterstützung gebeten, als es darum ging, einen Sponsor aus dem Bereich der Wettanbieter für den klammen Nordclub zu finden. Gleichzeitig wehre er sich als SPD-Abgeordneter nachdrücklich gegen die Öffnung des Marktes, die solche Sponsorverträge erst ermögliche. Im Gespräch mit dem Norddeutschen Rundfunk spricht Kubicki von „Verlogenheit“.

 

Und nicht nur Baasch hat sich verirrt zwischen Markt und Moral, zwischen einträglichen Geschäften für Sportvereine und kommunalen Steuereinnahmen einerseits und dem moralisch bedrohlichen Gefahrenszenario, das die SPD gerne beschreibt. Auch der Kieler Oberbürgermeister und SPD-Spitzenkandidat zur Landtagswahl, Torsten Albig, legt den Genossen unerwünschte Geschenke unter den Weihnachtsbaum: Er buhlt offensichtlich um die Gunst der Branche und um die Ansiedlung von Unternehmen aus dem Glücksspielsektor - was als Oberbürgermeister der Landeshauptstadt zu seinen Pflichten zählt. Gleichwohl wäre er gut beraten, dabei auch die Linie der Partei, für die er im Mai die Staatskanzlei erobern will, einzuhalten. Nach einem Bericht des Hamburger Abendblattes will Albig nämlich abweichend vom SPD-Kurs nun „einen Anbieter von Sportwetten und Glücksspiel im Internet als Sponsor gewinnen. Nach Angaben eines Sprechers der Stadt Kiel hat Albig zudem einem privaten Lottounternehmen Unterstützung bei einer Ansiedlung angeboten.“ Demnach verhandle man mit dem Sportwettenanbieter betfair über das Sponsoring einer Segelveranstaltung, außerdem habe Albig „in einem Brief dem Lottounternehmen Faber Hilfe bei einer Ansiedlung in Kiel angeboten.“

 

Bedenkt man, dass die SPD bislang stets der Landesregierung die Rolle des Geisterfahrers in Sachen Glücksspiel zugedachte, wird nun klar, wer tatsächlich die falsche Spur erwischt hat. Welche SPD-Haltung in Sachen Glücksspielgesetz nun gilt bei den Sozialdemokraten, lässt sich derzeit kaum erkennen. Ist es die Totalverweigerung à la Stegner, die die Landtagsfraktion an der Förde seit Monaten propagiert? Oder ist es die Zweigleisigkeit der Herren Albig und Baasch, die das Angebot von Glücksspiel, Online-Wetten und Co. grundsätzlich verteufeln, Steuern und Sponsoringgeldern der Branche aber in freudiger Erwartung entgegen sehen. Wolfgang Kubicki und der stellvertretende CDU-Fraktionschef im Landtag, Hans-Jörn Arp, machten ihrem Ärger über diese Haltung bereits Luft: „Seit Monaten müssen wir wegen unseres europarechtskonformen Glücksspielgesetzes von SPD-Landes- und Fraktionschef Stegner übelste öffentliche Verunglimpfungen ertragen. Selbst auf Nachfrage von Journalisten hat sich SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig von diesen Entgleisungen seines Parteivorsitzenden nicht distanziert. Und jetzt wird bekannt, dass Albig selbst private Glücksspielanbieter für Kiel gewinnen will. Scheinheiliger geht es nicht, Nord-SPD.“

 

Nun stellt sich nicht nur die Frage, wer den Takt vorgibt im alles andere als harmonischen SPD-Ensemble an der Küste, sondern auch, was die nächsten Monate bringen. Albig müsste, sollte er als Ministerpräsident die CDU/FDP-Regierung tatsächlich ablösen, seine derzeitigen Bemühungen um die Ansiedlung von Branchengrößen nämlich ad absurdum führen. Wen er heute noch umwirbt, dem müsste er im Sommer die Tür versperren. Denn mehr als einmal hat sein Landes- und Fraktionsvorsitzender Ralf Stegner für die SPD  angekündigt, das Glücksspielgesetz für Schleswig-Holstein nach einem Regierungswechsel in Kiel rückgängig machen zu wollen und dies nach Agentur-Meldungen erneut bekräftigt. Albig steckt in der Zwickmühle: Wie erklärt er dann seinen Kielern und allen Bürgern Schleswig-Holsteins den Verlust von Steuereinnahmen, Sponsorengeldern und Arbeitsplätzen, für die er noch Monate zuvor gekämpft hat?

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Keine Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang