"Scheitert der Euro, scheitert Europa"?

Brief an einen Haushaltspolitiker (6)

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Sehr geehrter Herr Thomae

Wenn man seit mehr als 50 Jahren Politik verfolgt, erkennt man Ursachen mit langer Wirkungsdauer.
Deutschland  war nach dem 2. Weltkrieg nicht nur wirtschaftlich, sondern auch moralisch am Boden, hatte keine nationale Perspektive mehr. In dieser Situation musste Deutschland um jedes Land froh sein, das mit ihm noch politisch verkehren wollte. Frankreich hat die deutsche Not verstanden und - man muss es heute so sagen - es zu seinem Vorteil genutzt und nutzt es bis heute aus.

Die nahezu bedingungslose Hinwendung der deutschen Politik zur europäischen Gemeinschaft war damals tatsächlich alternativlos. Die Hinwendung zu Europa ist auch heute noch das einzig Richtige für Deutschland; aber auch für die anderen EU-Staaten.  Aber, der hohe Stellenwert, den Europa in der deutschen Politik hat, wird fortwährend missbraucht. Ich spreche von der deutsch-französischen Freundschaft. In der französischen Politik versteht man weithin unter "deutsch-französischer Freundschaft" etwas ganz anderes als bei uns. Es gibt unzählige Beispiele, wie Frankreich aus dieser Freundschaft ungeniert Nutzen zieht. Sie müssten es auch schon gemerkt haben: Bevor französische Politiker ein Mal Europäer sind, sind sie 10 Mal Franzosen. Nicht dass man einem Franzosen das ankreiden sollte, man sollte es nur wissen.  Und es war nach dem 2. Weltkrieg immer dieselbe Methode.

Zuerst die Montanunion, mit der Frankreich Zugang zur deutschen Schwerindustrie haben wollte und bekam. Man konnte nicht ahnen, dass Kohle und Stahl wenig später zu einer wirtschaftlichen Belastung wurden.

Daraufhin wurde die EWG angestrebt, auch von Deutschland. Aber diese EWG, später EU, hatte und hat einen eigenen Haushalt, der zu Anfang fast nur aus dem Agrarhaushalt bestand, von dem Frankreich am allermeisten profitierte; heute ergänzt mit einer "Struktur-Komponente"; aber Frankreich bezieht immer noch den größten Nutzen daraus - deshalb die relativ geringen Nettobeiträge Frankreichs zum EU-Haushalt. Die Briten haben sich dieses Spiel eines Tages nicht mehr gefallen lassen. Sie im Finanzausschuss des Bundestages müssten wissen, wer den Finanzausfall der Briten kompensiert hat.

Der größte Wurf aber (aus Sicht französischer Politiker und der französischen Öffentlichkeit) gelang Frankreich mit der Beseitigung der DM als europäische Leitwährung, die übrigens in der "Währungsschlange" mit einer gewissen Bandbreite der Wechselkurse nationaler Währungen und der Verrechnungseinheit ECU gut funktionierte.

Und wieder mit massivem Druck aus Frankreich wurden die Mittelmeerländer in den Euro aufgenommen und zuletzt bei Griechenland soviel Druck aufgebaut, dass auch dieses Land, welches um Lichtjahre von den geforderten Eingangsbedingungen entfernt war, zum Euro kam. Vielleicht kennen Sie die Geschichte, die der ehemalige Finanzminister Theo Waigel zu dem entscheidenden Treffen der Staatschefs und Finanzminister erzählen kann. Jetzt haben wir den Salat. Niemand wird die Lehmann-Pleite klein reden. Aber den größten Teil der Europrobleme verdanken wir, nach Faktenlage, Frankreich. Ohne diesen erzwungenen Euro und den "Club Med" hätten wir die Probleme nicht. Wie konnte es zu einer solchen Schlafmützigkeit in der deutschen Politik kommen, dass alle wichtigen Positionen in der EU und im Währungsgeschäft vom "Club Med" unter französischer Führung besetzt sind: der EU-Präsident, der EZB-Präsident, die Präsidentin des IWF. Keine der wichtigen EU - Kommissionen ist an Deutschland vergeben.

Und in der Gegenwart? - Unsere Kanzlerin schafft es jedenfalls, dass unsere Euro-Partner nicht schon wieder auf Deutschland mit dem Finger zeigen können. Die Rolle des Sündenbocks war uns schon zugedacht. Deshalb vermeidet sie es, Griechenland auf die bessere Alternative mit der eigenen Währung zu verweisen. In Deutschland reicht es immerhin schon zum kleinen Einmaleins der Diplomatie: nein, wir möchten, dass Griechenland im Euro verbleibt.

Aber wie konnte Ihr dieser unglückselige Satz entfahren "scheitert der Euro, scheitert Europa"? Kein Land in der EU ist so sehr auf Europa fixiert wie Deutschland. Jeder Politiker in Europa weiß das. Und dann dieser Satz! Reflexartig haben die Politiker einiger Problemländer des Euroraums reagiert und die Zumutungen für ihre eigenen Bürger zur Stärkung des Euro sofort zurückgestellt. Denn mit diesem Satz war impliziert, dass man zur Rettung des Euro an Deutschland unbegrenzte Forderungen stellen durfte.

Ich lade Sie ein zu einem Gedankenspiel !

Gesetzt den Fall, Deutschland hätte massiv die Erweiterung der EU betrieben mit dem absehbaren Ergebnis, dass Frankreich höhere Nettobeiträge in den EU-Haushalt hätte zahlen müssen.

Gesetzt den Fall, Deutschland wäre mit der Dominanz eines französischen Franc als europäische Leitwährung so unglücklich gewesen, dass es mit allen politischen Mitteln versucht und es letztlich durchgesetzt hätte, diesen starken Franc durch eine europäische Gemeinschaftswährung zu ersetzen.

Gesetzt den Fall, Deutschland hätte wider alle ökonomische Vernunft, sein ganzes politisches Gewicht eingesetzt, damit Länder wie Griechenland in diesen gemeinsamen Währungsraum aufgenommen werden.

Und gesetzt den Fall, Deutschland hätte die Eurogruppe mit den feinsten Mitteln der Staatskunst (zugegebenermaßen kommen diese in der deutschen Diplomatie nicht vor) genötigt, griechische Banken zu retten, weil die deutschen Banken dort viel Geld im Feuer hatten.

Was glauben Sie wohl, müssten wir uns fortwährend und bis heute von unseren französischen Freunden anhören!

Hier in Deutschland aber, seitens der Parlamentarier kein Wort der Klage. Auch als man Deutschland aus Frankreich anlässlich der EU-Osterweiterung wissen ließ, Deutschland müsse als der größte Profitnehmer der Osterweiterung auch höhere Nettobeiträge im EU-Haushalt hinnehmen, hat sich bei uns kein Parlamentarier öffentlich die Frage erlaubt, wer denn seinerzeit am meisten von der Süderweiterung der EU profitierte. Warum nicht wenigstens einer aus dem Haushaltsausschuss, dem Sie angehören?

Lesen Sie nächste Woche den 7. Auszug „Target-Risiken“

Prof. Dr. Walter Kühbauch war einer von Hunderten Bürgern, der dem FDP-Haushaltspolitiker Stephan Thomae antworteten, nachdem dieser auf Abgeordneten-Check.de Stellung zum ESM bezogen hatte. FreieWelt.net veröffentlicht das Schreiben mit freundlicher Genehmigung des Verfassers in acht Auszügen.

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