Sind die Grünen eine echte "Dagegen-Partei"?

„Die Grünen entwickeln sich zur »Dagegen-Partei«“.
Unter diesem Motto wird von Teilen der Presselandschaft, die eigentlich im Gesamtbild rot-grün durchaus zugetan ist*, derzeit über die Grüne Partei diskutiert.

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Das Schlagwort „Dagegen-Partei“ kann man verschieden interpretieren und bewerten.

Dagegen sein aus prinzipiellen Gründen
Die Ablehnung eines politisch-staatlichen Großprojekts kann in einer prinzipiellen Skepsis gegenüber politischen Wunschvorstellungen und Megaprojekten begründet sein. Gegen Versprechungen zu sein, die unwahrscheinlich einzulösen sind, ist nicht destruktiv, sondern gerade durch den Einspruch konstruktiv. Es ist in einem Sinne des Wortes auch konservativ, da es wirtschaftliche Vorsicht und Bodenständigkeit präferiert gegenüber dem politischen Glauben an staatlich konkret planbaren Fortschritt.

"Dagegen" aus taktischen Gründen
Man kann auch aus machtpolitisch-taktischen Gründen gegen etwas sein. In diesem Fall hat man keine grundsätzlichen oder konkret inhaltlichen Bedenken, sondern ist dagegen, weil es einen wahltaktischen bzw. machtpolitischen Nutzen verspricht. Auch solche taktischen Überlegungen sollen in der Politik immer wieder eine Rolle spielen.

Bürgerlichkeit ist (u.a.) die Vorsicht vor Übertreibungen

Die grundsätzliche Skepsis und Zurückhaltung gegenüber staatspolitischem Aktionismus ist eine bewährte liberale und konservative Tugend. Wie der liberal-konservative Staatsmann Barry Goldwater so philosophisch und zugleich politikpraktisch formulierte: Ein Konservativer muss nicht zwingend eine [politische] Lösung zu jedem Problem anbieten, das von einer anderen politischen Seite als dringend einer politischen Lösung bedürftig dargestellt wird. [Freie Übersetzung durch den Autor]


Analyse

Im Fall der Schlagzeilen „Werden die Grünen zur Dagegen-Partei?“ wird der Begriff eher negativ verwendet. Als Vorstellung des „Blockierers“, des destruktiven „Nein-Sagers“, der subjektiv als „gut“ bewertete Projekte ablehnt (Wenn Artikelschreiber das von der Ablehnung betroffene Projekt subjektiv gutheißen, kann das natürlich ein Grund für die außergewöhnlich grünen-kritischen Artikel sein).

Der „Blockierer“ hat keinen guten Ruf in der deutschen politischen Kultur.

Der Anlass für diese ungewöhnliche Schelte war: Die grünen Delegierten haben am Samstag, 20. November 2010 auf ihrem Parteitag in Freiburg mit knapper Mehrheit gegen eine Bewerbung der Stadt München für eine Austragung der Olympischen Spiele 2018 gestimmt.

Spricht nun die Ablehnung in diesem konkreten Fall für eine allgemein veränderte Haltung der Grünen gegenüber politischen Großprojekten? Für eine neu gewonnene bürgerliche Skepsis gegenüber staatlich finanzierten Interventionen im Namen von Sonderinteressen und ideologischen Machbarkeitsvorstellungen?

Dafür eine kurze Betrachtung des konkreten Falls:

Art der Entscheidung:

Die Ablehnung von „München 2018“ durch die Parteibasis erfolgte (sogar) gegen die Befürwortung durch die Grünen-Parteispitze. Die Wahl war aber innerhalb der grünen Partei keine Richtungsentscheidung zwischen bürgerlicher Skepsis und grün-ideologischem Großprojekt (oder andersherum). Ablehnung und Befürwortung beriefen sich u.a. auf das gleiche prinzipielle Argument: Die ökologische Ausrichtung des Projekts. Für die einen war es subjektiv zu "unökologisch", für die anderen war es ein "ökologisches" Großprojekt. Die „München 2018“-Abstimmung war also eher die Wahl zwischen zwei originär im grünen Lager vorhandenen Sichtweisen bzw. Schattierungen. Beide argumentierten hauptsächlich nicht bürgerlich, sondern ganz betont grün. Daher stimmten auch fast ebenso viele Grüne am Parteitag – die Abstimmung war knapp – für das Großprojekt "grünes" Olympia und würden für solche subjektiv guten Projekte auch viel Steuergeld ausgeben.

Auch das Olympia-Projekt selbst wirbt mit seiner „grünen“ Ausrichtung. Der nicht unbegründet erhoffte Werbeeffekt, der mit einer "grünen" Ausrichtung/Darstellung verbunden wird, spricht für die Aktualität, das "In-Sein" grüner Ideen als kulturelles Phänomen.

Angegebene Gründe für die Entscheidung:

Die Ablehnung wird ökologisch, mit fehlender Transparenz bei der Organisation und – man bemerke: auch mit den immensen Kosten (und der zu erwartenden „Kostenexplosion“) eines solchen Projekts begründet. Diese Kosten werden aber vor allem deshalb kritisiert, weil dadurch das Geld für andere staatliche Projekte fehle. Über den Sinn dieser anderen staatlichen Projekte lässt sich dann wieder allgemein und fallspezifisch debattieren. Eine prinzipielle Skepsis der Grünen gegenüber staatlichen Großprojekten und Großvisionen (wegen Unwirtschaftlichkeit oder der zweifelhaften Zielerreichung, etc.) ist nicht festzustellen.

Die Grünen zeigten mit der Entscheidung ein wenig ihre früher öfter angewendete Praxis, politische Leitvorschläge der Parteispitze nicht immer abzusegnen. Inhaltlich steckt hinter der Ablehnung (wie auch hinter der Befürwortung) eine original „grüne“ subjektiv-idealistische Motivation.


Kommentarteil

Die Ablehnung von „München 2018“ ist damit einer von etlichen Belegen gegen die These, dass die Grünen ihre Forderungen/Inhalte in ihren Kernthemen abmildern würden oder gar inhaltlich zur bürgerlichen Partei geworden wären. (In der Form, also in der Organisation und dem Auftreten ihrer Parteispitze, sind sie es durch ihre Etablierung in der Regierungsparteienstruktur mit der Zeit natürlich geworden.)

Sind die Grünen nun eine „Dagegen-Partei“? Sind sie inhaltlich bürgerlich geworden? Oder weder noch - eine Protestpartei des gehobenen Bürgertums mit (subjektiv) weltverbesserndem Anspruch?

Meine Einschätzung: Die Grünen sind keine Dagegenpartei (im Guten oder Schlechten); da sie weiterhin ihren idealistischen und ideologischen Positionen entsprechend für viele Dinge sind. Die Grünen sind in vielen Fällen nicht gegen, sondern oft für Vorschläge, die für den einen paternalistisch sind, für den anderen fortschrittlich. Staat und aktive Politik spielen für die Grünen weiterhin eine große Rolle. In grüner Projektpolitik wie in ihrer zusammenhängenden Programmatik.

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* www.dfjv.de/fileadmin/user_upload/pdf/Politikjournalistinnen_und_Journalisten.pdf, S.13.

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