Snowden und das Ende des staatlichen Gewaltmonopols

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Sind die staatlichen Geheimdienste die einzigen Institutionen, die ihre Bürger überwachen? Man kann eine Diversifizierung dieser Aufgabe beobachten. Der gegenwärtige "Skandal" um Snowden ist blanke Augenwischerei. Es geht gar nicht mehr nur darum, einen Verrat als Information der Öffentlichkeit auszugeben, sondern um eine Verschleierung des Zerfalls von Gewaltmonopolen. Diese waren beim Staat, also nur einem Akteur, möglicherweise besser aufgehoben, weil sie da besser kontrolliert werden konnten als dies bei den vielen Akteuren in Zukunft der Fall sein dürfte.

Geheimdienstliche Arbeit ist vor allem eines: geheim. Jemand, der beim Geheimdienst arbeitet, dürfte das wissen. Wenn jemand freiwillig zum Geheimdienst geht, stimmt er der Geheimhaltung zu, davon ist auszugehen. Das ist auch die Grundlage des Vertrauens, das der Geheimdienst (zunächst einmal) in ihn setzt. Verrät er Geheimnisse, ist er ein Verräter. Snowden ging, nach allem, was man weiß, sogar schon mit der festen Absicht des Verrats zum Geheimdienst. Es ist bezeichnend, dass dieser Begriff in der öffentlichen Diskussion in Deutschland kaum eine Rolle spielt, als wäre dieses Land eine Insel der Seligen. Man nennt die Dinge nicht beim Namen und verschließt die Augen vor der Realität. Der Ausdruck „Whistleblower“ ist ein reiner Euphemismus, mit dem bewegte Bürgerrechtler glauben, aus Leuten wie Snowden Propheten der Freiheit machen zu können. Verräter wie Snowden dürften die Sache eher verschlimmern.

Dass Snowden so lange Geheimnisse sammelte und jetzt über einen langen Zeitraum hinweg ausplaudert, kann eigentlich nur zwei Ursachen haben: ein unerschütterliches Vertrauen des Geheimdiensts in seine Mitarbeiter (eher unwahrscheinlich, da interne Kontrollen bei Geheimdiensten üblich sind) oder ein (vorbestehendes oder nachträgliches) stillschweigendes Einverständnis in seine Machenschaften, die damit einen Zweck erfüllen (z. B. Neugestaltung und sicherlich Effizienzsteigerung der Geheimdienstarbeit als Folge des „Skandals“, „Information“ der Bürger über die Möglichkeiten des Geheimdiensts, Beruhigung durch politische Scheinlösungen und Ablenkung vom ähnlich hohen Überwachungspotential privater Firmen wie Ebay, Facebook und anderer, die ohnehin mit dem Geheimdienst zusammenarbeiten). Es sind längst nicht mehr nur die Geheimdienste, welche die Bevölkerung überwachen. Wie beim Militär durch die privaten Söldnerarmeen, so ist auch in diesem Bereich durch die genannten Firmen das staatliche Monopol durchbrochen. Die Diskussion um Snowden lenkt von dieser Entwicklung ab. Manche Libertären werden hier zwar Freiheit wittern und frohlocken. Ich glaube jedoch, sie täuschen sich.

Im Grunde genommen kommt hier eine Entwicklung zum Tragen, die man aus dem Mittelalter und heute aus Ländern der Dritten Welt kennt. Diese Dezentralisierung entspricht den Lokalfürsten und Warlords in bestimmten „failed states“. Auch die Mafia als eine feudalistische Art der Machtausübung ist strukturell nicht weit weg davon. Die Macht ist nicht mehr ausschließlich in staatlicher Hand, wird zwar formal geteilt, was abstrakt gesehen erfreulich ist, aber die gegenseitige Kontrolle der Gewalten wird damit schwieriger oder fällt gleich weg. Die Ausübung der Gewalt wird damit zunehmend willkürlich. Ein paradoxer Vorgang: Neue Technik könnte in den westlichen Staaten zu einem gesellschaftlichen Rückschritt führen. Die über diese Technologie verfügen, werden das begrüßen. Die mediale und politische Konzentration auf die NSA kommt ihnen gelegen.

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