Sind die Menschenrechte westlich?

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Der Sozialphilosoph Hans Joas stellt diese Frage im Titel seines neuesten Büchleins. Schon mit dem Inhaltsverzeichnis wird klar, wie er sie beantworten will.

Die Einleitung widmet er der „Gefahr des westlichen Triumphalismus“. Welcher Triumphalismus, fragt man sich angesichts eines Westens, der so verunsichert ist, dass er nicht mal mehr weiß, ob er Männlein oder Weiblein sein will und dabei ist, die emanzipatorischen Errungenschaften der kulturellen Transformation der letzten Jahrzehnte und ihrer rechtlichen Positivierung in einem beispiellosen Werterelativismus preis zu geben.

Von Triumphalismus ist dann auch gar nicht die Rede, sondern Joas referiert die Debatte, ob die Menschenrechtsgeschichte, er nennt es „Sakralisierung der Person“ seit den Menschenrechtserklärungen des 18. Jahrhunderts, der „Allgemeinen Erklärung der menschenrechte von 1948“, der Helsinki- Konferenz von 1975 oder gar vor zweitausend Jahren, in der sogenannten Achsenzeit begonnen hat, also jüdisch- christliche Wurzeln hat.

Die Abschaffung der Folter und der Sklaverei sind für Joas die Hauptmerkmale dieser Menschenrechtsgeschichte. Einen dritten, unverzichtbaren Faktor lässt er völlig unbeachtet, die Emanzipation der Frau.

Alle drei Prozesse haben eindeutig in der westlichen Welt begonnen und sind hier auch in die Gesetzgebung eingegangen. Joas kann das nicht leugnen. Es hat dann auch etwas Verkrampftes, dass er versucht, Beweise zu finden, dass der Westen nur scheinbar etwas mit diesen Erfolgen zu tun hat.

Joas holt dabei gewaltig aus, geht bis in die Zeit vor zweitausend Jahren zurück.

Nicht nur in der Bibel hätten sich Proklamationen der Sakralität von Personen gefunden, sondern auch bei Buddha in Indien und bei Konfuzius in China. Im Islam gibt es offenbar keinerlei entsprechende Hinweise, was Joas mit Schweigen übergeht.

Sein Hauptargument, warum diese Ideen lange Zeit kulturell so schwach waren, dass sie sich nicht durchsetzen konnten, ist mehr als billig. Es waren in der Geschichte der Menschheit immer Einzelne und kleine Gruppen, die sich für die Menschenrechte einsetzen, häufig um den Preis ihres Lebens. Erst als die Emanzipationsbewegung größere Massen erfasste, gelang es, die Idee der Sakralität des Menschen zum Gesetz werden zu lassen.

Damit ist auch das zweite Argument von Joas erledigt, der beklagt, dass nach der Abschaffung von Folter und Sklaverei, beides von staatlichen Institutionen in den Kolonien weiter betrieben, bzw. geduldet wurde.

Es sind eben niemals Staaten oder politische Institutionen gewesen, die Emanzipation und Befreiung aus der Knechtschaft vorangetrieben haben, sondern von Einzelnen inspirierte soziale Bewegungen, die, wenn sie eine kritische Masse erreicht haben, nicht mehr ignoriert werden konnten.

Staaten, das kann man aktuell an den Fehlentwicklungen in der EU beobachten, sind per se keine Hüter von Freiheit und emanzipatorischen Errungenschaften, sondern immer wieder bereit, beides auf dem Altar der Machterhaltung zu opfern. Unser freiheitsliebender Dichter, Friedrich Schiller hat das auf den Punkt gebracht:

„Die ganze Weltgeschichte ist ein ewig wiederholter Kampf der Herrschaft und der Freiheit“.

Nimmt die kritische Masse derer ab, die bereit sind, Freiheit und Menschenrechte zu verteidigen, können sie auch wieder verloren gehen, selbst wenn sie gesetzlich verankert sind.

In den Schlusskapiteln wird Joas Tunnelblick, der leider typisch für allzu viele westliche Intellektuelle ist, noch deutlicher. Er beklagt ausführlich, dass westliche Staaten in der Geschichte des Kolonialismus immer wieder gegen die Menschenrechte verstoßen haben. Wie wahr. Unter anderem führt Joas Lager und Zwangsarbeit an.

 

Gleichzeitig bringt er es fertig, über das größte System von Zwangsarbeitslagern, den Gulags in der Sowjetunion und China, kein Wort zu verlieren, obwohl beide Staaten die Menschenrechtserklärung von 1948 anerkannt haben. Europa, d.h. seine Meisterdenker, spalten sich eben nicht nur von seiner Kolonialgeschichte, sondern von der Geschichte des Kommunismus ab.

Was schlimmer ist, möchte ich dahin gestellt sein lassen. Aber eine Geschichte, die nicht einmal mehr gedacht wird, hält unerwartete böse Überraschungen bereit. Sie verschwindet ja nicht einfach, sondern wirkt eben unbeachtet weiter.

So kommt es , dass Joas in seiner finalen Argumentation auf das allseits strapazierte Beispiel Abu Ghraib und Guantanamo als Beispiele für Menschenrechtsverletzungen verweist und dabei das Schicksal der inhaftierten Terroristen mit dem der Sklaven vergleicht, ohne nur ein Wort über die Schrecken der kubanischen Gefängnisse zu verlieren, in denen Menschenrechtsaktivisten verfaulen und verrecken.

 

Hans Joas „Sind die Menschenrechte westlich?“ München, 2015

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Thomas Rießler

Die Menschenrechte haben zur Entkriminalisierung homosexueller Handlungen und zur verpflichtenden Akzeptanz beliebiger Geschlechtsidentitäten (Gender-Mainstreaming) geführt. Es ist also absurd, einen christlichen Hintergrund der Menschenrechte sehen zu wollen. Gott hat sich zwar den Israeliten als der Gott offenbart, der sie aus dem Sklavenhaus Ägypten herausgeführt hat. Alleine schon deshalb ist Sklaverei klar gegen jüdische und christliche Grundsätze. Bezüglich Homosexualität und Transgender sieht die Sache allerdings anders aus, z.B.: „Bei einem Mann sollst du nicht liegen, wie man bei einer Frau liegt: Es ist ein Gräuel“.
Den Menschenrechten liegt ein Menschenbild zugrunde, das keine Sünde kennt, das den Menschen auf ein gottgleiches Podest stellen will. Wehe, wenn man einem solchen Bruder seine Sünden vorhält. O Freunde, nicht diese Töne!

Gravatar: Adorján Kovács

Vielen Dank für diesen Hinweis auf den leider vielerorts grassierenden Relativismus von Sozial- und anderen Geisteswissenschaftlern. Es ist unerträglich, wie gesellschaftlicher Fortschritt und politische Freiheit dadurch relativiert werden, dass die abendländischen Wurzeln verschwiegen werden. Buddha? Konfuzius? Alles schön und gut, aber in praxi kann man heute noch wie vor 1000 Jahren sehen, wozu deren Auffassungen geführt haben. Herr Joas gehört zu denen, die zum Selbstmord unserer Kultur beitragen - aus besten Absichten, die aber, wie so häufig, die falschen sind.

Gravatar: P.Feldmann

Danke an Frau Lengsfeld für die kritische Besprechung eines Buches, das Excerpt einer 68-er Generation zu sein scheint in seinem einseitigen Neglect, in seinem pubertierenden Daueraufstand gegen den Papa Abendland. Der von Papst Benedikt vor mehr als 5 Jahren diagnostizierte (Werte) Relativismus ist in der Tat DAS "Geschenk" jener Stürmer-Generation, die sich selbst als Befreier der Gesellschaft bis heute in Sexualerziehung mit sämtl.Korollarien erlebt.
Scheinbar verkennt Joas auch vollkommen die Dimensionalität der Universaltität der Menschenrechte, die ich nicht als "Überhöhung des Menschen", sondern als Setzung des Menschen in seine eigentliche RElation sehen würde. Zudem zeichnen sich diese nicht negativ (gg. Sklaverei etc.), sondern v.a. positiv (FÜR Freiheit, Gleichheit, Selbstzweckhaftigkeit jedes MEnschen) aus- das ändert die Blickrichtung erheblich und sperrt gg. einen Relativismus. Und es gilt dann auch die Basis für diese Rechte zu benennen: diese ist die Gottesebenbildlichkeit des Menschen, die in JUdentum u. vor allem Christentum maßgeblich wurde. Der Mensch muss nicht "sakralisiert" werden (dies wäre nur notwendig, wenn man im Grunde Materialist oder Defätist ist), sondern er ist genuin konstitutiv in seinem Wesen mehr als das Faktische, er ist Transzendenz und Immanenz.
Es wäre zu widerlegen, ob gerade die Werte der Universaltität der Menschenrechte wie auch die Möglichkeit einer Säkularisation und auch die Entwicklung freier Forschung (aus einer Logophilie im Christlich-Jüdischen, die ihr Gegenteil im Islam findet) - ob all dies ohne Christentum mit seiner "MEnschwerdung Gottes", die das Thema wiederholt, nicht unmöglich gewesen wäre. Der Buddhismus hat - bei aller HOchschätzung, die ich ihm entgegenbringe- all dies NICHT hervorgebracht. Der Daoismus u.der Konfuzianismus wollte "die Knochen stärken u. den Geist schwächen"- sprich: die Menschen mit den Umständen versöhnen und diese stabil halten.
Einzig im christlich jüdischen Abendland ist eine Wertschätzung des MEnschen und des Geistes entwickelt worden, die universell gilt. Auch diese Universalität (die das Judentum in dieser Form nicht entwickelt hat, weil es immer wieder Religion an die Grenze eines auserwählten VOLKES band) ist christliches Stigma!
Leute wie Joas wären gut beraten, den GEstus der Pubertät, des Aufstandes gg. die eigenen Quellen , kritisch zu hinterfragen und echte Intellektualität zu entwickeln!

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