Seelsorge: Der dreifache Spagat

Wer meint, Seelsorge sei einfach, der sollte sich die Themen der Familiensynode mal unter drei verschiedenen Aspekten ansehen. Leicht ist das niemals!

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Der Mozart der Theologie, wie man Joseph Ratzinger bzw. Papst Benedikt XVI. bisweilen bezeichnet, ist Papst Franziskus sicher nicht; ich nehme auch nicht an, dass er einen solchen Titel für sich beanspruchen würde. Und wenn man denn eine Differenzierung zwischen den beiden Päpsten aufbauen wollte – ich selbst bin noch immer überzeugt, dass die Kontinuität überwiegt – dann ist es wohl die, dass der Schwerpunkt von Papst Benedikt auf der Theologie lag, während Papst Franziskus den Schwerpunkt der Seelsorge, der Pastoral, gefunden hat. So eine Differenzierung ist aber insofern schwierig, als sie beiden nicht gerecht wird: Wer daraus liest, dass Papst Benedikt kein gute Seelsorger war oder Papst Franziskus kein Theologe ist, der hat mich falsch verstanden.

Theologie und Seelsorge gehen bei einem guten Priester Hand in Hand, und das ist nicht immer vergnügungssteuerpflichtig. Das hat auch Papst Franziskus in seiner Predigt am Sonntag zum Beginn der Familiensynode deutlich gemacht. Dabei stellt er ein dreifaches Spannungsfeld aus Treue, Wahrheit und Liebe dar, das immer wieder neu austariert werden muss, bei dem man auch – und das ist kein Relativismus – die Zeichen der Zeit erkennen muss um zu sehen, wo gerade das Hauptaugenmerk zu liegen hat. Den Abschnitt der Predigt, der wie ich finde nicht nur gut zur Familienpastoral passt, gebe ich hier gerne wieder (Zitat von Zenit):

In diesem sehr schwierigen Kontext von Gesellschaft und Ehe ist die Kirche berufen, ihre Sendung in Treue, in Wahrheit und in Liebe zu leben.

Ihre Sendung zu leben in der Treue zu ihrem Meister, wie eine Stimme, die in der Wüste ruft, um die treue Liebe zu verteidigen und die zahlreichen Familien zu ermutigen, die ihre Ehe als einen Bereich leben, in dem sich die göttliche Liebe offenbart; um die Heiligkeit des Lebens, eines jeden Lebens zu verteidigen; um die Einheit und die Unauflöslichkeit des ehelichen Bandes zu verteidigen als ein Zeichen der Gnade Gottes und der Fähigkeit des Menschen, ernsthaft zu lieben.

Die Kirche ist berufen, ihre Sendung zu leben in der Wahrheit, die sich nicht mit den flüchtigen Moden oder den herrschenden Meinungen ändert. In der Wahrheit, die den Menschen und die Menschheit vor der Versuchung der Selbstbezogenheit schützt und davor, die fruchtbare Liebe in sterilen Egoismus und die treue Verbundenheit in zeitweilige Bindungen zu verwandeln. »Ohne Wahrheit gleitet die Liebe in Sentimentalität ab. Sie wird ein leeres Gehäuse, das man nach Belieben füllen kann. Das ist die verhängnisvolle Gefahr für die Liebe in einer Kultur ohne Wahrheit« (Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate, 3).

Und die Kirche ist berufen, ihre Sendung zu leben in der Liebe, die nicht mit dem Finger auf die anderen zeigt, um sie zu verurteilen, sondern – in Treue zu ihrem Wesen als Mutter – sich verpflichtet fühlt, die verletzten Paare zu suchen und mit dem Öl der Aufnahme und der Barmherzigkeit zu pflegen; ein „Feldlazarett“ zu sein mit offenen Türen, um jeden aufzunehmen, der anklopft und um Hilfe und Unterstützung bittet; mehr noch: aus der eigenen Einzäunung herauszutreten und auf die anderen zuzugehen mit wahrer Liebe, um mit der verletzten Menschheit mitzugehen, um sie mit einzuschließen und sie zur Quelle des Heils zu führen.

Eine Kirche, die die Grundwerte lehrt und verteidigt, ohne zu vergessen, dass »der Sabbat … für den Menschen da [ist], nicht der Mensch für den Sabbat« (Mk 2,27), und dass Jesus auch gesagt hat: »Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten« (Mk 2,17). Eine Kirche, die zur authentischen Liebe erzieht, die fähig ist, aus der Einsamkeit zu befreien, ohne ihre Sendung als barmherziger Samariter für die verletzte Menschheit zu vergessen.

Ich erinnere mich an den heiligen Johannes Paul II., als er sagte: »Der Fehler und das Böse müssen immer verurteilt und bekämpft werden, aber der Mensch, der fällt oder einen Fehler macht, muss verstanden und geliebt werden […] Wir müssen unsere Zeit lieben und dem Menschen unserer Zeit helfen« (Ansprache an die italienische Katholische Aktion, 30. Dezember 1978:Insegnamenti I [1978], 450). Und die Kirche muss ihn suchen, ihn aufnehmen, ihn begleiten, denn eine Kirche mit verschlossenen Türen verrät sich selbst und ihre Sendung, und anstatt eine Brücke zu sein, wird sie eine Barriere: »Denn er, der heiligt, und sie, die geheiligt werden, stammen alle von Einem ab; darum scheut er sich nicht, sie Brüder zu nennen« (Hebr 2,11).

Was für eine großartige Präambel nicht nur für die Synode sondern für alle Fragen der Pastoral und der Mission: Die Kirche und wir als Christen müssen in Treue zu Christus und unseren Mitmenschen stehen, zuvorderst die Familie, sind verpflichtet, die Wahrheit zu verteidigen und in ihr zu leben und diese Sendung in Liebe zu den Menschen aufzunehmen. Wer einmal in Diskussionen über die Eucharistie für wiederverheiratete Geschiedene oder den Umgang mit Homosexuellen geraten ist, der weiß, wie schwierig das ist. Das liegt einerseits daran, dass es zwischen diesen drei Aspekten ohnehin ein Spannungsfeld gibt, das aber noch dadurch verstärkt wird, dass die Begriffe Treue, Wahrheit und Liebe in der Welt ganz unterschiedlich interpretiert werden.

Treue ist kein Wert an sich mehr. Nicht wenige, ich höre das in diesen und verklausulierten Worten immer wieder, sehen Treue eher als zeitlich begrenzt. Treu bin ich einer Person oder einer Sache nur so lange, wie ich das für opportun halt. Bezeichnet man dann eine unter diesen Bedingungen geschlossene Ehe als eine Zweckgemeinschaft mit gemeinsamer Verantwortungsübernahme und Ausstiegsklausel, wird das meist weit von sich gewiesen. Es ist aber exakt das: Wer steht heute schon noch freiwillig in Treue zum Ehepartner, zur Familie, zur Kirche, zu einer gewählten Gemeinschaft, vielleicht sogar der Nation, auch und vor allem dann, wenn einem das Gefühl etwas anderes, eher die Flucht eingibt?

Schlimmer noch steht es um die Wahrheit. Die „Pilatus-Frage“ und das von ihm gezeigte Unverständnis hat sich weithin breit gemacht. Wer da mit dem Anspruch von Wahrheit daherkommt, zugesteht sie vielleicht nicht zu kennen, aber konstatierend, dass es sie gibt und damit auch die Unwahrheit, die Lüge, das Falsche, die Sünde, wird als Fundamentalist betrachtet. Ich sehe die Frage der Wahrheit eher als eine der Vernunft: Es kann nicht „deine Wahrheit und meine Wahrheit“ geben, auch wenn es unterschiedliche Meinungen dazu geben kann, was die Wahrheit ist. Aber die Wahrheit, als solche erkannt, hat Anspruch auf Berücksichtigung und Treue zu ihr.

Unverstanden auch die Liebe. Für die meisten nur ein Gefühl, etwas im Zweifel flüchtiges, das man höchstens durch aktualisierende Maßnahmen mit viel Aufwand am Leben halten kann. Mit diesem Verständnis ist die Liebe eher ein Gegenspieler der Wahrheit und der Treue – letztere beiden mit dem Anspruch des ewigen, nicht in Frage zu stellenden. Das ist die Liebe aus christlicher Sicht aber auch: Der Ehepartner, die Familie, ja die Mitmenschen, die Nächsten … nach Jesu Botschaft und seinem Zeugnis habe ich die Verpflichtung, sie zu lieben. Das hat dann mit „romantischen“ Gefühlen nicht mehr viel zu tun, dann ist Liebe eine Entscheidung, die ich treffe, die ich jeden Tag neu treffen muss. Oder wie ich letztens ein Zitat eines Heiligen gehört habe (ich habe leider vergessen welcher), der auf die Frage, seit wann er an Gott glaube, geantwortet hat „Seit heute Morgen!“

In diesem Dreiklang richtig verstandener Treue, Wahrheit und Liebe verstehen sich dann auch Zitate wie „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten“. Ist das nicht eine Aufforderung, jedem zu vergeben, jeden Menschen mit seinen Fehlern anzunehmen – mit allen Konsequenzen für die strittigen Fragen katholischer Moraltheologie? Ja, annehmen schon, aber als was sie sind. Das Zitat setzt voraus, den Kranken als Kranken zu sehen, die Sünder als Sünder – inklusive auch mich selbst. Zu behaupten, der Kranke sei gar nicht krank, der Sünder ohne Sünde, ist kein Zeugnis von Wahrheit.

In diesem Sinne verbietet sich aber auch, die „Kranken“ einfach aufzugeben, das widerspräche der Liebe und der Treue zu dem, was Jesus vorgelebt hat. Er ist gekommen, um die Sünder zu rufen – er ist zu uns gekommen, obwohl und weil wir Sünder sind! Was für ein großartiger Gott, was aber auch für ein Anspruch an uns, ihm nachzufolgen. So ist auch das Zitat vom Heiligen Johannes Paul II. richtig zu verstehen: „Der Fehler und das Böse müssen immer verurteilt und bekämpft werden, aber der Mensch, der fällt oder einen Fehler macht, muss verstanden und geliebt werden […] Wir müssen unsere Zeit lieben und dem Menschen unserer Zeit helfen.“ Oder eben das alte Augustinus zugeschriebene Zitat: Die Sünde hasse, aber den Sünder liebe!

Da draußen in der Welt, das ist das perfide, ist es in gewisser Weise umgekehrt: Die Sünde wird relativiert, dann kann man sie auch umarmen, das Sündigen sogar lieben, ist es doch „gottgegeben“, während derjenige, der den Sünder auf den richtigen Weg zu bringen versucht, gehasst wird. Und die, die uns da hassen, ohne das Korrektiv dessen, was Jesus sagt, überhaupt zu kennen, sind wir aufgefordert zu lieben, was auch bedeutet, sie als Sünder wahrzunehmen und ihnen die Wahrheit nahezubringen, die sie im Zweifel nicht hören wollen.

Wer wäre da nicht versucht, diesem Spagat auszuweichen, sich entweder auf die Wahrheit oder die Liebe (verstanden als Entgegenkommen) zu fokussieren, was entweder bedeutet, die Menschen in Sünde aufzugeben oder sie in ihrer Sünde zu belassen. Das Ergebnis ist das gleiche. Und darum ist es so wichtig, dass eine Synode, die sich um das Thema der Familie dreht und deren Augenmerk besonders auf den gestörten Familienkonstellationen liegt, sich dieses Spagates bewusst wird und sich nicht verleiten lässt, einen einfachen Weg zu suchen.

Wenn ich es recht betrachte: Wie gut, dass der Seelsorge-Papst Franziskus diese Synode einberufen hat und sie vom Theologen-Papst Benedikt im Gebet begleitet wird. Wir dürfen im Vertrauen auf den Heiligen Geist die Hoffnung haben, dass da etwas gutes herauskommt: Etwas, das wahr ist, das die Liebe Gottes zeigt und die Treue zu Christus bewahrt!

Beitrag erschien auch auf: papsttreuerblog.de 

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