Siggi haut ab nach Sachsen – ein Bubenstück

Lange Zeit war der Siggi unberechenbar. Doch seit er an der Seite von Mutti Angela Deutschland regieren darf, galt er als geläutert. Doch jetzt ist was Schlimmes passiert. Der Siggi ist rückfällig geworden. Als der RiaS diese Woche meldete, dass es jetzt auch in Leipzig Bambule gegeben habe, hielt es ihn nicht mehr daheim.

Veröffentlicht:
von

Lange Zeit war der Siggi unberechenbar. Doch seit er an der Seite von Mutti Angela Deutschland regieren darf, galt er als geläutert. So hat es das Jugendamt, die Tagesthemen-Redaktion, befriedigt registriert. Doch jetzt ist was Schlimmes passiert. Der Siggi ist rückfällig geworden. Irgendwie kann er eben auch nicht gegen seine Natur. Gerade noch hat die Mutti durchs Küchenfenster den anderen Kindern auf der Straße gepredigt, ja nicht mit den Schmutzfinken von Pegida zu spielen, nicht mal mit ihnen zu reden. Sie hätten Hass im Herzen und Zwiebeln im Bauch. Denn was sie absonderten, sei unappetitlich. Direkte Demokratie, geregelte Einwanderung, Anwendung bestehender Gesetze. Das ist alles ganz schlimm AfD und damit Pfui. Die Katrin nickte dazu eifrig. Schließlich hat sie ihr Studium der Theologie nicht zu Ende gemacht, um im Kopf genug Platz zu lassen für viele bunte Ideen. Der Cem, der gerade gemopste Treuepunkte von Real in sein Sammelheft klebte, hat geklatscht und was Vulgäres in einer fremden Sprache gerufen. Darüber wurde ausnahmsweise mal hinweggesehen. Die niedliche Yasmin, was Siggis kleine Gehilfin beim Arbeiter-Konsum-Verein für Kinder ist, hat auch genickt. Sie weiß, was schwere Arbeit ist. Schließlich war sie bei der IG Chemie und Bergbau angestellt. Der Sebastian kann gerade nicht so richtig mitspielen, weil er sich schlimme Bilder im Internet angeguckt hat und dabei erwischt wurde. Sonst wäre er ganz vorne mit dabei. Der oberschlaue Gregor hat zwar was von „mit den Menschen reden gesagt“, aber dann doch seine Brille zurechtgeschoben und sich wieder in sein Buch versenkt. Eins von Robert Havemann. Das war ein guter Freund von ihm, dem er in einem früheren Leben mal im Kampf gegen den Geheimdienst des vorletzten Rechtsstaates geholfen hat. Oder war es umgekehrt? Ist lange her. Mutti lief damals noch im Ein-Strich-Kein-Strich rum und machte als FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda peppige Wandzeitungen, die Henry Nannen heimlich abfotografieren ließ und als Zeitschriftencover im Westen groß rausbrachte.

Dem Siggi ist das alles schon lange zu doof. Er kann die Geschichten nicht mehr ab. Seit Wochen hat er heimlich abends im Bett RiaS gehört, den „Rundfunk im abendländischen Sachsen“. Auf Mittelwelle. Man sagt, das Studio befindet sich in den Kasematten der Festung Königstein. Den Strom liefert ein Generator, der mit Tschechensprit betrieben wird. Der RiaS ist zwar ein übler Hetzsender, aber er bringt fetzige Musik und Nachrichten, die irgendwie spannender klingen als die Aktuelle Kamera aus Mainz. Dort spricht zum Beispiel immer der Klaus, der Nazis selbst dann nicht erkennt, wenn sie Hakenkreuze an ihrem Helm haben. Was vielleicht daran liegt, dass er nur mit einem Auge hinschaut, während er mit dem anderen den Verkehr auf der Atlantikbrücke beobachten muss. In diesem Feind-Sender nun hat Siggi gehört, dass andere Kinder jeden Montag in Dresden wilde Sau spielen. Sie führen freche Reden, sogar über Mutti, und veranstalten einen lustigen Ringelpietz mit Anfassen und Liedersingen. Dazu hat der Siggi in der Schule gehört, dass der junge Fritz, was später Friedrich der Große wurde, ebenfalls in jungen Jahren Richtung Sachsen durchgebrannt ist. Als der RiaS diese Woche meldete, dass es jetzt auch in Leipzig Bambule gegeben habe, hielt es ihn nicht mehr daheim. Am Freitag packte der Siggi sich eine extra dicke Wurststulle ein und legte Mutti einen Zettel hin. „Bin in Davos“, hatte er darauf geschrieben und sich durch die Hintertür verdrückt. Mutti guckte gerade ihre Lieblingssendung, Maria Böhmers „Asylantenstadl“, und bekam das Klappen der Tür nicht mit. In Davos ließ sich Siggi dann kurz blicken. Tarnung muss sein. Wirtschaftsforum. Wenn er das schon hört.

Die Wirtschaft an der Ecke ist ihm lieber. Bei den langweiligen Onkels aus der Bankwelt bekommt er seit Jahren nur dieselben öden Geschichten zu hören. Schuldenbremse, Lehmann-Pleite, EZB, LmaA. In Dresden ist dagegen richtig Mucke angesagt. Grönemeyer, der alte Engeland-Fahrer, und BAP, die Dünnbierschlürfer aus Kölle haben sich angesagt. Also heimlich die Lederjacke an und in Frankfurt umgestiegen in den Zug nach Kötzschenbroda. Und dann hatte er es doch tatsächlich geschafft. Er war im redefreien Teil Deutschlands angekommen. In einer Versammlung der Landeszentrale für politische Bildung, die sonst eher als therapeutische Anlaufstelle für alte Männer mit Weltverbesserungsideen gedacht ist, traf er sie dann – die Kumpels, die in Dresden so richtig „einen losmachen“ wie man hier sagt. Die waren weder bis über beide Ohren mit Hakenkreuzen tätowiert, noch hatten sie Messer zwischen den Zähnen oder waren sonst irgendwie böse drauf. So hatte es Siggi im „Bunten Deutschland“ gelesen. Mit denen verstand er sich auf Anhieb. Wettete mit einem um zwei große Bier, dass der ihm keine Beispiele von kriminellen Bundestagsabgeordneten bringen könne, wohl wissend, dass er verliert. Hier fühlte er sich wohl. Den Dresdner Jungs erzählte er von seinen Zweifeln an den Darstellungen in den Zeitungen, die Mutti abonniert hat und den Fernsehsendungen, die er abends gucken muss. Saxony today darf er nicht schauen, weil da immer mal leicht bekleidete Mädchen von Sachsen-Obst zur Musik von Gunther Emmerlich tanzen. Das wäre noch nichts für ihn, hat Mutti gesagt. Heimlich guckt er manchmal am Nachmittag die sorbische Serie „Stanislaw-Held der Berge“. Zu gern würde er auch abends mal lunsen. Da laufen historische Dokumentationen wie “Das Jugendleben der Angela K.“ oder „Joachim privat“. Aber er hat noch nicht den Code der Kindersicherung geknackt.

Die Jungs in Dresden mussten fast weinen, als sie das alles hörten. „Keen Saxony-Fernsehen? Nich mal heimlich? Du arme Sau“. Beschämt schaute der Siggi nach unten. So ist der Alltag in einer Großen Koalition. „Ich habe immer gewusst, dass ihr völlig ok seid“, sagte er den Dresdnern. Die waren gerührt. Man tauschte Deckadressen aus und versprach, abends eine Kerze ins Fenster zu stellen. Vielleicht ist das Volk ja eines fernen Tages wieder vereint. Und gibt sich eine neue Verfassung. In freier Selbstbestimmung, wie es manche schon 1990 machen wollten, weil es mal so gedacht war. Dann musste der Siggi schweren Herzens den Rückweg ins nüchterne Preußen antreten. Ein Sixpack Radeberger Bier und ein gut gereiftes Stück Dresdner Christstollen machten ihm den Abschied etwas leichter. Er konnte sich ausmalen, was ihn jenseits der Landesgrenze bei Ortrand erwartete. Tabubruch, hallte es ihm schon hinterm rot-weißen Schlagbaum entgegen. „Du hast versprochen, nicht mit denen zu reden“, riefen die Kinder auf seiner Straße in Berlin. Die kleineren Geschwister von den Jusos schrien am lautesten. Mutti hat bis jetzt geschwiegen. Das ist manchmal viel schlimmer als Geschimpftes. Und das Radio war weg. Siggi hatte vergessen, wieder auf Radio Eriwan zu stellen, bevor er abhaute. In Dresden malen sie jetzt an einem Transparent mit der Aufschrift „Freiheit für Siggi“. Ein Spendenkonto für seinen Freikauf wurde eingerichtet, eine Petition „Free Siggi“ auf Facebook gestartet. Aber ganz so schlimm wird es wohl nicht werden für ihn. Nach Küstrin kann man den Siggi nicht mehr schaffen wie weiland Fritzens Vater seinen Filius als er dessen wieder habhaft wurde. Küstrin ist heute polnisch. Und man gibt seine ungezogenen Kinder nicht beim Nachbarn ab.

Zuerst erschienen auf castorfiberalbicus.wordpress.com

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: K. Bußler

Lieber Herr Oelsner,
einfach köstlich. Vielen Dank für Ihre sehr differenzierten Beiträge, deren eifrige Leserin ich bin.
Machen Sie weiter so und alles Gute für Sie.

Gravatar: solosunny

Lieber Herr Oelsner, da kann ich mir ja den Bauch nicht halten vor Lachen. Was ist nur mit Ihnen passiert?
Vor einigen Jahren im Orgelausschuss, wo ich sie kennenlernte , da hätte ich Ihnen sowas nie zugetraut.
Ihnen alles Gute

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang