Schlafende Lieder (Endlich Sonne)

Bei bestem Wetter gehe ich in Neukölln am Büro der MLPD vorbei und schaue ins Schaufenster, in dem neben den alten Bärten auch die neue Orientierung der marxistisch-leninistischen Partei Deutschlands ausgestellt ist. Da sieht man’s: Die Partei setzt auf Karl Marx und auf erneuerbare Energie.

Veröffentlicht:
von

Zuerst denke ich: Moment, davon steht doch gar nichts im kommunistischen Manifest, da haben sie sich wohl an die Grünen angehängt, weil ihnen nichts Neues eingefallen ist.

Doch dann dämmert es mir - richtig: Der Traum von einer Energie, die uns die Sonne spendiert und die man problemlos nutzen kann, ist tief in der Tradition der Linken verwurzelt. Davon träumen sie schon lange. Wer je die ‚Internationale’ bis zum Schluss angehört hat, erinnert sich womöglich, dass da gleich zwei Menschheitsträume angesprochen werden: „Völker hört die Signale!“ Nach dem „letzten Gefecht“ nämlich, wenn all die „Müßiggänger beiseite“ geschoben sind, winkt uns nicht nur der Weltfrieden, sondern außerdem das Paradies der erneuerbaren Energie. Wir müssen nur ein paar schräge Vögel loswerden. „Unser Blut sei nicht mehr der Raben, nicht der mächt’gen Geier Fraß!“ Nein, so soll es nicht sein – weg mit den Viechern! „Erst wenn wir sie vertrieben haben ...“, dann, ja „dann scheint die Sonn’ ohn’ Unterlass!“

Kein Wunder dass in solchen Kreisen die Sonnenenergie nicht hinterfragt wird. Doch so leicht ist es nicht: we have a problem. Die Sonn’ scheint eben nicht ohn’ Unterlass, jedenfalls nicht bei uns, nicht jetzt. Da muss noch was passieren, irgendeine technische Innovation mit geradezu revolutionärem Charakter muss her. In der Musicbox der links-grünen Träume, die in unserem Unterbewusstsein immer unter Strom steht, ist deshalb schon der zweiter Titel gewählt: ‚Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn.

Noch sieht es nicht danach aus. Selbst in Spanien nicht, dem Hot Spot der Sonnenenergie. Die steckt selbst da in Schwierigkeiten; dunkle Wolken sind aufgezogen, seit der Euro in Bedrängnis ist und nicht mehr genügend Fördermittel da sind. Und gerade auf Sonnenenergie hatte man in Spanien gesetzt, und war dabei womöglich auf den Sommerschlager ‚Eviva Espana’ reingefallen, den manche vielleicht immer noch im Ohr haben und der vom Volksmund gleich in ‚Elvira Espana’ umbenannt wurde. Da wird dieselbe Utopie besungen: „Die Sonne scheint bei Tag und Nacht, Eviva Espana. Der Himmel weiß, wie sie das macht.“

Auch dass die „Gläser voller Wein“ sind, erweckt Vorstellungen vom Paradies. Doch es gibt auch Unterschiede. „Alle Theorie hat keinen Sinn“, heißt es im Schlager, und wenn es noch in der Internationalen heißt „Es rettet uns kein höh’res Wesen“, soll es nun doch der Himmel wissen. Oder der Geier? Die Raben jedenfalls nicht. Und der Geier ist womöglich ein Pleitegeier.

Das Spanienlied hat sowieso seine Macken. In letzter Zeit sind bekanntlich die so genannten Rollenklischees verstärkt in den Fokus der Kritik geraten – die geschlechtsspezifischen Stereotypen, bei denen man besonders aufpassen soll, weil sich darin das Patriarchat abbildet und perpetuiert. Da kriegt Elvira ganz schlechte Noten, da heißt es nämlich: „Und jeder ist ein Matador, Espana por favor.“ Das geht gar nicht.

Doch es stimmt schon: Es schläft ein Lied in allen Dingen – manche davon sollte man lieber schlafen lassen und nicht wecken, und wenn sie dennoch wach geworden sind, sollte man sie keinesfalls ernst nehmen, sondern sanft zudecken und flüstern: Ist schon gut, ihr könnt weiter schlafen.

Beitrag erschien zuerst auf achgut.com

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Keine Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang