Silent leges inter monetas, oder: Für Notenbanken gibt es kein Gesetz.

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Das jüngste Urteil des EuGH zum Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB fand in Deutschland anders als in vielen anderen Ländern Europas, die dieses Urteil eher mit Genugtuung aufnahmen, ein deutliches und überwiegend kritisches Echo.

 

Faktisch bescheinigte das oberste europäische Gericht der EZB das Recht, in unbegrenztem Umfang Staatsanleihen aufzukaufen, solange damit keine direkte und offizielle Abnahmegarantie für die Staaten, die solche Staatsanleihen ausgäben, verbunden sei. Eine solche Garantie griffe auch dann, wenn für solche Anleihen gar kein normaler Markt mehr vorhanden ist, etwa wegen zu hoher Risiken und zu niedriger Zinsen. Die hier ausgesprochene Einschränkung der Anleihekäufe ist aber so vage formuliert, daß sie in der Praxis weitgehend bedeutungslos sein wird. Letztlich obliegt es nun Draghi und den anderen Mitgliedern des Rates der Zentralbank zu entscheiden, wie weit sie ihr selbst geschaffenes Mandat ausdehnen wollen. Sie wissen nun: der EUGH wird ihnen niemals in den Arm fallen.

 

Dem Urteil des EuGH ist eine gewisse Konsequenz und Praxisnähe nicht abzusprechen. Währungsunionen unterschiedlicher und wirtschaftlich heterogener Staaten lassen sich nur über eine weitgehende Transfergemeinschaft, also eine dauerhafte und massive Subventionierung der schwächeren Staaten durch die stärkeren aufrechterhalten oder eben auf dem Umweg über eine monetäre Staatsfinanzierung, die zumindest in Krisenzeiten greift. Das hat man in Luxemburg begriffen und entsprechend gehandelt. Allerdings war die Währungsunion im Maastricht-Vertrag so angelegt, daß eine solche Finanzierung einzelner Staaten durch die EZB gerade ausgeschlossen werden sollte. Das Bundesverfassungsgericht hatte das in seinem Urteil vom Oktober 1993 noch einmal ausdrücklich bekräftigt. Diese juristischen Einschränkungen hat Luxemburg jetzt vom Tisch gefegt.

 

Wie wird Karlsruhe darauf reagieren? Eigentlich hatte es sich schon bei der Verweisung der einschlägigen Klage an den EuGH darauf festgelegt, die EZB an die juristische Leine zu legen. Dazu fehlt ihm aber die Kompetenz, denn die EZB untersteht nicht seiner Jurisdiktion, sondern nur die deutsche Bundesbank. Karlsruhe könnte also allenfalls der Bundesbank untersagen, sich an den geplanten Kaufprogrammen zu beteiligen. Wird es den Mut haben, dies zu tun und damit die Währungsunion praktisch durch einen Federstrich aufzulösen? Das ist extrem unwahrscheinlich. Den Karlsruher Richtern wird nichts anderes übrig bleiben, als sich Luxemburg weitgehend zu unterwerfen und offen zuzugeben, daß es in zentralen europarechtlichen Fragen, die freilich implizit auch den Kern der Verfassungsordnung der Bundesrepublik berühren, eigentlich gar keine Zuständigkeit besitzt. Diese Kompetenz ist auf den EuGH übergegangen und selbst, wenn der EuGH sich nicht wirklich als Hüter des Rechtes, sondern als eine Instanz sieht, die aus eigener Kraft Recht (judge made law, wenn man so will) schafft, das die EU stärkt und die Nationalstaaten schwächt, kann man das nicht ändern. Pacta sunt servanda mag ein schönes Prinzip des Völkerrechtes sein, aber gar so genau sollte man es halt mit solchen Prinzipien dann auch wieder nicht nehmen. So hat man in Paris und Rom immer schon gedacht, auch in Berlin und Karlsruhe sollte man sich die notwendige Flexibilität aneignen, was dann freilich auch für die Anwendung von Brüsseler Vorschriften durch nationale Behörden ganz allgemein gelten sollte. Nichts dürfte in den nächsten Jahren notwendiger sein, als die stillschweigende Unterminierung des Brüsseler Dranges nach universaler Kontrolle durch eine Politik der stillen, aber durchaus nachhaltigen Verweigerung des Gehorsams im Alltag der Verwaltung. Gerechtfertigt wäre diese Haltung allemal. Spanische Beamte folgten in der Frühen Neuzeit vielfach dem Prinzip „Se obedece, pero no se cumple“, man gehorcht, aber ausgeführt wird es nicht. So sollte in Deutschland in Zukunft jeder guter Europäer denken, denn ein politisches System, das so willkürlich Recht setzt wie Brüssel, kann nur so zur Raison gebracht werden. Der Gang vor Gericht ist ja jetzt zwecklos geworden und wird es auf immer bleiben, egal ob es sich um Karlsruhe oder Luxemburg handelt. Hier wird niemals jemand die Versuche, die europäischen Verträge einseitig umzuinterpretieren, wirksam einschränken.

 

Doch zurück zur gegenwärtigen Lage. Der Staatsrechtler Carl Schmitt, der selbst gerne bereit war, extreme Maßnahmen von Regierungsorganen in vermeintlichen Notsituationen recht skrupellos zu rechtfertigen, hat einmal festgestellt: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Die Eurokrise seit 2010 hat gezeigt, daß in Europa die Souveränität in diesem Sinne nicht mehr bei den Nationalstaaten liegt, sondern bei den unterschiedlichen Organen der EU und ganz besonders bei der EZB. Faktisch ist die EZB zu einem zentralen Akteur in der Schuldenkrise geworden, der über die Zukunft von Regierungen und Staaten zu entscheiden vermag. Ein politisches Mandat, um solche Entscheidungen zu treffen, hat die EZB nie erhalten, sie hat es sich aber genommen und damit neue, auch normative Sachverhalte geschaffen, die jetzt vom EUGH juristisch ex post festgeschrieben wurden.

 

Dies ist ein sehr bemerkenswerter Vorgang, weil er zeigt, wie die Verfassung eines Vereinten Europa, das viele Vertreter der politischen Elite in Deutschland weiterhin um jeden Preis schaffen wollen, aussehen wird: Sie wird voraussichtlich nicht durch Volksabstimmungen oder durch offizielle Änderungen der europäischen Verträge geschaffen werden. Das hat schon in der Vergangenheit oft nicht funktioniert - jetzt ist dieser Weg wegen massiver Interessenkonflikte erst recht versperrt -, sondern einerseits durch Selbstermächtigungen der Organe der EU wie jetzt der EZB und durch politische Nacht- und Nebelaktionen und ad hoc-Vereinbarungen, die in Krisensituationen unter extremem Zeitdruck zustande kommen, wie dies für die Aufhebung der no bail out-Klausel des Maastricht-Vertrages galt. Nationale Parlamente nicken das dann vielleicht anschließend ab, nirgendwo mit größerer Einmütigkeit als im Bundestag, aber eigentlich handelt es sich um Rechtssetzungen unter den Bedingungen eines permanenten Ausnahmezustandes – denn die Eurokrise ist in teils latenter, teils offener Form zum Dauerzustand geworden - die sich nicht mehr unter Berufung auf normale demokratische Prozesse legitimieren lassen, sondern nur noch durch das Prinzip „Not kennt kein Gebot“ oder „salus Communitatis Europaeae suprema lex esto“.

 

Nun war es immer die Stärke der EU, daß ihre Entscheidungen mit einer sehr indirekten und relativ schwachen demokratischen Legitimation auskamen. Das System war und ist so stark selbstreferentiell, daß es von außen kaum in Frage gestellt werden kann. Das gilt im Prinzip auch noch heute. Es gibt keine europäische Regierung, die man wählen oder gar abwählen könnte, die entsprechenden Kompetenzen liegen bei der Kommission und beim Rat der Union, in dem die nationalen Regierungen vertreten sind. Jede nationale Regierung kann sich dabei hinter den Mechanismen des kollektiven Entscheidungsprozesses verstecken. Der Kommissionspräsident Juncker hat zwar in den letzten europäischen Wahlen formal die Rolle des Spitzenkandidaten eines lockeren und extrem heterogenen Zusammenschlusses nationaler Partei übernommen, aber sollte er irgendwo außerhalb seines immerhin für den Finanzmarkt bedeutenden Heimatlandes Wahlkampf gemacht haben, ist das jedenfalls niemandem aufgefallen und offenbar blieb seine Rolle als Spitzenkandidat auch den meisten Wahlberechtigten bis zuletzt ganz unbekannt, wie u. a. der Think Tank Open Europe nachgewiesen hat.[1] Auch hier ging es also eher um Vortäuschung von Demokratie, nicht um echte Demokratie, wie so oft in der EU.

 

Muß uns das stören? Hat sich die Demokratie als Staatsform im 21. Jahrhundert nicht vielleicht doch überholt, schon deshalb, weil sie seit der Französischen Revolution so stark an den Nationalstaat und seine kollektiven Identitätsentwürfe gebunden war, die, wie man uns versichert, ja heute obsolet geworden sind? Schließlich handelt es sich ja nur um ganz willkürliche Konstruktionen, so wie bei jeder Form von vermeintlicher historischer Tradition und bei allen spezifisch nationalen Gemeinsamkeiten. Das ist zumindest das, was uns Experten mit der richtigen Gesinnung - man denke an die famose Ulrike Guerot und ihre jüngsten Belehrungen ostmitteleuropäischer Politiker - weiß machen wollen. Wir wissen doch alle, daß die politische Kultur sagen wir in Dänemark ganz die gleiche ist wie in Frankreich und daß die Steuermoral in Italien genauso hoch ist wie in Schweden.

 

Oder wissen wir das vielleicht doch nicht? Ist der Nationalstaat vielleicht doch wichtig? Die jetzigen Vorkommnisse in Griechenland könnten einem da jedenfalls zu denken geben. Was immer man über Tsipras sagen mag – wer wollte bezweifeln, daß er wirtschaftspolitisch absurde Vorstellungen hat und ein verantwortungsloser, wenn auch am Ende vielleicht dennoch erfolgreicher Pokerspieler ist – seine Regierung besitzt eine demokratische Legitimation. Das gilt für seine Verhandlungspartner nicht. Sie sind wie Juncker nicht einmal als Entscheidungsträger auf EU-Ebene wirklich demokratisch legitimiert, erst recht aber nicht als Ersatz-Regierung für Griechenland. Sicher, Tsipras ist komplett inkonsequent, er will für sein Land die Vorteile des Euro retten, ohne dafür den notwendigen politischen und wirtschaftspolitischen Preis zu zahlen, das ist alles wahr, aber am Ende sehen wir hier dennoch den Fundamentalkonflikt zwischen der selbstreferentiellen Brüsseler Administration und dem demokratisch legitimiertem Nationalstaat alter Schule, einem Nationalstaat mit einer eigenen, in diesem Fall recht idiosynkratischen politischen Kultur und seinen spezifischen nationalen Mythen. Zu diesen gehört in Griechenland sicherlich auch die nicht ganz unberechtigte Vorstellung, immer Opfer fremder Mächte gewesen zu sein von der traumatischen Eroberung der Stadt Konstantinopel im Jahr 1204 durch westliche Kreuzritter über die Herrschaft der Osmanen bis zur Militärdiktatur der 1970er Jahre und jetzt der Troika, den Bürgerkrieg der späten 1940er Jahre nicht zu vergessen.

 

Was jetzt in Griechenland geschieht, ein Aufstand gegen Brüssel, das wäre, sagen wir in den Niederlanden oder gar in Deutschland einstweilen ganz unmöglich. Sicher, in Deutschland ist das Nationalgefühl viel schwächer, es ist bei uns immer noch halb tabuisiert, und es droht uns ja einstweilen allenfalls eine Mehrwertsteuererhöhung, um die Brüsseler Transfergemeinschaft zu finanzieren oder eine noch stärkere Entwertung von Sparguthaben und Lebensversicherungen als Preis für die genialen Schachzüge Draghis, der sich immer mehr als neuer John Law erweist. Vielleicht auch eine Kürzung der so überaus üppigen Altersrenten. Um sich dagegen zu wehren, gehen Menschen nicht auf die Straße, sie gehen noch nicht mal zur Wahl, weil man mit dem Stimmzettel an dieser Front ja auch wenig ausrichten kann, wie sie ganz richtig erkannt haben. Aber wie sieht es aus, wenn es auch in Deutschland einmal ernst werden sollte, weil die Kosten der europäischen Transferunion, die spätestens mit einem immer noch möglichen dritten Hilfspaket für Griechenland deutlich steigen werden, doch im Alltag ankommen? Wird ein System, das bewußt am Bürger vorbei geschaffen wurde und ohne den Wählern zu sagen, welche Opfer man von ihnen erwartet, dann auch noch auf Akzeptanz stoßen? So ganz sicher ist das nicht.

 

Griechenland war schon immer der Kanarienvogel in der Kohlegrube der Eurozone. Verliert der Vogel das Bewußtsein, zeigt das, daß man mit giftigen Gasen konfrontiert ist. Solche giftigen Gase erfüllen die europäische Luft wirklich mehr denn je. Allerdings wird das die europäischen Eliten und besonders die deutschen Europapolitiker oder die Parlamentarier des EU-Parlamentes nicht abhalten, ihren Weg weiter zu gehen; lernfähig ist das System Brüssel nicht und vermutlich hat man sich den Weg zurück auch schon abgeschnitten. Für den Historiker haben jedoch auch Verfallsgeschichten ihren großen Reiz. Vielleicht findet ja auch die EU eines Tages ihren Gibbon, der ihren Niedergang und Untergang als abschreckendes Beispiel menschlicher Hybris darstellt. Es muß zwar erst Dämmerung werden, bis die Eulen der Athena ihren Flug antreten, aber richtig hell ist es in Europa schon jetzt nicht mehr.

 

 

 

[1] openeuropeblog.blogspot.de/2014/06/a-closer-look-at-junckers-popular.html

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Ronald Asch

@Dr. Schurmann, sicher, dass Tsipras die Schulden seines Landes - die in dieser Höhe nie zurückgezahlt werden können - reduzieren will das ist schon vernünftig, aus griechische Sicht. Ob es freilich auch vernünftig ist die Gegenseite ständig zu provozieren das ist eine andere Frage. Was erwartet denn Merkel von ihm (und die anderen Gläubiger), dass er verspricht sich grosso modo an die Vereinbarungen zu halten wenn Griechenland einige Erleichterungen erhält. Jeder Weiß dass er sich am Ende doch nicht daran halten wird, das wird auch akzeptiert nur er darf es halt nicht aussprechen denn das bekommen ja die Kinder , äh, Wähler mit. In der Hinsicht ist er schon unprofessionell. Wir können ihm viell. sogar dankbar sein, wie Broder es richtig gesagt hat, denn anders als alle anderen lügt er zwar im Kleinen, vielleicht wenn es um Zahlen geht, aber nicht im Großen, da sagt er ganz offen daß wir unser Geld nie wieder kriegen werden.. Das unterscheidet ihn von den Junckers und Merkels. - In gewisser Hinsicht ist Griechenland wirklich in einer misslichen Lage, small enough to f a i l, aber leider auch, wenn man nachgibt ein Präzedenzfall für Spanien und Portugal und so weiter . Natürlich könnt die Eurozone e sich leisten jedem Griechen auf ewig eine Leibrente von 1000 Euro zu zahlen aber wenn das auf andere Ländern ausgedehnt wird, wird es eben leider etwas knapp Griechenland ist einerseits ein Sonderfall aber nicht besonders genug um ungefährlich zu sein, das ist der Haken.

Gravatar: Freigeist

Der Vatikan ist Vorbild für unumschränkte Macht. Auslegung nach Lust und Laune.

Gravatar: Dr Schurmann

Herr Professor Asch, in der Situation die Sie so gut darstellen handelt die griechische Regierung vernünftig. Vernünftige Argumente wirken nicht auf die Euro-Oligarchie, sondern das von Ihnen so kritisierte Flexibelsprech Verhalten der griechischen Regierung ist von der Euro Elite ernst wahrgenommenen

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