Siegfried Lenz, 1926 - 2014

Warum sagt denn keiner, der Lenz als Schullektüre erdulden musste, dass dieser hoch sympathische, allzeit druckreif sprechende, immerfort gute, in seiner gusseisernen Bescheidenheit aber auch etwas anstrengende Mensch von Hamburg-Othmarschen hauptsächlich sozialdemokratische Thesen verbreitet hat, die er, na klar, mit mehr oder weniger plausiblen Geschichten illustrierte?

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Man kann zum Tod von Siegfried Lenz ahnungslose Zeilen ins Netz stellen („Er war ein Meister der humorvollen Erzählung“, stern.de) oder ihn, wie im ZDF, feuilletonmäßig getragener, als „Geschichtenerzähler“ würdigen (gerade so, als würden normalsterbliche Schriftsteller niemals Geschichten erzählen wollen, da haben wir Victor Hugo und andere wohl falsch eingeschätzt) - jedenfalls ist das Echo auf die große Leiche fürchterlich. Warum sagt denn keiner, der Lenz als Schullektüre erdulden musste, dass dieser hoch sympathische, allzeit druckreif sprechende, immerfort gute, in seiner gusseisernen Bescheidenheit aber auch etwas anstrengende Mensch von Hamburg-Othmarschen hauptsächlich sozialdemokratische Thesen verbreitet hat, die er, na klar, mit mehr oder weniger plausiblen Geschichten illustrierte? Und warum wollten wir Jungspunde, sagen wir mal ab 1968, alles Mögliche lesen, bloß nicht diesen Lenz? Lenz war was für Leute, die ein „Zeit“-Abo gezeichnet hatten.

Es ist ja nicht Lenzens Schuld, dass vor einiger Zeit rauskam: Emil Nolde, der Maler des Nordens, dem Lenz in „Deutschstunde“ ein Denkmal als Verfolgter eines prototypischen Provinznazis gesetzt hatte, war eigentlich selber ein Nazi, der glaubte, sein Malverbot sei nur ein vorübergehender Irrtum. Typen wie Nolde gab es in den Moskauer Schauprozessen zuhauf, auch später, bei den Slansky-Prozessen in der Tschechoslowakei. DAS wäre eine vertrackte Geschichte geworden, welche Geschichte in ihrer ganzen Absurdität transportiert hätte. Doch Lenz, ein Kind der Nachkriegszeit, deutscher Sozialdemokrat reinsten Wassers, hat Orwell und Koestler und all die anderen vom Sozialismus Abgefallenen nie wirklich an sich rangelassen. Anderenfalls wäre er auch nicht der Darling der linksliberalen Kulturszene der Nachkriegszeit geworden.

Was von Lenz bleibt: Dass er niemals ein Grass war. Alles Eifernde war ihm fremd. Rest in Peace, alter Pfeifenschmöker.

Beitrag erschien zuerst auf: achgut.com

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Andreas Schneider

Von Siegfried Lenz, dem "Pfeifenschmöker", habe ich (Jahrgang 1960) zu Schulzeiten lediglich "Das Feuerschiff" erdulden müssen (um Ihre Worte zu gebrauchen). Die "Deutschstunde" hingegen schwebte als Begrifflichkeit irgendwo im Nirwana, wurde jedoch nie aufgegriffen.

Die Todesnachricht hat somit bei mir zuförderst die Erinnerung an den Deutschunterricht der gymnasialen Mittelstufe wieder aus der Versenkung der Erinnerung geholt: aus mir unerfindlichen Gründen habe ich von dem ansonsten mir gegenüber überaus kritisch eingestellten Lehrer erstmals ein "Gut" für eine Interpretation erhalten, was irgendwie auch seine spätere Einstellung zu meinen damaligen geistigen Ergüssen zu beeinflussen schien. Siegfried Lenz hat es natürlich nie erfahren, aber aufgrund Dessen stand er mit irgendwie nahe und ich verbinde mit seinem Namen im Grunde nur Positives. Vielleicht gerade, weil ich mich nicht weiter mit ihm und seinen Werken befasst habe.

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